Frank Huss berichtet, wie er als engagierter AHS-Lehrer an den Widrigkeiten des österreichischen Schulsystems scheiterte und wie er heute damit umgeht. Das Gespräch führte Sylvia Einöder
Mit dem Tatsachenroman "Schularbeit. Die Leiden eines Lehrers“ hat Frank Huss seine Erfahrungen niedergeschrieben und zeigt Kollegen Wege aus dem Burn-out.
Die Furche: Wie lange liegt Ihr Burn-out inzwischen zurück?
Frank Huss: Vier Jahre, ich war damals 37. Damals war ich absolut am Boden, brauchte eine Auszeit: Ich litt unter Schlafstörungen und Panikattacken, Herzrasen und Magenkrämpfen. Ich benötigte professionelle Hilfe.
Die Furche: Welche Erwartungen hatten Sie an den Lehrberuf?
Huss: Ich dachte, es würde reibungslos klappen, meine Begeisterung für Musik, Deutsch und Geschichte den Schülern zu vermitteln. An die zwischenmenschlichen Verstrickungen habe ich als Student nicht gedacht.
Die Furche: Wie viel Praxis hatten Sie beim Berufseinstieg?
Huss: Ich hatte quasi null praktische Erfahrung. Während einer kurzen Übungsphase musste ich eine einzige Stunde unterrichten. Viele Inhalte, die ich an der Uni gelernt hatte, erwiesen sich als für die Unterstufe ungeeignet.
Die Furche: Mit welchen Problemen waren Sie im Unterricht plötzlich konfrontiert?
Huss: In der Musikstunde wollen die Schüler Spaß haben, eine lockere Stunde verbringen: Sobald ich ins Klassenzimmer kam, haben sie mich bestürmt, dass sie einen Film anschauen möchten oder Musik hören, aber keinen Stoff durchnehmen. Die Schüler permanent zu motivieren und zu ermahnen, kostet viel Energie.
Die Furche: Sie beschreiben, der Lärmpegel in der Schule belaste.
Huss: Der Lärm ist nach wie vor die größte Belastung. Es ist nie ruhig in der Klasse. Während Gruppenarbeiten habe ich bis zu 98 Dezibel gemessen, das entspricht dem Lärmpegel eines Presslufthammers. In der Pause ist es auf den Gängen laut, ebenso im großen Lehrerzimmer.
Die Furche: Haben Sie sich in Ihrer Krise Kollegen anvertraut?
Huss: Nein. Ich habe den Kollegen bewusst nichts gesagt, weil ich nicht als schwach gelten und Mitleid ernten wollte. Sowohl mein Burn-out als auch die Therapie habe ich verheimlicht. Die Burn-out-Dunkelziffer ist bei Lehrern besonders hoch.
Die Furche: Nun haben Sie sich durch das Buch geoutet. Wie reagierten die Kollegen ?
Huss: Ich habe lange überlegt, ob ich mit meinem Burn-out an die Öffentlichkeit gehen soll. Nun finden die Kollegen meinen Schritt mutig. Sie halten die Tipps und Vorschläge in meinem Buch für hilfreich.
Die Furche: Viele Lehrer frustriert ihr schlechtes Image.
Huss: Wir werden gerne als faule Nichtstuer dargestellt, unsere Arbeit als gemütlicher Halbtagsjob. Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, wie viele Stunden man wöchentlich arbeitet, sondern wie anstrengend ein Job ist. Dieser beinharte Job wird weder gesellschaftlich noch finanziell ausreichend gewürdigt.
Die Furche: Wie könnte der Lehrberuf aufgewertet werden?
Huss: Indem Aufstiegsmöglichkeiten und Leistungsanreize geschaffen werden. Für zusätzliche Leistungen sollte es wie in der Privatwirtschaft Bonuszahlungen geben. Ich habe ein Musical komponiert, mit den Schülern einstudiert und aufgeführt - dafür gibt es keinen Cent.
Die Furche: Inwiefern hat sich Ihr Umgang mit den Schülern verändert?
Huss: Das wichtigste Schlagwort lautet Gelassenheit. Heute sage ich ganz direkt, "Mich stört jetzt, dass ihr laut seid“, und erst wenn dann noch immer keine Ruhe einkehrt, ziehe ich Konsequenzen. Mit Freundlichkeit und Empathie erreiche ich viel mehr. Früher habe ich viel Energie darauf verschwendet, zu schimpfen, doch dadurch habe ich nur den Widerwillen der Schüler geweckt. Sie wissen, wo meine Schwächen liegen.
Die Furche: Welche Rollen verlangen Ihnen die Schüler ab?
Huss: Als Lehrer bin ich auch Freund, Mama, Papa, Nachhilfelehrer. Praktisch die Hälfte der Schüler sind Scheidungskinder. Viele Leute beschäftigen sich zu wenig mit ihren Kindern, das bekommen wir zu spüren. Es gibt immer weniger Umgangsformen.
Die Furche: Wie bewältigen Sie diese Situation?
Huss: Wenn man ständig helfen will, kann man sich schnell aufreiben. Heute versuche ich, die Probleme der Schüler nicht mehr so nah an mich ran zu lassen. Es ist sehr schwer, Distanz zu wahren, denn viele gehen sofort auf eine persönliche Ebene, erzählen familiäre Dinge.
Die Furche: Was müsste sich strukturell ändern, damit Lehrer besser ihrer Aufgabe, dem Unterrichten, nachgehen können?
Huss: Es bräuchte mehr Sozialarbeiter und Psychotherapeuten an der Schule. Wir sind für diese Aufgaben nicht ausgebildet, es fehlt auch die Zeit dafür. Wir bräuchten mehr Supervisions-Stellen, Anlaufstellen für Lehrer. Zudem sollte es Personal für administrative Angelegenheiten geben.
Die Furche: Wie sollte der Unterricht gestaltet sein, damit auf die Bedürfnisse der Schüler eingegangen werden kann?
Huss: Die Klassen sollte kleiner sein - maximal 15 Schüler pro Klasse wie in Finnland. Team Teaching in allen Fächern wäre eine Win-win-Situation für Schüler und Lehrer. Ältere und jüngere Lehrer könnten von einander profitieren.
Die Furche: Immer mehr Schüler sind überlastet, benötigen Nachhilfe.
Huss: Als Erstes bräuchten wir eine Ganztagsschule. Sechs Stunden Unterricht am Vormittag sind zu viel. Da geht die Konzentration der Schüler verloren. Die Ganztagsschule würde die Hausübung und den Nachhilfeunterricht obsolet machen. Wie bräuchten eine anständige Mittagspause wie in Skandinavien oder in den USA. In jeder Schule sollte es eine Mensa geben, die Infrastruktur für Freizeitaktivitäten, auch Rückzugsräume für Schüler und Lehrer. Wir bräuchten dringend einen eigenen Arbeitsplatz mit Computer. Derzeit haben wir an unserer Schule vier Computer für 60 Lehrer.
Die Furche: Viele unzufriedene Lehrer wechseln den Job mangels Alternativen nicht.
Huss: Auch ich habe mir nach dem Burn-out Alternativen überlegt, aber ein Umstieg ist in Österreich nur schwer möglich. Es bräuchte Ausstiegsmöglichkeiten für Lehrer, etwa in die Lehrerausbildung oder in die Verwaltung. Ich liebe diesen Beruf trotz der Systemkritik - es sollten sich nur die Rahmenbedingungen verbessern.
Schularbeit
Von Frank Huss,
edition a 2012
251 S., geb
* 19,95