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Unsere Mittelschule

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Mit berechtigtem Stolz konnte unser Sechsmillionenvolk auf seine Schulen blicken. Die Hauptschulen vermittelten der Jugend ein reiches und gründliches Wissen, das sie befähigte, handwerkliche und kaufmännische Berufe gründlich zu erlernen und den Leistungskampf erfolgreich zu bestehen. Und die Mittelschulen gaben ihren Abgängern Kenntnisse mit auf den Weg, die ein Ganzes bildeten und nicht durch ein Nippen und Naschen aus jedem Wissenszweig zusammengetragen waren.

Nun müssen wir darangehen, unser Schulwesen neu aufzubauen, denn dieses hat der Nationalsozialismus schon arg zertrümmert. Glücklicherweise können wir dabei uns an einer ruhmreichen Vergangenheit ein Vorbild nehmen. Die Organisation der Mittelschulen und die neuen Lehrplänc werden von den Schulbehörden und den Schulleitungen schon mit Ungeduld und Spannung erwartet, denn man will und muß doch das Ziel der Aufgabe wissen, um führen und arbeiten zu können. Wie man bisher erfahren konnte, sollen die ersten vier Jahre der Mittelschule im wesentlidien den Lehrplan der Entsprechenden Schuljahre der Hauptschule als Grundlage haben, um den Schülern den Übertritt von einer Schulgattung in die andere zu erleichtern. Wenn auch manche Gründe dafür sprechen, so kann ich mich nicht restlos hineinfinden. Die Hauptschule hat den Zweck, die Schüler auf die kaufmännischen und handwerklichen Berufe vorzubereiten, wogegen die Mittelschule sie für das Hodischulstudium befähigen soll. Die Zielsetzung beider Schultypen ist verschieden. Die eine will jene Dispositionen im Jugendlichen wecken und fördern, die — um mit Spranger zu sprechen — zu einer ökonomischen, die andere, um zu einer theoretischen Lebensform zu führen. Freilich müssen die hiezu notwendiger! Anlagen vorhanden sein. Da sich dies aber nicht in den ersten Schuljahren zeigt, eigentlich erst nach den Reifejahren, so schuf man eben den gemeinsamen Unterbau bis zum 14. Lebensjahr. Nun bin ich der Meinung, ein Übertritt von der Mittelschule in die Hauptschule wird meist möglich sein; wichtiger ist die Frage des Übertrittes von der Hauptschule in die Mittelschule. Die Fremdsprache ist kein Hindernis, das neu hinzukommt. Diese Schwierigkeit wird für den Hauptschüler stets bestehen. Hat sich nun tatsächlich in der Hauptschule gezeigt, daß der Schüler besonders begabt ist, so wird er auf Grund dieser Begabung den fehlenden Lehrstoff rasch nachlernen, wenn es überhaupt notwendig sein wird. Hier könnte doch der Ausweg gefunden werden, allen derartigen Schülern im Verordnungsweg eine Zeitspanne (einen oder zwei Konferenzabschnitte) Zeit zum Eingewöhner und Nachholen zu geben und sie erst nach Ablauf dieser Frist zu beurteilen. Die Mittelschule soll an ihrem Ziel, vornehmlich die theoretischen Werte in den Vordergrund des Unterrichtes zu stellen, festhalten und diese Zielsetzung auch gleich von Anbeginn im Auge behalten, denn früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will. Hoffentlich liest niemand aus diesen Sätzen, daß ich schon in der Unterstufe mit wissenschaftlichen Methoden an die Kinder herankommen will, aber den Ernst sollen sie spüren, daß mit dem Lernen auch manchmal Unlust-gefühle verbunden sind, die überwunden werden müssen.

Nach Vollendung der Unterstufe soll zum Aufsteigen in die Oberstufe eine strenge Auslese vorgenommen werden. Die Schüler der Oberstufe müssen im allgemeinen Gewähr bieten, daß sie für wissenschaftliches Studium geeignet sind, wenn sie auch vielleicht in dem einen oder anderen Fach nur schwache Leistungen vollbringen können. Bei diesem Übergang bietet sich den Schülern die Gelegenheit, an Berufsschulen weiterzustudieren. So manche Eltern schon waren mir dankbar für den Rat, ihren Sohn in eine Kunstgewerbeoder Staatsgewerbeschule oder in eine andere Fachschule einschreiben zu lassen. Dort fanden die Kinder den Beruf, der ihrer Neigung und Eignung entsprach. Freilich, viele Eltern gab es nicht, die sich hiezu entschlossen. Der Grund lag darin, daß die Meinung stark verbreitet ist, nur die Mittelschule und die Hochschule können Bildung vermitteln. Die Bildung muß sich der junge Mann selbst erringen. An jedem Kulturgut kann er seine sittliche Gesinnung, die Ganzheit seiner Persönlichkeit, seine Leistung und seine Beherrschung erproben. Dringend geboten war es, daß genügend Berufsschulen zur Verfügung stehen und daß für die mittleren geistigen Berufe nicht die Reifeprüfung einer Mittelschule verlangt wird, sondern daß das Abgangszeugnis einer Berufsschule dafürvorbehaltlosgenügt. Damit würde auch ein großer Teil der Übertritte aus der Hauptschule in die Mittelschule wegfallen, denn für den Besuch der meisten Berufsschulen sollte nur das Abgangszeugnis der Hauptschule gefordert werden. Und es wird an den Abgängern der Fachschulen liegen, den Ruf der Schule zu heben oder im Alltag versinken zu lassen, je nachdem sie als Mann das vermittelte Wissen zu ihrer Ver-sittlichung und zum weiteren Streben nach Kenntnissen und Wahrheit gebrauchen oder den Triebforderungen nachgeben und froh sind, ein Brotstudium vollendet zu haben.

In der Oberstufe soll der Schüler allmählich daran gewöhnt werden, an einem größeren Problem seine Kenntnisse, eine zergliedernde lind aufbauende (analytische und synthetische) Arbeitsweise, seine Kritikfähigkeit und die Darstellung im geschlossenen Zusammenhang zu üben und zu erproben. Nicht die Fülle von Einzelkenntnissen darf das Ziel sein, auf das hinzusteuern ist, sondern das Erwecken vorj Lustgefühlen an theoretischen Werten, die Erfassung von Zusammenhängen und das Festhalten an der Erreichung eines gesteckten Zieles.

Und von diesem Gesichtspunkt aus sehd ich auch die Reifeprüfung. Ich bin grundsätzlich für ihre Beibehaltung. Die Hausarbeit dürfte aber nicht mehr auf erstehen. Sie war ein gutgemeinter Versuch, der seine Erprobung nicht bestanden hat. Eines aber wäre notwendig — und da spreche ich aus Erfahrung: zu verändern, daß die Lehrer die Reifeprüfung als eine Kontrolle ihrer Lehrtätigkeit betrachten und die Schüler auf die Fragen vorbereiten. Wenn sich diese demoralisierende Gewohnheit, die doch die Schüler durchschauen, nicht auf ein ganz geringes Maß — vollständig wird es nie zu vermeiden sein — eindämmen läßt, dann fort mit der Reifeprüfung, obgleich ich es nicht nur sehr bedauern, sondern es beinahe für ein Unglück ansehen möchte. Selbst der Lehrbub muß seine Gesellenprüfung ablegen, und die Mittelschulreife sollte nur von den Jahres: leistungen abhängen, die mit mehr oder weniger Wohlwollen der einzelnen Fach lehrer gegeben wurden, wobei nicht einmal ein Unterschied gemacht wird, ob der Leh rer auf eine langjährige Erfahrung zurückblicken kann oder ob er selbst noch einer Führung bedarf? Für Mathematik, mein Fachgebiet, halte ich es darum für zweckmäßig, wenn zur schriftlichen Reifeprüfung für alle Anstalten eine einzige Gruppe von Aufgaben den Prüflingen zur Bearbeitung gegeben wird. Die Beispiele sind aus den von den Fachlehrern eingesandten Vorschlägen durch den Landesschulrat auszuwählen. Dies könnte auch ganz gut für die übrigen Gegenstände Anwendung finden, obgleich ich weiß, daß in Latein und Griechisch dieser Grundsatz wegen der Verschiedenheit in der Lektüre schwerer durchzuführen ist. Aber auch hier ließe sich eine Lösung finden. Könnte man nidit für das laufende Schuljahr allen Anstalten eine*] Landesschulbehörde die Lektüre vorschreiben? Eine Voraussetzung der gleichen Aufgaben für den Bereich eines Landesschul rates wäre, daß die schriftlichen Prüfungen an allen diesen Anstalten zur gleichen Stunde stattfinden müssen. Aber einen Vorteil würde ich noch darin erblicken, daß an allen Schulen ziemlich gleichmäßig gearbeitet werden muß, daß die Aufgaben einem' durchschnittlichen und dem Lehrplan entsprechenden Wissensstande entnommen sein müssen, was wenigstens in Mathematik und Darstellender Geometrie bisher nicht der Fall war. Einige Lehrer sandten Aufgaben ein, die beinahe Sondergebiete des Stoffes behandelten, andere wieder solche, die ein Schüler beinahe schon auswendig konnte, und höchstens die Durchführung des zahlenmäßigen Rechnens einen Fehler mit sich brachte. Auch hier könnte nur ein längerer Versuch den Wert oder Unwert gemeinsamer Aufgaben erweisen Die Erfahrungen, die man in Frankreich und Holland mit den für das ganze Staatsgebiet einheitlichen Aufgaben machte, kann man nicht ohne weiteres auf Österreich anwenden, da die Organisation der Schulen und des Unterrichtes nicht gleichartig sind.

Es sei hier noch auf das Geometrische Zeichnen in der Unterstufe hingewiesen. Ich hielt es für einen großen Segen, daß diese Fertigkeit an der Realschule und am Realgymnasium Pflichtgegenstand war. In diesem Alter (12 und 13 Jahre) ist der Schüler dafür sehr empfänglich, lernt seine Hand beherrschen, empfindet den Wert einer genauen und reinlichen Zeichnung und ist audi noch fähig, dies einigermaßen zu erlernen, falls ihm dafür die Blegabung fehlt. Es ist die Zeit, in der sich die Knaben für die Beschäftigung in der Freizeit ein besonderes Gebiet erwählen. Sammelt der eine Käfer und Schmetterlinge, so wird de* andere sich ein kleines chemisdies Labora torium einrichten, der dritte vielleicht siefi mit Buchbinderarbeiten beschäftigten und ein Großteil der Knaben interessiert sich für Maschinen und Motoren. Dabei verwenden sie gerne ihre Fertigkeit im Geometrischen Zeichnen, da sie durch äußere Ausstattung den Mangel an Inhalt zu ersetzen trachten. Nicht nur daß hiedurch Begabungen geweckt und gefördert werden, so ist ihnen durch“ dieses Lehrgut der Eintritt in eine Fachschule erleichtert oder sogar erst zugänglich gemacht.

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