6741867-1966_44_11.jpg
Digital In Arbeit

Verlassene katholische Jugend?

Werbung
Werbung
Werbung

Der Autor ist Präsident des Zentralbeirates der Katholischen Studierenden Jugend (KSJ) Österreichs.

Die Redaktion

Der ständig neue Aufwuchs der Kirche unter den Menschen, deren lebendige Anteilnahme an der Gestaltwerdung des Christlichen in der Welt ist nicht allein Ergebnis zufällig aktivierter Prozesse, sondern auch, wenn nicht überwiegend, von Pastoralen Aktionen, durch pastorale Strategie bestimmt. Es wäre büliger Evolutionismus, wenn nicht Fatalismus, davon auszugehen, daß in der Welt ohnedies die Neigung zur Konstitution des Christlichen angelegt sei, weshalb es keines systematischen Abrufes dieser christlichen Anliegen mehr bedürfe. Die permanente Neu- begründunig der Kirche in der Welt 1st aber nur möglich bei tätigkritischer Anteilnahme der Jugend am Leben der Kirche — in der Kirche.

In mandien Regionen der Weltkirche und in manchen Pfarren unseres sogenannten „katholischen Österreich“ kann man aber von einer solchen Anteilnahme kaum etwas merken. In diesem Fall tröstet man sich mit dem Dabeisein der Passiven in der Kirche, vor allem jener Personen, die auch Kirche in der Welt sind, in dieser aber ihre Pflicht bereits getan haben und nun lediglich konsumieren wollen. Und dies oft mit dem Blick nach hinten, wo sich ihnen die Leitbilder einer geschichtlichen Erfahrungswelt anzubieten scheinen. Nichts wäre freilich verfehlter, als in einer Zeit, welche ln einer raffinierten Form die sogenannten „Alten“ modo spartanico aussetzt, in der Kirche die Betreuung des sogenannten alten Menschen zu vermindern. Eher bedürfte es als Demonstration einer in Realverhalten übersetzten Liebe noch einer Verstärkung der steuernden Mithilfe der Kirche am Lebensvollzug jener, die, am Zaun ihres Lebens befindlich, oft ohne Hoffnung nur mehr auf Vergangenheit fixiert sind, weil sich ihnen die Gegenwart verschließt und sie nicht sorgend in ihre Mitte aufzunehmen scheint. Wenn die Kirche aber allen allles sein will, dann soll in den „allen“ auch die Jugend eingeschlossen sein. Es geht daher nicht um Alterspräferenzen, sondern um Herstellung eines Gleichgewichtes in den Sorgemaßnahmen mancher Pfarren.

Für die Jugend wird wenig getan

Ein geordneter Aufwuchs der Kirche, ihre Wirksamkeit bis hinein in die toten Winkel der Welt, kann nur gesichert sein, wenn die Kirche ungebrochen Zuzug von der Jugend her erhält. Sicher spielen die Konversionen reifer Menschen eine emi-

Von jenen in unserem Land, die mit der Kirche denken, meinen nicht wenige, daß von der Kirche selbst zu wenig für die Jugend, das heißt, für die organisierte katholische nente Rolle; sie begründen aber nicht die Dynamik der Kirche, nicht jenes nun einmal auch notwendige Fachwissen um die Morphologie und die Bewegungsgesetze der Kirche, das vor allem bei jenen abrufbereit gespeichert ist, die ihr von Jugend an werktätige Anteilnahme über den Sonntagsgottesdienst hinaus gewidmet haben.

Jugend, getan werde. Wenn die Jugend scheinbar oder tatsächlich erheblich weniger geneigt ist, sich unmittelbar für die Kirche zu engagieren, so sei dies nicht allein in der Natur gegenwärtiger Jugend begründet, sondern weitgehend Reaktion auf ein Nichts-Tun oder auf ein Zuwenig-Tun kirchlicher Stellen.

Tatsächlich gibt es heute große und an sich gut geführte Pfarren, in denen nichts Nachhaltiges für die Jugend getan wird und Jugendorganisation mit jener für Kinder identifiziert wird. Wenn derlei in Großstadtpfarren festzustellen ist, kommt es zum lautlosen Absterben der lokalen Kirche von der Wurzel her.

Solche Pfarrgemainden leben nur vom Zuzug aus anderen und noch oder wieder lebendigen Pfarren.

Nun wäre es wider die Erfahrung, davon auszugehen, daß die Pfarren als die elementaren Sub-Gebilde der Kirche nur dann aufwachsen können, wenn sie von der organisierten katholischen Jugend her gespeist würden. Zuweilen sind es organisa torisch „Spätreife“, die sich erst in der Mitte ihres Lebens der Kirche zur Verfügung stellen. Nicht alles Heil ist nur innerhalb der organisatorischen „Mauern“ integrierter katholischer Jugend; das hat diese aber auch nie behauptet.

Ebenso wenig ist aber die andere Annahme gerechtfertigt, es gehe auch ohne Jugendorganisation. So denken ist Ausweis seelsorglicher Fehlplanung, wenn nicht eines Pastoralen Minimalismus.

Die pastorale Kleinarbeit an der vordersten Front allein den Seelsorgern zumuten bedeutet zudem eine Fehleinschätzung der Arbeitskraft der Geistlichen, aber auch ihrer Attraktivität, die nicht in allen lokalen und sozialen Regionen gleich wirksam ist. Keineswegs bei der Jugend, die heute in einer Weise mit profanen Attraktionen konfrontiert ist, daß es der Kirche und denen, die für sie stellvertretend in der Welt stehen, schwerfällt, in der „Werbekonkurrenz“ zu bestehen.

Die Absenz organisierter katholischer Jugend führt einerseits zur Absenz der Kirche in der lokalen Eigengesellschaft der Jugend selbst und überdies dazu, daß die vielen Dienste, die ein pastoral wirksames Leben in der Pfarre aufrechterhalten, oft von Unkundigen oder von Personen verrichtet werden müssen, die nicht mely die erforderlichen Kräfte besitzen.

Hilfe durch die Erwachsenen

Die großen Proklamationen des Konzils, die nicht allein eine Anpassung der Kirche an die gegenwärtige Welt andeuten, sondern darüber hinaus bereits auch eine Welt von morgen in die pastoralen Strategien einzubeziehen scheinen, werden auf abstrakte Wortkomplexe reduziert und bleiben lediglich großartige literarische Leistlingen, wenn sie nicht von der gegenwärtigen Jugend aufgenommen und in einer Welt von morgen durchgesetzt werden.

Damit diese Jugend überhaupt in der Kirche von morgen da und ausreichend vorbereitet ist, müßte aber mehr für den Aufwuchs eben dieser Jugend geschehen als bis jetzt:

1. Die Erwachsenen sind leicht geneigt, resigniert Betrübnis über das Verhalten gegenwärtiger Jugend zu zeigen, die ohnedies nur Erwachse nenverhalten, wenn auch in ihrer Weise, reflektiert, tun aber auch im katholischen Raum zu wenig oder nichts, um positiven Einfluß auf eben diese Jugend zu nehmen. Bestenfalls findet man sich noch am Rande eines Aufmarsches ein und zückt das Taschenbuch (kaum die Börse).

Wo sind etwa die junggebliebenen Pädagogen, die ein paar Stunden je Woche in ihrer Pfarre der Jugend für Bildung und Ratschlag zur Seite stehen und dabei nicht die Absicht zeigen, gleichzeitig auch zu führen und die Jugend zu patronisieren?

2. Nicht alle geistlichen Herren haben überhaupt oder stets eine helle Freude am Vorhandensein organisierter Jugend ab dem fünfzehnten Lebensjahr. Das Pfarrhaus wird nicht selten als feste Burg erklärt, deren Schutz man einer resoluten Beschließerin anvertraut, die das Haus „ihres“ Herrn gegen alles absperrt, was jung ist und, weil gesund, auch noch dazu Lärm macht. Wenn in solchen Fällen das gleichsam versiegelte Pfarrhaus nur den Charakter eines exklusiven Wohnhauses hat, aber keine Wirksamkeit auf das Pfarrvolk auszuüben vermag, wird lebhaft über „die“ Zeit geklagt, ohne daß man darauf Bedacht nimmt, daß die Kirche keine Amtskirche ist und sich den Christen nicht als bürokratische Appara tur anzubieten hat, sondern als dienende Institution. Wenn das Pfarrhaus (als Einrichtung verstanden) keine offene Tür hat, zumindest nicht nach innen, ist es funktionslos. Die Jugend aber wird gleichzeitig in das Kaffeehaus verwiesen.

Priester und Bruder

Der Abstoßungseffekt lokalen pastoralen Versagens wird in großen Städten zuweilen durch eine gut geführte Nachbarpfarre teilkompensiert. Wie ist es aber jenseits der großen Stadt, wo es keinen fließenden Ausgleich pastoraler Wirksamkeiten gibt? Die Kirche kann die Welt der Jugend nur dann im Sinn ihrer moralischen Ansprüche beeinflussen, wenn sie in dieser Welt wirkungsvoll präsent ist. Durch Priester. Vor allem aber durch junge Menschen, die in der Eigenwelt der Jugend Zeugnis ablegen. Die Beziehungen zwischen Jugend und Priester sind permanent Gegenstand offener Dialoge. Eines steht aber fest; Die jungen Menschen wollen den Priester. Aber nicht den kommandierenden, nicht den patronisie- renden Priester. Sondern den Priester-Bruder. Keineswegs aber den Bindestrich-Priester, den Auto-, Photo-, Reise-Kaplan, der nur von profanen Dingen zu berichten und in deren Handhabung zu paradieren weiß. Die Jugend will im Priester aber nicht allein den Verwalter der Sakramente sehen, sondern auch, wenn nicht zuweilen ausschließlich, den Ratgeber in elementaren Fragen des Lebens. Um diese dienende Funktion der Lebenshilfe ausüben zu können, muß aber der Priester in die Lebenszonen der Jugend gehen.

3. Es gibt katholische Eltern, vor allem aus der Großgruppe jener, die sich den „feinen Leuten“ zurechnen, welche ihre Kinder bewußt von jeder Gemeinschaft katholischer Jugend fernhalten. Zur Rechtfertigung dieser Klausur für ihre Kinder werden dann von solchen Eltern einzelne nicht zu begrüßende Unzukömmlichkeiten, wie sie in jeder Gemeinschaft junger Menschen Vorkommen, verabsolutiert. Wenn die vor jedem Luftzug gemeinschaftlichen Lebens gut behüteten Kinder später jenseits des Elternhauses und endlich in Freiheit ein Verhalten zeigen, das den von den Eltern präsentierten Leitbildern sehr widerspricht, wird dann die böse Welt zum Schuldigen deklariert.

4. Nicht unbeachtet soll auch das finanzielle Aushungern katholischer Jugendorganisationen bleiben. Wieviel Geld geben Gebietskörperschaften und an manchen Orten Dienststellen der Kirche für Anliegen aus, deren erzieherischer und pastoraler Wert oft minimal ist. Wieviel Geld haben anderseits einzelne von Gebietskörperschaften und Wirtschaft geförderte Gruppen zur Verfügung. Von der Relation öffentlicher Aufwendungen für Jugendgefängnisise und für Verbandsjugend wollen wir gär nicht reden, auch nicht davon, daß straffällig gewordene Jugendliche oft nur deswegen gegen das Gesetz verstoßen, weil sie weder ein Zuhause, noch aber sonst eine sie umsorgende Institution vorgefunden haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung