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Veränderungen sind geplant

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Individuelle Wünsche lassen sich nicht nur in Einfamilienhaus-, sondern auch im Wohnhausbau verwirklichen - vorausgesetzt, der Architekt spielt mit.

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Individuelle Wünsche lassen sich nicht nur in Einfamilienhaus-, sondern auch im Wohnhausbau verwirklichen - vorausgesetzt, der Architekt spielt mit.

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DIEFURCHE: Sie haben am Selbstbauprojekt „ Wohnen mit Kindern ” mitgearbeitet Wieso entstehen solche Projekte in einer Zeit industrialisierten Bauens? FRAN7. KtZMICH: Die Leute sind unzufrieden mit dem Angebot, das es am Markt gibt. Dabei geht es ihnen vor allem um Verwirklichung ihrer eigenen Wohnvorstellung: zum Beispiel einen Arbeitsraum für die Frau, viele kleine Zimmer oder einen ganz großen Baum, wo man kochen, essen, arbeiten und auch noch Kinder beaufsichtigen kann. Oder zwei Klosetts und zwei Bäder, wegen der Kinder. Das wird man in einer normalen Genossenschaftswohnung kaum selbst planen können. Auch das Wohnumfeld - Garten oder Kinderspielplatz - möchten viele mit eigenen Ideen mitgestalten. Beim herkömmlichen Gemeindebau gibt es diese Möglichkeiten nicht.

DIEFURCHE: Kraß gesagt Im Gemeindebau will also kaum noch jemand wohnen.

KUZMICH: Es ändert sich in letzter Zeit sehr viel. Durch den Bau von 10.000 Wohneinheiten in den letzten Jahren gibt es in Wien keine echte Wohnungsnot mehr, es stehen Gemeindewohnungen leer. Nicht nur, weil es genug Wohnraum gibt, sondern weil die Gemeindewohnungen auch teurer geworden sind. Die Genossenschaften bauen schon fast billiger als die Gemeinde. Sie haben die gleichen Firmen, die gleichen Förderungen, können aber auf Marktsituationen ganz anders reagieren als der schwerfällige Gemeindeapparat.

DIEFURCHE: Wäre es denkbar, daß irgendwann einmal auch bei der Planung kommunaler Bauten die späteren Mieter Hand anlegen? Ki:/.mldl: Bei der Gemeinde Wien gibt es keinen Selbstbau. Hier gibt es nur Mitbestimmung, die Gemeinde bleibt immer Grundbesitzer. Bei „Wohnen mit Kindern” haben ja die Mieter das Grundstück selbst gefunden und den Bau finanziert und sind Eigentümer, mit allen Bechten. Die typischen Gemeindemieter sind allerdings Leute, die dringend Wohnraum brauchen. Die haben weder Zeit noch Muße, sich da zu engagieren und jahrelang zu warten, bis sich ein Prozeß entwickelt hat.

DIEFURCHE: Der Traum des Durchschnittsösterreichers ist das Einfamilienhaus mit eigenem Garten Spiegelt sieh das auch in der Selbstbauideologie wider?

KUZMICH: Selbstverständlich. Das Planen nach eigener Bedürfnissen, das Aussuchen der Baustoffe, die man gerne möchte - all das macht auch der Einfamilienhausbauer. Bei ihm kommen jedoch noch andere Gründe hinzu: das fehlende Alternativangebot, zum Teil geringe finanzielle Möglichkeiten.

DIEFURCHE: Wie sieht dasinder Praxis aus? Da kommen ein paar Individualisten, die von Bauen und Förderung keine Ahnung haben, und nur eines wissen-Wir wollen ein Haus nach unseren Idealen haben Wohin können sie sich wenden?

KUZMICH: Es gibt seit einigen Jahren eine Anlaufstelle, den „Österreichischen Wohnbund”. Da gibt es Beratung, welche Schritte zu setzen, wie Grundstücke zu finden sind, welche Architekten mitarbeiten und wie man an die Förderung kommt. Die zweite Möglichkeit ist, sich an einen Architekten zu wenden, den man kennt. Es gibt ja auch Vorbilder; da kann man zu den Bewohnern gehen und sie befragen.

DIEFURCHE: Welche ist die Zielgruppe für solche Projekte? Kl7,Mlcll: Jungakademiker und junge Familien; einkommensmäßig nicht die schlechtest gestellten Menschen, die oft noch von ihren Eltern Unterstützung bekommen; kaum soziale Unterschichten.

DIEFURCHE: Wie hoch schätzen Sie den Anteil derer ein, für die so etwas in Frage kommt?

KUZMICH: Insgesamt ist diese Wohnungsform ein Minderheitenprogramm, eine Nische im Wohnungsbau. Österreichweit gibt es ungefähr 300 bis 500 Projekte im Mitbestimmungs- oder Selbstbaubereich. In Wien machen diese in etwa eineinhalb Prozent aus, auf ganz Österreich gerechnet wird der Anteil noch kleiner sein. oiefi'rciie: Was ist, wenn eine maßgeschneiderte Wohnung in die Jahre kommt; wenn die Kinder älter werden und sieh die Ansprüche verändern? Ku/.MICH: Im Idealfall ist die Wohnung nicht auf einen bestimmten Bedarf, sondern auf eine Entwicklung zugeschnitten. Veränderungen sind schon miteingeplant. Wenn die Kinder größer werden, brauchen sie mehr Platz und mehr Zimmer. Durch Umbauen und Verschieben von Trennwänden kann eine andere Wohnung entstehen.

DIEFURCHE Aber Trennwände zu verschieben setzt eine gewisse handwerkliche Fertigkeit voraus ... KL7.MICH: Die Gesellschaft tendiert ja in Bichtung Freizeitgesellschaft. Baumärkte schießen aus der Erde, da ist unter den Bastlern ein großes Potential da. Und zwar nicht nur unter den Männern. Meine Frau bastelt auch gern in der Küche, und so schnell kann ich gar nicht schauen, da sind die Kasteln schon wieder anders angeordnet und unter Umständen die Wände leicht versetzt. Allerdings dürfen die Bewohner nicht allein gelassen werden. Der Architekt ist natürlich verpflichtet, den Bewohnern nicht nur bei der Planung zu helfen, sondern auch bei der Ausführung.

DIEFURCHE: Welche Eigenschaften muß ein Architekt mitbringen, der sich mit Selbstbau beschäftigt? KUZMICH: Offenheit. Gustav Peichl und Hans Hpllein sind natürlich keine Selbstbauarchitekten: Die produzieren Unikate, Kunstwerke, Denkmäler. Im sozialen Wohnungsbau und im Hausbau geht es um ganz andere, persönliche Dinge, da muß der Architekt zurückstehen können.

DIEFURCHE: Wurmt es Sie nicht manchmal, daß die Mieter Ideen verwirklichen, die Ihnen vielleicht gar nicht so gefallen? Kl'zmich: Es ist eine ganz andere Qualität der Planung. Auf der einen Seite gibt der Architekt Entscheidungskompetenzen auf, auf der anderen Seite, auf der menschlichen Ebene, gewinnt er im Kommunikationsprozeß mit seinen Bauherren doch wieder einiges dazu. Ich persönlich kann mich an der Zufriedenheit der Bewohner genauso erfreuen, wie wenn mir ein schönes Fenster einfällt. . -

Natürlich kann ich auch im Gespräch mit dem Bewohner bis hin zur Manipulation gewisse Vorstellungen von mir einbringen, wenn mir daran liegt. Mir ist es aber zum Beispiel egal, wie sich der Bewohner einrichtet. Ich finde, das ist sein intimer Bereich. Ich werde niemanden piesacken, der sich einen Teppich- statt einem Parkettboden einbildet. Worauf ich ihn aber sehr wohl hinweise, sind die Proportionen des Baumes, die Lichtführung oder daß sich gewisse Wunschvorstellungen nicht verwirklichen lassen.

DIEFURCHE: Worauf verzichtet man als Architekt, wenn man den Bewohnern zu ihrem Selbstausdruck hilft? KtZMICH: Auf die Selbstverwirklichung. Natürlich nicht ganz, aber zu einem Großteil.

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