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Veraltet das Hohe Haus?

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Die Demokratie hat am 18. November ihren großen Tag: In freier, gleicher und geheimer Wahl wird das Volk als der Staatswillensbildner Nummer 1 die neuen Repräsentanten unserer Republik bestimmen, die auf Grund der Verfassung für die nächsten vier Jahre unser Staatsschiff zu lenken haben werden. In der modernen Demokratie westlicher Prägung sind es die verschiedenen Parteien, die mittelbar den Willen des Wählers vollziehen. Ihre Programme und die Männer ihres Vertrauens veranlassen den Wähler, dieser oder jener Partei die Stimme zu geben.

Verständlich, daß die Arbeit in den Parteisekretariaten gegenwärtig auf Hochtouren läuft. Die Programme und „Wahlschlager“ sollen möglichst attraktiv serviert werden. Die letzten Entscheidungen über die Aufstellung der Kandidatenlisten sind zu treffen. Eine Reihe von Nationalräten hat die von den beiden großen Parteien festgelegte Altersgrenze von 65 Jahren erreicht: bei der ÖVP neun Abgeordnete — weitere fünf sind 64 Jahre alt —, bei der SPÖ zwölf. (Wie viele Ausnahmen sollen oder müssen gemacht werden?) Auch bei so manchen anderen Abgeordneten zeigen sich „Abnützungserscheinungen“.

Manche Parteiexperten glauben, daß bei den kommenden Wahlen die junge Generation, vor allem die Jungwähler, die Entscheidung herbeiführen dürfte. Wird man dies auch bei der Aufstellung der Kandidatenlisten berücksichtigen? Hat man erwogen, daß sich junge Menschen von jüngeren Abgeordneten besser verstanden, besser angesprochen fühlen als von älteren?

In Österreich beträgt — auf Grund der jüngsten Volkszählung — der Anteil der Zwanzig- bis Vierzigjährigen an der Gesamtbevölkerung 27 Prozent. Diese junge Generation war im vergangenen Nationalrat, altersmäßig betrachtet, nur durch einen Abgeordneten vertreten -J- und dieser zählte ?Mahre. Da fragt man warum man in Österreich das passive Wahl alter mit 26 Jahren festsetzt?

Die Statistik liefert den besten Beweis für die allmähliche Überalterung — um nicht zu sagen Vergreisung — unseres Hohen Hauses. Das Durchschnittsalter unserer kürzlich verabschiedeten Nationalräte betrug fast 56 Jahre. Zusammen konnten die Damen und Herren des Hohen Hauses mit dem respektvollen Alter von mehr als 9000 Jahren aufweisen. Nur einer hatte das 40. Lebensjahr noch nicht erreicht. 38 Nationalräte standen zwischen 40 und 50 Jahren, 58 zwischen 50 und 60 Jahren, 65 zwischen 60 und 70 Jahren und drei waren älter als 70 Jahre. -

Beinahe zwei Drittel aller Nationalräte hatten das 55. Lebensjahr bereits erreicht — während nicht einmal ein Viertel unter 50 Jahre zählte.

Nach Parteien aufgegliedert, gibt die Altersstatistik folgendes Bild:

ÖVP-Fraktion: Keiner der scheidenden Nationalräte war unter 40 Jahren, 16 standen zwischen 40 und 50 Jahren, 36 zwischen 50 und 60 Jahren, 25 zwischen 60 und 70 Jahren, zwei waren älter als 70 Jahre. Das Durchschnittsalter der ÖVP-Mandatare lag bei 55,8 Jahren.

SPÖ-Fraktion: Bei der „jungen sozialistischen Partei“ machte sich die Überalterung noch mehr bemerkbar. So betrug das Durchschnittsalter der SPÖ-Nationalräte 56 Jahre. Einer war jünger als 40 Jahre, 17 standen zwischen 40 und 50 Jahren, 21 zwischen 50 und 60 Jahren, 38 zwischen 60 und 70 Jahren und einer war 70 Jahre alt.

FPÖ-Fraktion: Fünf standen zwischen 40 und 50 Jahren, einer zwischen 50 und 60 Jahren, zwei zwischen 60 und 70 Jahren. Das Durchschnittsalter betrug 50 Jahre.

Jede Partei ist begreiflicherweise bemüht, einen Stamm Routiniers heranzubilden, der auch in der Parlamentsfraktion den Ton angibt. Es wäre natürlich ungeschickt, solche Leute, die über große Erfahrung verfügen, vorzeitig auszuwechseln. Daß dies auch nicht geschieht, ersieht man aus der Tatsache, daß in der jüngsten Session des Hohen Hauses noch fast ein Viertel der Abgeordneten jener „Kampfgruppe“ angehörte, die im November 1945 in den ersten frei gewählten Nationalrat der Zweiten Republik einzog. Man findet darunter klangvolle Namen, wie Dr. Gorbach, Diplomingenieur Figl, Ing. Raab, Dr. Maleta, Grubhofer, Grießner, Dr. Hurdes, Prinke und Scheibenreif, von der ÖVP, sowie Eibegger, Dr. Pittermann, Probst, Proksch, Uhlir, Weikhart und Hillegeist, von der SPÖ.

Solche erfahrene Abgeordnete braucht jede Partei, um im geistigen und rhetorischen Wettstreit im Hohen Haus bestehen zu können. Aber gibt es nicht auch eine Reihe von Abgeordneten, die nicht ganz entsprochen haben oder deren Agilität schon bald erlahmt? Müßte man nicht eine größere Anzahl frühzeitig pensionieren, um jungen Kräften Platz zu machen?

Franz Grubhofer (ÖVP) zog 1945 mit 31 Jahren ins Parlament, Rupert Zechtl (SPÖ) mit 30 Jahren. Diplomingenieur Figl übernahm in Österreichs schwerster Zeit mit 43 Jahren die Kanzlerschaft. Man kann nicht sagen, daß die jungen Parlamentarier versagt hätten. Im Gegenteil! Haben nicht auch Männer der jungen Generation wiederholt der politischen Geschichte ihren Stempel aufgedrückt? Ein Dr. Karl Lueger war mit 44 Jahren bereits Vorsitzender der Christlichsozialen Partei; ein Leopold Kun-schak gründete mit 21 Jahren die christliche Arbeiterbewegung; ein Doktor Viktor Adler war mit, 36 Jahren der Kopf des Hainfelder Parteitages der damaligen Sozialdemokraten; ein Hans Kudlich brachte mit 26 Jahren im Kremsierer Reichstag den Gesetzesantrag auf die Grundentlastung ein. (Dem letzten Parlament gehörten nur zwei Bauern unter 50 Jahre anl)

Sind die wenigen Beispiele nicht ein Beweis, daß auch die jüngere Generation wohl imstande ist, im politischen Leben etwas zu leisten? man angeblich den unteren Gremien ein großes Mitspracherecht einräumt.

Diese „Vorwahlen“ in den Parteiversammlungen der Bezirke werden nicht selten in solcher Art durchgeführt, daß man bereits im voraus mit Sicherheit sagen kann, welcher Kandidat das Vertrauen erhalten wird. In manchen Fällen wird von „oben“ diktiert, wer als Spitzenkandidat aufgestellt werden muß. (So weiß man schon seit langem, daß bei den heurigen • Nationalratswahlen Außenminister Dr. Kreisky die SPÖ-Liste im St.-Pöltner Gebiet anführen wird.)

Anderseits scheinen bei den „Vorwahlen“ auch gewisse regionale Schwierigkeiten auf. „Besser ein schlechter Nationalrat als keiner.“ Dieses geflügelte Wort weiß man in jedem Bezirk zu schätzen. Der „kleine Mann“ braucht den Herrn Nationalrat nun einmal zum Intervenieren, zum Protegieren. Und in Gegenden, wo Abgeordnete ihren Sitz haben, da machen Schul- und Straßenbauten erfahrungsgemäß größere Fortschritte. Daß ein Nationalrat auch die Fähigkeit haben soll, an der Legislative aktiv mitzuwirken — nicht bloß durch die Stimmabgabe —, daran denken die kleinen Parteileute oft nicht. Diese Mentalität ist auch schuld daran, daß manchmal recht mittelmäßige Nationalräte ihren Sitz verhältnismäßig lang halten können. Denn auch wenn ein anderer Bezirk mit einem jüngeren und tüchtigeren Mann aufwarten könnte — die Lokalpatrioten setzen alle Hebel in Bewegung, um „ihren Nationalrat“ nochmals durchzubringen. Bei der ÖVP kommt dazu, daß man auch auf die Zugehörigkeit zu den einzelnen Bünden Rücksicht nehmen muß.

Eine bestimmte Schulbildung ist bekanntlich für ein Nationalratsmandat nicht Voraussetzung. Allerdings ist es ein ungeschriebenes Gesetz, daß bei der heute oft sehr schwierigen Materie der Gesetzgebung immer mehr Akademiker zum „Zug“ kommen. Im letzten Nationalrat hatte etwas mehr als ein Drittel der Abgeordneten Hochschulbildung. (Davon entfallen auf die ÖVP rund 30 Nationalräte, auf die SPÖ ein Dutzend, auf die FPÖ sechs. Von den übrigen Abgeordneten hatten etwa 20 eine Matura aufzuweisen. Rund 30 der SPÖ-Nationalräte hatten als erlernten Beruf eine Ausbildung als Facharbeiter angegeben, heute nimmt der Großteil dieser Abgeordneten Spitzenpositionen in der Parteihierarchie ein.)

Allgemein kann man feststellen, daß die Aufstellung der Kandidatenlisten — sowohl bei der ÖVP als auch bei der SPÖ — in einer Mischform nach dem Wahl- und Ernennungsprinzip erfolgt; wobei die letzten Entscheidungen von den obersten Kollegialorganen der Parteien getroffen oder zumindest entscheidend beeinflußt werden. Der Zentralismus ist bei der SPÖ ohne Zweifel nocb um vieles größer als bei der ÖVP,

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