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Unsere Volksschule heute

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Das Schulgesetzwerk 1962 hat Im Schulrat für die Volksschulen nur wenig Änderungen gebracht: Die Kampetenzverteilung blieb, die Organisationsgrundsätze sind unverändert, lediglich die Einrichtung von Ausbauvolksschulen kam hinzu. Es gab daher auch keine Umstellungsschwierigkeiten, selbst der neue Volksschullehrplan war seit Jahren vorbereitet. Und dodi ist die Lage der Volksschulen nun eine vielfach veränderte gegenüber früher.

Das gilt zunächst schon für die Zahl der Volksschulen; sie ist mit 4175 jetzt am geringsten, denn noch 1960 zählte man 4393, im Jahre 1950 genau 4400 und im Jahre 1937 gar 4658 (immer einschließlich der Exposituren und Notschulen). Der Rückgang seit 1960 ist die Folge entsprechender Maßnahmen zur Schulenkonzentration in Wien, Niederösterreich, Burgenland und Vorarlberg.

Die „Dreiklassigen"

Die Reorganisationsbestrebungen zielen auf eine Verbesserung der Schulstruktur ab, und zwar durch möglichst umfassende Beseitigung jener bekannt schwierigen Volksschulklassen, in denen drei und mehr Schulstufen zusammen unterrichtet werden müssen, also praktisch der ein- und zweiklassigen sowie teilweise auch dreiklassigen Volksschulen. Diese weniggegliederten Schulen, um die sich seit 1946 die österreichische Landschulemeuerung mit großem Erfolg bemühte, machten 1937 rund 72 Prozent der Gesamtzahl aus, 1950 etwa 55 Prozent, 1960 wieder 59 Prozent und 1966 nur noch 50 Prozent. Das Ziel dieser Bestrebungen, deren Problematik — die Entblößung der kleineren Siedlungen von einem wichtigen Kulturmittelpunkt, die Vergrößerung der Schulwege und des Fahrschülerwesens hinab in die Grundschule — allgemein bekannt, weil leidenschaftlich diskutiert wurde, ist die möglichst allgemeine Beseitigung der Volksschulklassen mit drei und mehr Schulstufen in einem Klassenverband.

Zunächst sind diese Bestrebungen noch weit von ihrem Ziel entfernt, denA nach der bisher letzten Erhebung darüber im Schuljahr 1963/64 waren von der Gesamtklassenzahl der Volksschulen 59 Prozent einstufig und 15 Prozent zweistufig, aber noch 26 Prozent umfaßten drei oder mehr Schulstufen. In der Zwischenzeit hat sich dieser letztgenannte Prozentsatz verringert und haben sich die einstufigen Klassen entsprechend vermehrt.

Schwund der Volksschuloberstufen

Übrigens wurde und wird der Abbau wenigklassiger Volksschulen durch eine Entwicklung beschleunigt, die allerdings die ursprüngliche Konzeption der Volksschule wesentlich verändert: durch die Beseitigung oder doch fortgesetzte Schrumpfung der Volksschuloberstufe. Die Ausweitung des Hauptschulbesuches und der verstärkte Zuzug zu den höheren Schulen hat die fünften bis achten Schulstufen der Volksschulen zunächst leistungsmäßig beeinträchtigt (Abgang der schultüchtigen Schülergruppen) und dann immer mehr entvölkert. Während 1937 nur 646 Hauptschulen geführt wurden, waren es im vergangenen Schuljahr 908, damals mit 3895 Klassen, zuletzt mit 7249, damals mit 142.698 Schülern, zuletzt mit 224.748. Im Zuge des schulpolitischen Ausgleichs im Schulgesetzwerk 1962 ist es ferner zu einer früher unvorstellbaren Ausweitung der zweizügigen Führung der Hauptschulen gekommen: sie stagnierte vor 1962 mit etwa einem Drittel der Gesamtzahl und ist seither auf 72 Prozent angewachsen. Diese lange noch nicht abgeschlossene Entwicklung entzieht den Volksschuloberstufen weitere Schülergruppen, so daß ihnen vielfach nur noch Einzelschüler oder Reststände verbleiben.

Die Streuung des Schulbesuches

Ein klarer Überblick darüber, wie und wie weit die Umgestaltung vor sich gegangen ist, läßt sich am besten aus der perzentuellen Streuung des Schulbesuches der Zehn- bis Vierzehnjährigen auf die in Betracht kommenden Schularten (Typenproportion) gewinnen. Im Jahre 1900 nämlich besuchten etwa 77 Prozent dieser Schülergruppe die Volks- und Sonderschuloberstufen, zirka 20 Prozent die Bürgerschulen und nur bei 3 Prozent die allgemeinbildenden höheren Schulen (Mittelschulen); um 1938 lauteten die entsprechenden Verhältniszahlen etwa 51 — 40 — 9, um 1950 zirka 48 — 52 — 10 und im Jahre 1965 rund 30 — 55 — 15. Die Entwicklung tendiert in den nächsten zehn Jahren offenbar auf eine Verteilung von 20 — 60 — 20. Angewendet auf Schulein tri ttsjahr- gänge von 120.000 bis 125.000, wie sie nun und im nächsten Jahrfünft in die Schule einrücken, lassen sich gewisse Anhalte über künftige Schülerentwicklungen finden. Dazu ist freilich, um eine Verfeinerung zu erreichen, der Schulzeitverlust durch Repetieren, Zurückstellung vom Schulbesuch und schulstufengleicher Übertritt in andere Schularten in Betracht zu ziehen. Diesen Erscheinungen und Problemen wenden wir uns mm zu.

Eine Erhebung über das neunte Schuljahr im Schuljahr 1966/67 hat ergeben, daß von dem dafür verpflichteten Schuledntrittsjahrgang etwa 33V» Prozent mittlere oder höhere Schulen besuchten, 61.754 aber allgemeinbildende Pflichtschulen. Von diesen hatten in acht Schuljahren nur 27.693 die oberste Schulstufe (Klasse) mit Erfolg besucht. Unter Berücksichtigung der Unterstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen ergibt sich also, daß zirka 40 Prozent aller Schüler im Laufe von acht Schuljahren einen Schulbahnverlust von einer oder mehreren Schulstufen (Klassen) erleiden. Ein Siebentel dieser 40 Prozent entfällt auf Zurückstellungen vom Schulbesuch, ein Sechstel auf sdhulstufengleiche Übertritte (wie zum Beispiel von der 5. Volksschulstufe in die 1. Hauptschulklasse beziehungsweise von der 1. Hauptschulklasse in die 1. Klasse allgemeinbildender höherer Schulen), der Rest sind echte Repeten ten (zirka zwei Drittel). Wenn man nun die Repetenten darauf hin untersucht, welche Schulstufen (Klassen) am häufigsten wiederholt werden müssen, stellt man fest: mit fast 28 Prozent die erste Schulstufe, mit 25 Prozent die fünfte (erste Hauptschulklasse usw.) und mit 24,5 Prozent die zweite. Die Gefahr des Mißerfolges ist also am größten in den Einschulungsjahren und macht in der Unterstufe der Volksschule (1. und 2. Schulstufe) rund 52,5 Prozent aus. Bemerkenswert ist auch, daß unter den Schulmißerfolgen die Zwei- und Mehrfachrepetenten etwa 37 Prozent ausmachen, davon die Mehrheit in den Volks- und Sonderschulen.

Der Lehrermangel

In der Gegenwart bedeutet der seit Jahren verschärfte Lehrermangel eine schwere Belastung vor allem für die Volksschulen. Für 2291 Volksschulklassen mußte im vergangenen Schuljahr die Überschreitung der Klassenschülerhöchstzahl 40 toleriert werden. Gegenüber 1965/66 stieg die Klassenzahl um 245 an, die Zahl der Klassenlehrer aber nur um zehn. Im Bundesdurchschnitt ist jeder achte Dienstposten unbesetzt beziehungsweise muß durch Mehrdienstleistungen erfüllt werden. Die Verhältnisse sind in den Bundesländern sehr verschieden, im ganzen aber — nur Wien ausgenommen, das einen beträchtlichen Lehrerüberhang hat und dafür bezahlt — schlechter als der Bundesdurchschnitt, am schlimmsten in Vorarlberg und Oberösterreich. Es wird noch etwa ein Jahrzehnt dauern, bis die gröbsten Fehlbestände ausgeglichen sind.

Das Bild von der österreichischen Volksschule heute wäre unvollständig, würden wir nicht etwas über ihre innere Gestaltung sagen. Ausgehend von der österreichischen Landschulemeuerung oder mit ihr im Zusammenhang wurde allerorten so viel Reformeifer entwickelt, daß gewisse Schulleute zur Mäßigung aufriefen und einen behutsameren Vorgang empfahlen.

Der Erfolg all dieser Bemühungen wurde in die österreichische Schul- emeuerung unserer sechziger Jahre eingebracht, die das Schulgesetzwerk 1962 einleitete. Der Lehrplan der Volksschule 1963, ein auch im Ausland als fortschrittlich anerkanntes Lehrprogramm, hat all diesen Aufgaben und Absichten der inneren Neugestaltung der Volksschule eine feste Grundlage und hinreichenden Spielraum gegeben. Ein gleiches wird auch vom noch zu schaffenden Schulunterrichtsgesetz für jene schulrechtlichen Vorschriften (wie Aufnahme, Übertritt, Schülerbeurteilung, Zeugniswesen usw.) erwartet, die das Schulgesetzwerk 1962 einer späteren gesonderten Regelung Vorbehalten hat.

Eine realistische, ungeschminkte Darstellung darf aber nicht verhehlen, daß auch in der inneren Gestaltung der Schulen noch viele unbefriedigende Lösungen, Gewohnheiten und Vorgänge wirksam sind, deren Änderung weiterer konsequenter Arbeit bedarf.

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