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Vale, universitas!

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„Die heutige Universität steht in einer latenten Krise, weil ihre eigentliche Merk-maligkeit, die .universitas', als Bewußtsein einer Einheit der Wissenschaft verlorenging.“ Diesen Satz stellte Univ.-Prof. Schwarz, der Ordinarius für Pädagogik und Kulturphilosophie an der Universität Wien, als Leitgedanken über seinen Vortrag „Sinn und Auftrag der heutigen Universität“, mit dem er am 9. November im Auditorium maximum die Vortragsreihe des Österreichischen Cartellverbandes (CV) eröffnete. Noch selten wurde mit solcher Offenheit die akademische Bildungskrise zur Sprache gebracht, noch selten wurden so prägnant und deutlich ihre Wurzeln freigelegt. Solche schonungslose Offenheit mag in mancher Hinsicht eine gewisse Härte bedeuten. Sie ist aber notwendig, wenn man die Tragweite dieses Geschehens bedenkt.

Die Einheit der Wissenschaft bewußt machen — dieses im Einleitungsvortrag als so dringlich notwendig dargestellte Anliegen ist das Hauptziel der gesamten ÖCV-Vortragsreihe. Sie soll sich mit der gemeinsamen Basis der einzelnen Fakultäten und Studienrichtungen beschäftigen,

DAS GRUNDLEGENDE WERK DER POLITISCHEN PSYCHOLOGIE:

Wilfried Dahn

DIE KASTENLOSE GESELLSCHAFT

544 Seiten, 16 Bildtafeln, 5 Texttafeln, zahlreiche Tabellen, Leinen, S 168.70

Nicht die Klasse, sondern die Kaste schafft primär die Spannungen in der Gesellschaft. Mit diesem neuen Schlüssel eröffnet sich die Psychologie verschiedenster Ideologien, wie die des Feudalismus, des Nationalismus, des Nationalsozialismus, dem Kommunismus und des Sozialismus.

„Das revolutionärste Buch seit Karl Marx' ,Das Kapital'“, sagte Friedrich Heer von diesem Werk.

Erhältlich in allen Buchhandlungen AUSLIEFERUNG HEROLD, WIEN VII mit ihren Zusammenhängen und Querbeziehungen. Es geht um die Idee der“ Universität als der Idee von der Zusammengehörigkeit, von der Konvergenz allen Wissens. Das Teilgebiet soll durch diese Einordnung in seiner Begründung erfaßt werden. Die zu Beginn gestellte Frage nach dem Sinn der Universität und des akademischen Studiums soll sich jeweils unter dem Aspekt einer Einzeldisziplin durch die ganze Vortragsreihe hindurchziehen. Sie beabsichtigt damit, soweit das in dem zeitlich beschränkten Rahmen überhaupt möglich ist, einen Beitrag zu einem in der gegenwärtigen Situation der Universität so notwendig gewordenen Studium generale zu leisten.

Es war ein echtes Bedürfnis, das den Anstoß zu diesem Unternehmen gab. Dem Durchschnittsstudenten fehlt heute eine spezifisch akademische Betrachtungsweise. Er sieht über den engeren Kreis seines Fachgebietes nicht hinaus und betrachtet es losgelöst von jedem übergreifenden Sinnzusammenhang. Er nimmt den ihm in einem oft allzu stark geregelten Lehrplan gebotenen Lernstoff als Tatsachenwissen hin, ohne lange kritisch zu prüfen oder eine tiefere Begründung zu verlangen. Das Studium ist ihm nicht mehr als die für die Ausübung eines akademischen Berufes notwendige Ausbildung. Dem eigenen Spezialgebiet steht er meist ohne jene innere Beziehung gegenüber, die den Anstoß für eine tiefere Sinnfrage geben müßte. Die Aufgeschlossenheit für außerfachliche Fragenkreise fehlt. Seine Mentalität ist die eines Fachschülers, der nach beruflich verwendbarem Sachwissen strebt, nicht die eines Studenten, dem die Wissenschaft ein persönliches Anliegen bedeutet, der sich darüber hinaus um die richtige Erkenntnis seiner Umwelt und seiner selbst bemüht.

Diese Haltungen wirken sich weniger in einem Absinken der Studienerfolge aus, das durch Prüfungseifolge zu kontrollieren wäre, als vielmehr in einer Stagnation im geistigen Leben der Studentenschaft. Die tiefe Gleichgültigkeit gegenüber Problemen, die nicht das engste Fachgebiet betreffen, das allgemeine Desinteresse an kulturellen Belangen, die Standpunkt-losigkeit gegenüber den Ereignissen der Umwelt, der Mangel an geistiger Dynamik sind die auffälligsten Symptome dieser sterilen Atmosphäre. Man mag diese Erscheinungen als eine durch den allgemeinen Wohlstand und die Saturiertheit unserer Zeit bedingte geistige Trägheit zu erklären versuchen — diese Gründe allein aber reichen nicht aus, um die Entfremdung einer Studentengeneration gegenüber dem Wesen des Akademischen verständlich zu machen.

Der Vorwurf, der heutige Durchschnittsstudent sei durch den Hinweis auf eine eigentlich akademische Einstellung gar nicht anzusprechen, trifft nicht immer zu. Gerade das lebhafte Echo nach dem erwähnten Vortrag über Sinn und Auftrag der Universität hat gezeigt, daß durchaus eine Empfänglichkeit für solche Gedanken besteht. Aber wo werden derartige Fragestellungen an den Studenten herangetragen?

Unter den verschiedenartigen Vorschlägen zur Überwindung des akademischen Spezialistentums wird immer wieder die Forderung nach einem Studium generale erhoben. Dieser Ausdruck hat im Verlauf der Diskussionen einen üblen Beigeschmack bekommen. Er ist in Mißkredit geraten, einerseits, weil er falsch verstanden wurde, anderseits, weil immer wieder behauptet wird, alle Experimente in dieser Richtung hätten zu keinen befriedigenden Resultaten geführt. Ein Studium generale kann kein moderner Ersatz für eine „Allgemeinbildung“ sein. Umfassendes Wissen in den verschiedensten Fachgebieten zu haben, war in der einheitlichen Bildungswelt früherer Zeiten noch bis ins 19. Jahrhundert hinein möglich. Beim heutigen Stand der Wissenschaften kann ein solches Ziel nicht mehr aufrechterhalten werden. So verstanden wäre auch die „Vermittlung einer höheren Allgemeinbildung“, die die österreichische Hochschulgesetzgebung als Aufgabe der Hohen Schulen bezeichnet, eine in Anbetracht der realen Bildungsmöglichkeiten unerfüllbare Forderung. Das Anliegen des Studiums generale ist es aber nicht, additives Wissen zu vermitteln. Es geht dabei vielmehr um die Grundlagen, so daß mit der Bezeichnung „Studium fundamentale“ die eigentliche Zielsetzung besser getroffen wäre.

Der Versuch, die Spezialisierung im Hochschulstudium zu überwinden, müßte zunächst im einzelnen Fachgebiet ansetzen. Hier geht es um die prinzipielle Fundiening. Jedes SpezialStudium müßte in seiner eigenen Tiefendimension betrieben werden. Das: erfordert eine wesenhaft akademische, das ist philosophische Betrachtungsweise. Eine gültige Jurisprudenz etwa vermag sich erst vom Leitbild der philosophischen Problematik um Sinn, Gültigkeit und Grenzen des Rechts her zu erfüllen. Die Medizin darf sich nicht mit der Perfektion in ärztlicher Technik und Kunst begnügen, sondern muß darüber hinaus zu den übergreifenden Fragen nach Sinn und Grenzen des Arzttums, nach einer ärztlichen Ethik und Anthropologie vorstoßen. Diese Forderung gilt in gleicher Weise für die übrigen Studienrichtungen. Gleichzeitig müßte eine intensive Beschäftigung mit den Grundlagen der Methodik und Wissenschaftslehre der speziellen Fachrichtungen, mit ihren Querverbindungen zu anderen Disziplinen sowie ihrer Stellung im Gesamtbild des Wissens stattfinden. Das Eingehen auf die Tiefendimension der einzelnen Fachrichtung allein reicht jedoch nicht aus. Ein richtig verstandenes Grundlagenstudium müßte sich darüber hinaus mit jenen Wissenschaften auseinandersetzen, die den Menschen in seiner Standortbestimmung am nächsten betreffen, vor allem also der Philosophie, der Psychologie und der Sozialwissenschaft.

In welcher institutionellen Form ein solches Grundlagenstudium eingerichtet werden sollte, ist zunächst eine sekundäre Frage. Das Studium generale ist letztlich weniger ein organisatorisch-technisches Problem als eine Frage der Geisteshaltung. Hier müßte angesetzt werden. Die oberste Forderung wäre ein radikales Umdenken, eine allgemeine Wandlung in der Grundeinstellung. Das erfordert zunächst aber überhaupt eine Auseinandersetzung mit diesem Fragenkomplex, eine grundsätzliche Diskussion über das Wesen der Universität, ihren Sinn und ihren Auftrag. Darüber war bisher wenig zu hören. Der Vortrag von Prof. Schwarz brach ein langes Schweigen um die Problematik unserer Hochschulen. Die Frage ist nun in. ihrer ganzen Aktualität vor Augen geführt. Ist es noch erlaubt, auch weiterhin zu schweigen?

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