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Digital In Arbeit

Unsere Kinder sollen studieren!

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Nachdem wir in den letzten beiden Folgen der „Furche" die Namen der Geld- und Buchpreisträger bekanntgegeben haben, veröffentlichen wir heute im Wortlaut die Antworten der zehn von der Jury als die besten anerkannten Einsendungen. Zwar wurde das umfassende, wichtige und umstrittene Thema von den verschiedenartigsten Standpunkten aus untersucht und beleuchtet, in der positiven Bewertung des Studiums aber war sich die überwiegende Mehrheit der Einsender einig. Wir geben nochmals unserer Freude darüber. Ausdruck, daß die an unsere Leser gerichtete Frage so gewichtige und verantwortungsbewußte Beiträge veranlaßt hat, und erteilen nun den Einsendern selbst das Wort:

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Nachdem wir in den letzten beiden Folgen der „Furche" die Namen der Geld- und Buchpreisträger bekanntgegeben haben, veröffentlichen wir heute im Wortlaut die Antworten der zehn von der Jury als die besten anerkannten Einsendungen. Zwar wurde das umfassende, wichtige und umstrittene Thema von den verschiedenartigsten Standpunkten aus untersucht und beleuchtet, in der positiven Bewertung des Studiums aber war sich die überwiegende Mehrheit der Einsender einig. Wir geben nochmals unserer Freude darüber. Ausdruck, daß die an unsere Leser gerichtete Frage so gewichtige und verantwortungsbewußte Beiträge veranlaßt hat, und erteilen nun den Einsendern selbst das Wort:

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Meine vieljährige Tätigkeit in der österreichischen Großindustrie war und ist lebendige Begegnung mit den Werktätigen im Masseneinsatz: Beruflich als Arbeits-, Sozial- und Lohnrechtler — überberuf- 1ich als Menschenberater. Einige persönliche Gedanken zu der sehr ernsten Frage:

1. Unsere Arbeiterschaft besitzt nur zum Teil Fachwissen. Die Masse jedoch ist angelernt und hat keine oder nur ungenügende Grundlagen für die Zusammenhänge und damit den Sinn ihrer Arbeit und der Produktion. Das Bildungswissen aber fehlt fast bei allen. Darum sind die Leute zum Großteil oberflächlich und haben keine wirklichen Interessen. Das wirkt sich besonders im Fehlen eines echten Arbeitsgeistes aus und in einer oft unbegreiflichen Gleichgültigkeit gegenüber Werkzeug, Anlagen und Material. Was helfen weiter gute Löhne und sozialer Wohnhausbau, wenn die Arbeiter Geld und Heim nicht richtig zu nutzen verstehen? (Erfahrungen mit Werkbüchereien, mit Kulturveranstaltungen und vielem anderem.)

2. Auch die industrielle Entwicklung in Oesterreich führt immer mehr weg vom Händischen und hin zur Apparatebetreuung — wir brauchen Vormänner, Vorarbeiter, Monteure, Aufsichtsorgane, die ihre Posten als Fachmänner und Menschen ganz ausfüllen können — für diese Reife genügt aber die Elementarschule im allgemeinen nicht.

3. Unsere Werktätigen wollen aus ihren Kindern möglichst schnell Geldverdiener machen — statt Opfer zu bringen und sie lernen, lernen und wiederum lernen zu lassen. Der Geschwindverdiener aber ist der rasch Satte und dann Enttäuschte, der unzufriedene Materialist.

i4. Unsere Eltern müssen umlernen. Der Wunsch „Meinem Kinde soll es einmal besser gehen“ findet nicht durch Beziehungen, Protektion, frühes Verdienen befriedigende Erfüllung, sondern wesentlich durch eine, harmonische Erziehung und weitestgespannte Schulung. Der Mensch muß wiederum mit sich selbst etwas anfangen können — dazu hilft ihm das Bildungswissen.

5. Unsere Kinder müssen umlernen. Der Schreibtischsessel ist kein Ideal. Das Fakturenschreiben und Versandpapiereausfüllen befriedigt weniger, als Rohmaterial formen und Güter mitschaffen. Weg mit der Scheu des Maturanten, des Intellektuellen vor „schmutzigen Händen“, „Kaminrauch und Fabrikstaub“. Die Industrie braucht bewußte Menschen, nicht Sklaven der Maschinen, sondern deren Ueberwinder.

6. Nicht das „Wo“ der Arbeit, sondern das „Daß und Wie“ der Arbeit entscheidet. „M itsprache und Mitbestimmung“ in den Betrieben bleiben demagogische Phrasen, solange uns die Menschen fehlen, die mitsprechen und mitbestimmen können. Eltern, Kinder: Wir brauchen. Wissende, Studierte, welche die Wirtschaft und die sozialen Probleme Oesterreichs nicht als Theoretiker, sondern als vollwertige Mitarbeiter befruchten und steuern.

7. Hohe Löhne und moderne Arbeiterwohnungen schaffen noch keinen sozialen Frieden — Theaterfreikarten und Schnellkurse der Gewerkschaften schaffen noch keine Volkskultur — Parteipresse und Magazine vergrößeren nur die erschreckende Kluft zwischen den ganz wenigen, welche die Forschungsergebnisse der Zeit noch begreifen können und der erdrückenden Masse der Unwissenden.

8. Die Gegenwart wird immer mehr beherrscht von dem „Panem et circenses“, vom Materialismus, vom Kollektivismus. Dem kann vornehmlich entgegengearbeitet werden durch Bildungswissen auf breitester Front — daher „sollen unsere Kinder studieren“ Hierzu — Eltern:

a) Lasset die Mittelschulen wieder lebendig werden und zeitnotwendige Schulformen, wie etwa Mittersill, ausbauen (mit der Matura Ablegung einer handwerklichen Gesellenprüfung).

b) Erkennet die Bedeutung der technischen Mittelschulen (Bulme u. dgl.) und gestaltet sie immer besser aus.

c) Laßt überlebte Vorurteile fallen — die Reifeprüfung ist gleich wichtig für den Werkmeister, Magazineur, Paßführer, Zuckerbäcker und Eisenhändler.

d) Drängt aber kein Kind in das Hochschulstudium (für die „Hohe Schule“ allerstrengste Auslese!).

e) Dann habt ihr dem euch vom Herrgott anvertrauten kostbarsten Gut, euren Kindern — und damit der Heimat und der Zukunft — Gutes getan.

Dr. Alois F a ul an d, Werksekretär, Groß- Veitsch Nr. 193, Mürztal, Steiermark.

Natürlich sollen unsere Kinder studieren, denn wir werden immer geistig Schaffende brauchen. Auf die Eignung kommt es aber an, und die scheint bei vielen, die studieren wollen und sollen, nicht immer vorhanden zu sein, zumindest nicht in dem Maße, wie es unsere Zeit erfordert. Daher muß eine bessere Auswahl getroffen werden. Diese Auswahl kann bei den Eltern beginnen.

Prüfen Sie Ihr Kind auf seine Eignung zum geistigen Beruf, indem Sie folgende Fragen in rücksichtsloser Wahrhaftigkeit beantworten:

1. Geht das Kind von selbst zu seinen Aufgaben? (Ja.)

2. Forscht es den Dingen des Unterrichtes in seiner Freizeit durch Lesen oder durch „ewiges“ Fragen nach? (Ja.)

3. Liest es gerne? (Ja.)

4. Liest es mehr aus Wissensdurst oder mehr zur Unterhaltung? (Aus Wissensdurst.)

5. Hat es Freude am Buch an sich? Dies ist besonders an der Buchpflege zu erkennen. (Ja.)

6. Ist seine Sammelfreude auf Dinge des Wissens (Tierbilder, Blumenbilder, Herbarium, Steinsammlung, Markensammlung u. ä.) oder auf mehr oder weniger neutrale Dinge gerichtet (etwa Sportler, Filmschauspielcr, Rennfahrer u. ä.)? (Dinge des Wissens.)

7. Müssen Sie den Fortgang in der Schule außer nach langer Krankheit manchmal durch Nachhilfestunden fördern? (Nein.)

8. Schiebt Ihr Kind seine Aufgabe gerne so weit hinaus als möglich? (Nein.)

9. Stöhnt es öfter über die vielen Aufgaben? (Nein.)

10. Schielt es manchmal (bei Größeren) zu den schon entlassenen Schülern, die in die Fabrik gehen und schon s o viel verdienen? (Nein.)

11. Ist Ihr Kind ohne weiteres in der Lage, einmal auf Süßigkeiten, Kino' oder andere Vergnügen unvorbereitet zu verzichten? (Ja.)

12. Hat es in seinen letzten Zeugnissen ein Befriedigend oder Genügend gehabt? (Nein.)

Können Sie alle Fragen so beantworten, wie es in den Klammern angegeben ist, dann kann man bei eigenem Wunsch des Kindes zum Studieren empfehlen. Andernfalls wird Ihr Kind später an seinem geistigen Beruf viel leiden, weil es ihn nicht meistern kann.

(Dieser Test kann im allgemeinen bei Zehnjährigen, die ein Gymnasium oder eine Realschule beziehen sollen, bei Vierzehnjährigen, die Lehrer werden sollen und bei Maturanten, die an die Universität oder die Hochschule gehen wollen, angewendet werden.)

Josef Hasel, Hauptschullehrer, Pottschach Nr. 320, Niederösterreich.

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