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Verländerte Schulaufsicht?

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Die österreichische Schulaufsicht ist seit rund 93 Jahren eine Angelegenheit des Gesamtstaates. Ihre Übertragung an die Zentralgewalt geschah nicht nur, um dieser einen bestimmenden Einfluß auf die Entwicklung des Unterrichtswesens zu sichern, sondern war auch von der Tatsache bestimmt, daß das Ganze des Erziehungsgeschehens, der Bildungsvollzug und die Sicherung der Kontinuität des gesamten Unterrichtsgeschehens eine Überschau aus der Perspektive des Gesamtstaates erfordern.

Diese Patronanz hat dem österreichischen Schulwesen nicht geschadet, im Gegenteil, es hat sich hierunter kräftig entfalten können, so daß es in aller Welt Ansehen genießt.

Die Grundlage für diese Entwicklung gab das Staatsgrundgesetz vom 7,\.' Dezember 1867. Im Artikel 17 wird festgelegt, daß „dem Staat rücksichtlich des gesamten Unterrichts- und Erziehungswesens das Recht der obersten Leitung zusteht. Im Gesetz vom 28. Mai 1868, 10, wird nun der Instanzenzug (Landesschulrat, Bezirksschulrat, Ortsschulrat) verankert. Die Gesetzgebenden der Ersten Republik haben diese Auffassung von der Schulaufsicht im Bundesverfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920, Art. 102a, festgehalten. „Die oberste Leitung und Aufsicht über das gesamte Erziehungs- und Unterrichtswesen steht dem Bund zu. Die Landesschulräte und die ihnen, unterstehenden Schulbehörden sind dem zuständigen Bundesminister untergeordnet.“ Im Übergangsgesetz vom 1. Oktober 1920 (Schlußbestimmungen) 42 (3) werden noch die Sicherungsklauseln bezüglich der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern eingebaut. Selbst in die oktroyierte Verfassung vom Jahre 1934 wurden die Grundlagen des Artikels 102a übernommen. Mit dem Einbruch der reichsdeutschen Gesetzgebung, in Sonderheit durch das Ostmarkgesetz und seine Durchführungsverordnungen erfuhr die vorerwähnte Rechtssituation eine grundlegende Änderung. Alle kollegialen Behörden auf Landesebene wurden aufgelöst und in die Behörde des Reichsstatthalters einbezogen. Somit auch der Landesschulrat, der als Abteilung für Erziehung, Volksbildung, Kultur- und Gemeinschaftspflege innerhalb der Behörde des Reichsstatthalters erscheint. Durch das Verfassungsgesetz vom 1. Mai 1945 (Rechtsüberleitungsgesetz) 12 (2) war die Möglichkeit gegeben, die reichsdeutschen Rechtsvorschriften, wenn sie nach Abs. 2 kundgemacht wurden, außer Kraft zu setzen. Auf Grund dieses Mechanismus wurde das Ostmarkgesetz sowie seine Durchführungsverordnungen aufgehoben.

Mit der Verlautbarung des Gesetzes vom 20. Juli 1945 (Behördenüberleitungsgesetz) wurden Weisungen zur Umstrukturierung der Behörden erteilt. Vor allem wurde im 22 (1) festgelegt, daß „die Aufgaben der Abteilung II des Reichsstatthalters in jedem Land ein Landesschulrat, die Aufgaben der Landräte (Oberbürgermeister) auf dem Gebiet des Schulwesens ein Bezirksschulrat übernimmt. Leider wurden zu diesem Gesetz von Seiten der Gesetzgebenden (Bund und Land) nicht die entsprechenden materiell-rechtlichen Bestimmungen erlassen, die verhindert hätten, den Gedanken aufkommen zu lassen, die Schulaufsicht zu „verländern“. Es ist nämlich nicht zu bestreiten, daß der Gesetzgeber im Jahre 1945 die Absicht hatte, die Schulbehörden nach den Bestimmungen des Artikels 102a der Bundesverfassung zu konstituieren, weil die Bundesverfassung 1929 (Artikel 1 des Gesetzes vom 1. Mai 1945) wieder in Kraft gesetzt wurde.

Allerdings wäre nach Artikel 102a die kollegiale Zusammensetzung dieser Behörden eine Bedingung des Gesetzes. Bislang war eine gesetzliche Regelung bezüglich der kollegialen Einrichtung ausständig, weshalb diese Behörden nur monokratisch in Erscheinung treten, das heißt auf der Landesebene ist der Landeshauptmann jeweils der Repräsentant der Schulbehörde, jedoch in unmittelbarer Unterordnung gegenüber dem zuständigen Bundesminister.

Damit ist ausdrücklich der Charakter einer unmittelbaren Bundesbehörde gegeben. Da nun zum Wesen der Sohulaufsicht der unmittelbare Einfluß des Bundes gehört, was noch entsprechend erläutert werden soll, ist der Vorschlag einer Verländerung der Schulaufsicht auf seine Konsequenzen hin einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen.

Der Vorschlag, die Schulaufsicht zu verlän-dern, das heißt die Schulaufsicht innerhalb der Länder dem unmittelbaren Einfluß des Bundes zu entziehen und sie bundesmittelbar auf der Ebene des Landes zu etablieren, stammt von Dr. K ö v e s i, einem Juristen beim Bundesministerium für Unterricht, dem großer Einfluß nicht abgesprochen werden kann, um so mehr als er diese Gedanken bereks in einer Beilage zum Ministerialverordnungsblatt (1959, Stück 11) veröffentlichte, was nicht ohne Zustimmung des Herrn Bundesministers für Unterricht geschehen kann.

Welche Grundgedanken weist der Vorschlag Kövesis auf? Kövesi weist geflissentlich darauf hin, daß mit der Publikation des Lehrerdienst-rechtskompetenzgesetzes 1948 und des Schulerhaltungskompetenzgesetzes 1955 wesentliche Teile der Schulaufsicht Landessache geworden sind, da die Vollziehung in den Angelegenheiten des Dienstrechtes und die Vollziehung in Angelegenheit der Errichtung und Erhaltung der Pflichtschulen nunmehr in die Kompetenz des Landes fällt.

Vor Publikation dieses Gesetzes war die Vollziehung auf diesen Gebieten, unbeschadet landesgesetzlicher Regelungen auf Grund 42 (3) des Übergangsgesetzes vom 1. Oktober 1920 Bundessache und wurde von den Landesschulräten und den Bezirksschulräten vollzogen. Nun sagt Kövesi: „Weil die Landesbehörden vom Standpunkt der Schulaufsicht des Bundes oder auf Grund landesgesetzlicher Delegierung mit den Angelegenheiten des Dienstrechtes der Pflichtschullehrer und der Einrichtung und Erhaltung der Pflichtschulen befaßt sind, welche Aufgaben die Landesschulbehörden außer ihren sonstigen Zuständigkeiten erfüllen, besteht eine komplizierte Verzahnung in der Kompetenzaufspaltung, mit einer verwaltungsverzögernden Wechselbeziehung, die in einer Reihe von Ländern bereits zu einer Doppelgeleisigkeit in der Schulverwaltung geführt hat.“ Im besonderen wird darauf hingewiesen, daß im Burgenland trotz Bestehens der Bestimmungen des Artikels 102a die Aufgaben des Landesschulrates unter dem Namen der Landesregierung nach Art der mittelbaren Bundesverwaltung geführt werden.

Offensichtlich hat gerade dieser Beispielsfall, der an und für sich charakteristisch ist, Kövesi zum Entwurf angeregt.

An Stelle der Behörde des Landesschulrates soll nun die Schulabteilung der Landesregierung als bundesmittelbare Behörde treten. Dieser Behörde wäre eine kollegiale Körperschaft mit Namen „Landesschulrat“ beizuordnen, die selbstverständlich nicht mit dem derzeitigen Landesschulrat, der Bundesbehörde ist, identisch ist. Die in die Bundesvollziehung fallenden Schulangelegenheiten sollen im Namen des Landeshauptmannes, die in die Landeskompetenz fallenden Agenden im Namen der Landesregierung von einem mit der Führung des Schulreferates betrauten Mitglied der Landesregierung geregelt werden. Das Bestehen einer bundesunmittelbaren Schulaufsicht sichert dem Bund den vollen Einfluß bis zu den Bezirksschulräten zu. In dem Augenblick, da auf der Landesebene eine Unterbrechung dieses unmittelbaren Einflusses eintritt, ist damit zu rechnen, daß durch die Unterbrechung dieser Kommunikation manche Absichten der Schulaufsicht, die in bundesstaatlichem Interesse liegen, nicht mehr durchsetzbar werden, um so mehr ak Gutachten, Anträge und Vorschläge, den gesamten Bereich der Schulaufsicht umfassend, an die Beschlußfassung durch den „Landesschulrat“ gebunden wären. Diesem Landesschulrat sollen Vertreter des Landtages, der Landesregierung, der Kirchen und Religionsgesellschaften sowie der Eltern-und Lehrerschaft angehören. Konform sollen die „Bezirksschulräte“ konstituiert werden, in die Vertreter der Gemeinden zu berufen wären. Es •ist wohl klar, daß diese Gremien in Anlehnung an die bestehende Praxis nach dem Proporz eingerichtet würden. Anstatt auf der Ebene der Schule den übermächtigen Einfluß der Parteien zu dämpfen, soll nun dieser Einfluß über die Neuordnung in der gesamten Schulaufsicht wirksam werden.

Welche Sicherungen bestehen, daß sich nicht auf der Ebene der Schulaufsicht ein Partikularismus entwickelt, der dem Ganzen der Schule abträglich ist? Die Schulaufsichtsorgane als Augen des Bundes sollen der Dienstaufsicht des Landeshauptmannes beziehungsweise des Bezirkshauptmannes unterstellt werden. Können die Schulaufsichtsorgane unter diesen Voraussetzungen die gleiche Initiative wie unter der Patronanz des Bundes entfalten? Besitzen sie die gleiche Unabhängigkeit in bezug auf Feststellung von Mängeln und Uuzulänglichkeiten im mittelbaren Bereich der Schulaufsicht? Läßt dieser Mechanismus noch die Möglichkeit offen, wichtige Angelegenheiten der Schulaufsicht an das Bundesministerium für Unterricht heranzutragen?

Das Wesen der Schulaufsicht besteht hierin, daß der Gesamtstaat seine klaren Absichten im Feld der Erziehung und des Unterrichts unter Beihilfe der Schulbehörden und der Schulaufsichtsorgane unverfälscht durchsetzen kann. So zweckmäßig das Subsidiaritätsprinzip auf anderen Ebenen staatlichen Geschehens sein kann, so ist es auf der Ebene der Schulaufsicht ein Prinzip, das störend wirken und einen Partikularismus auslösen kann, der weder vom Staatsganzen noch vom Ganzen des Erziehungsgeschehens erwünscht sein kann. Die Rolle der Schulaufsicht besteht darin, daß sie als unbestechlicher Hüter der Interessen des Bundes fungiert, daß sie als Regulierendes, Stimulierendes und Impulserteilendes dem Staatsganzen verpflichtet ist, und der Bund müßte sich hüten, dieses Pfand, das ihm gleichmäßigen Einfluß auf das ganze Erziehungsgeschehen und die materielle Entfaltung der Schule sichert, aus der Hand zu geben beziehungsweise Kompetenzen abzugeben, die im Interesse der österreichischen Schule nicht abgegeben werden dürfen, auch nicht um den Preis einer wenig ins Gewicht fallenden Verwaltungsvereinfachung.

Es ist zu hoffen, daß sich alle, die auf die Erhaltung eines einheitlichen Schulwesens Wert legen, vorweg die österreichischen Schulaufsichtsorgane, gegen diesen Plan aussprechen werden.

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