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Unruhiges Gewissen der Gesellschaft

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In Österreich rangieren Wissenschaft und Bildung so tief unten, daß es tiefer gar nicht geht. Selbst Schweinefleisch sonnt sich im Vorrang. Auf lange Sicht wird die Fehlinvestition uns schwer zu stehen kommen; allein, es wird zu spät sein." So sprach im Jahre 1966 der damalige Rektor der Universität Salzburg, Rene Marcic. 30 Jahre später ist diese Aussage aktueller denn je. „Das ist das Ende der österreichischen Universitäten", kommentiert die Hochschülerschaft der Technischen Universität Wien die jüngsten Einsparungen im Zuge des Sparpakets.

Manfried Welan, Prorektor der Universität für Bodenkultur, und die Hochschulforscherin Ada Pellert konnten die Aktualität des Marcic-Zitats nicht erahnen, als sie es in ihr Buch „Die formierte Anarchie - Die Herausforderung der Universitätsorganisation" aufnahmen. Dieser im Vorjahr veröffentlichte Band, der sich mit der jüngsten Beform des Univer-sitätsorganisationsgesetzes beschäftigt, enthält viele Passaagen, deren Bedeutung und Tragweite erst in Zeiten des Sparpakets zur Gänze erkennbar sind.

Der langjährige Hochschulprofessor und ehemalige Wiener ÖVP-Stadtrat Welan schrieb schon damals von einer „Tradition der Vernachlässigung". „Dem ,Ja' zur Massenuniversität folgte ein ,Naja"', kritisiert Welan. Als der nunmehrige Prorektor 1955 zu studieren begann, gab es in ganz Österreich nicht einmal 20.000 Studenten; 40 Jahre später waren es zehnmal so viele. Welan beklagt, daß es zu keiner entsprechenden Vermehrung der Universitätsstellen und Steigerung des Wissenschaftsbudgets gekommen sei.

Ada Pellert macht sich Gedanken über die Bolle der Universitäten innerhalb des gesellschaftlichen Gefü-ges. Wissenschaftliches Wissen ist ihrer Meinung nach zu einer wichtigen gesellschaftlichen Ressource geworden. „Traditionelle Fertigungsindustrien werden zunehmend durch Wissensindustrien ersetzt, die in großem Ausmaß (angewandte) Forschung und Technologie und gut ausgebildete Fachkräfte benötigen", analysiert Pellert. Die daraus resultierende Forderung, daß die Universitäten für die Gesellschaft relevantes Wissen produzieren, das sich dann zum Beispiel wirtschaftlich bezahlt macht, hält sie für legitim. Gesellschaftsrelevanz dürfe aber nicht im Sinne simpler Kostenreduktion verstanden werden, betont Pellert.

Neben der Produktion von Wissen habe die Universität jedoch noch andere Aufgaben: „kritische Reflexion als spezifische Dienstleistung der Universität", wie Pellert schreibt. Diese bestehe in konstruktiver Kritik, dem Wahrnehmen von Fehlentwicklungen und dem Aufspüren von historischen Verkrustungen und blinden Routinen. Mit anderen Worten: Auch eine gewisse Gesellschaftsdistanz ist angebracht.

„Als alter Universitätslehrer weiß ich, daß für die Studenten das Wesen der Universität in einer besonderen

Lebens-Freiheit besteht. Dazu sind Zeithaben und Zeitlassen notwendig", erklärt Manfried Welan in dem Buch. Für ihn gehören „denken um des Denkens willen und lernen um des Lernens willen" zu den wesentlichen Aufgaben der Universität. Sie solle deshalb auch Muße und Geselligkeit ermöglichen.

Dazu steht Welan auch jetzt noch, wie er im Gespräch mit der furche bestätigt. Und auch zum freien Zugang zu den Hochschulen. Er unterstütze „jede Unruhe, die die Universitäten ins öffentliche Bewußtsein rückt", bekennt Welan - so auch die jetzigen Proteste von Studenten und Hochschullehrern.

DIE FORMIERTE ANARCHIE

„Die Herausforderung der

Universitätsorganisation".

Von Ada Pellert und Manfried Welan

WUV- Universitätsverlag 1995.

197Seiten, öS298,-

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