Mädchen - © Foto: iStock / damircudic; Illustration: Rainer Messerklinger

Schulranking: Vermessenes Lernen

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Vor den Wahlen haben die NEOS für ein österreichweites Ranking der 500 besten und schlechtesten Schulen geworben und damit teils heftige Diskussionen ausgelöst. Kein Wunder: Die Umsetzung würde einen kompletten Systemwandel im Schulwesen bedeuten.

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Vor den Wahlen haben die NEOS für ein österreichweites Ranking der 500 besten und schlechtesten Schulen geworben und damit teils heftige Diskussionen ausgelöst. Kein Wunder: Die Umsetzung würde einen kompletten Systemwandel im Schulwesen bedeuten.

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Die Botschaft war klar: „Wir lassen kein Kind zurück“, so NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger, als sie kurz vor Wahlkampfende ein Konzept für eine so genannte „Österreich Challenge“ vorlegte. Nach dem Vorbild der „London Challenge“ soll es, laut dem Konzeptpapier, auch in Österreich künftig ein Ranking der 500 besten und 500 schlechtesten Schulen geben. Es gehe aber nicht darum, jemanden an den Pranger zu stellen.

Dennoch: Der Vorschlag sorgte unter Bildungsexperten für heiße Diskussionen. Kritiker befürchten, dass solche Rankings ein verzerrtes Bild der österreichischen Schullandschaft zeichnen würden. Ob eine Schule besser ist als eine andere, lasse sich nur schwer bemessen, lautet eines der Bedenken. Weiche Kriterien wie die Inklusion von Schülerinnen und Schülern aus bildungsfernen Familien, das Gemeinschaftsgefühl, der Führungsstil und die Kreativität lassen sich ebenfalls nur schwer erfassen, sie wären aber von Relevanz. Und auch der Datenschutz steht im Fokus, wenn es um die Veröffentlichung sensibler Daten wie Schulnoten geht.

„Unser Vorschlag bedeutet nicht, dass man von heute auf morgen von jeder Klasse den Notendurchschnitt veröffentlicht“, sagt Douglas Hoyos, Bildungssprecher der NEOS, „der Notendurchschnitt ist für uns kein Maßstab“. Man müsse hier schrittweise vorgehen, um allgemeine Kennzahlen zu liefern. Zudem sollen solche Vergleiche primär dazu dienen, einzelne Schultypen miteinander zu vernetzen und die besten Pädagogen und Pädagoginnen in so genannte Brennpunktschulen zu schicken, damit Lehrer und Lehrerinnen sowie Direktoren voneinander lernen können.

Ein Ranking kann nur langsam und in einem längeren Prozess eingeführt werden, da es sonst zu einem starken Kulturbruch im Bildungswesen kommen würde.

„Es gibt keine Schule in ganz Österreich,­ die als einzige ein bestimmtes Problem hat“, sagt Hoyos. Schulen mit ähnlichen Problemen und Herausforderungen sollen daher gemeinsam Konzepte entwickeln oder solche übernehmen, die es an anderen Standorten bereits gibt, erklärt der Bildungssprecher. Dieser Prozess könne aber nur dann angestoßen werden, wenn die Schulen künftig transparent miteinander verglichen werden können. Angelehnt ist das Konzept der NEOS, wie gesagt, an der so genannten „London Challenge“: In den 80er und 90er Jahren war London innerhalb Englands bei den jährlich durchgeführten nationalen externen Abschlussprüfungen lange Zeit das Schlusslicht. 2003 startete die damalige Bildungsminis­terin Estelle Morris von der Labour-Partei ein breites Reformprogramm, um Londons Schulen von Grund auf zu erneuern. Eltern wurden viel stärker miteinbezogen, und Jahr für Jahr wurden auch Fortschritte einzelner Standorte messbar gemacht. Mit Erfolg: Heute gehören Londons Schulen zu den besten im Land. Aber lässt sich ein Projekt aus London so einfach auf Österreich ummünzen?

Mehr Transparenz

„Jein“, sagt die Bildungsexpertin Heidi Schrodt, Vorsitzende der Initiative „Bildung Grenzenlos“ in Wien, „England und Österreich sind nicht so leicht miteinander zu vergleichen“. In England werden bereits seit mindestens einem halben Jahrhundert jährlich die Ergebnisse der zentralen Abschlussprüfungen veröffentlicht, so ­Schrodt. Im Gegensatz zur Zentralmatura in Österreich erfolgen die externen Zentralprüfungen in England völlig autonom von der Schule des Schülers. „Das heißt, die Schüler werden auch extern benotet und nicht vom Lehrer ihrer eigenen Schule.“ Wenn man so etwas durchführen wollte, dann bräuchte es also auch in Österreich zumindest die Einrichtung eines externen Prüfungskomitees, um die Ergebnisse in irgendeiner Form vergleichbar zu machen, erklärt die Bildungsexpertin.

In diesem Fall würde Schrodt die Veröffentlichung der Ergebnisse sinnvoll finden. „Ich wäre jedoch dagegen, dass man so ein Ranking zu schnell einführt“, sagt Schrodt, „dies könne nur langsam und in einem längeren Prozess angestoßen werden, da es ansons­ten zu einem zu starken Kulturbruch im Bildungswesen kommen würde.“ Schließlich haben sich schon einige Schulen und Bildungsexperten, gerade was die Transparenz oder Bekanntmachung von Abschlüssen angeht, sehr skeptisch gezeigt. Die Daten seien zu sensibel und zu schwer zu vergleichen, um sie einfach so zu veröffentlichen, lautet die Kritik. Zudem sei der derzeitige Umgang mit Noten aufgrund des nahezu flächendeckenden Notendumpings, das immer weiter fortschreitet, keine solide Basis für aussagekräftige Schulrankings, sagt Ernst Smole, Koordinator der Initiative „Föderal:Bildungs & Verwirklichungsplan“. Derzeit gibt es unter den Pflichtschulabsolventen rund 40 Prozent, die nicht ausreichend lesen, rechnen und schreiben können, so der Bildungsexperte. „Die Etablierung eines flächendeckenden Testsystems im Dienste der Erstellung von validen, aussagekräftigen Schulrankings würde Unsummen an Finanzmitteln verschlingen“, sagt Smole. Das Geld könne stattdessen in zukunftsfähige Schulgebäude oder in das Unterrichtskönnen einzelner Lehrpersonen investiert werden.

Ein Test mit Folgen

Für die NEOS wäre ein Ranking jedoch nur der erste Schritt. Aber wie lassen sich Schulerfolge am besten miteinander vergleichen? Als ein mögliches und gutes Instrument, um valide Kennzahlen zu haben, nennt Hoyos die so genannten Bildungsstandards und die darin enthaltene „Informelle Kompetenzmessung“. Mit diesem Instrument können Lehrer in Österreich jetzt schon den jeweiligen Lernstand der Schüler in den unterschiedlichsten Fächern evaluieren. Jedoch sind diese Prüfungen bislang noch freiwillig. Die von den NEOS vorgeschlagenen Rankings hingegen wären nicht freiwillig und würden auch nicht ohne Konsequenzen bleiben. Gemeinsam mit Experten sollen individuelle Pläne für jene Schulen, die schlecht abgeschnitten haben, entwickelt werden. Lehrer an den betroffenen Standorten würden außerdem in entsprechende Fortbildungen geschickt und durch zusätzliches Lehr- und Unterstützungspersonal sowie durch Partnerschaften mit Schulen, die im Vergleich besser abgeschnitten haben, entlastet werden.

„Am Ende bedeutet die Konsequenz eines solchen Vergleichs auch mehr Geld für jene Schulen, die schlechter abschneiden“, sagt Hoyos. Die Schulen sollen, wenn es nach der „Österreich Challenge“ der NEOS geht, neben den Rankings auch jährliche Berichte veröffentlichen, aus denen die Ergebnisse bei der Zentralmatura abzulesen sind. Werden die Qualitätsziele nicht erreicht, soll es in Ausnahmefällen auch den Austausch von Direktoren oder in Extremfällen die Kündigung von Lehrern oder eine Schließung des Schulstandortes geben. Eines steht fest: Sollten die Rankings irgendwann Realität werden, wäre vorab ein Umdenken im österreichischen Schulwesen notwendig. „Natürlich ist das ein kompletter Systemwandel“, räumt Hayos ein, „das muss man ehrlich sagen.“

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