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Vermittlung von echtem Wissen

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Auf alten österreichischen Volksbildungstraditionen fußend, hat sich auch die Volkshochschule nach 1945 zu der Erkenntnis durchgerungen, daß ihr wesentlicher Auftrag nicht die Anhäufung von Wissen sei. Information und Sachwissen können tatsächlich auch durch Presse und Taschenbuch, in der Wochenschau und in Hörfunk- und Fernsehprogrammen in weitem Maße erworben werden — auch über geschichtliche, kulturelle und naturwissenschaftliche Tatsachen und nicht etwa nur über das Tagesgeschehen. Die Verarbeitung dieser Informationen zu einem echten Bildungswissen geht jedoch vielfach über die Möglichkeiten der Massenkommunikationsmittel hinaus.

®ie moderne Erwachsenenbildung setzt nicht beim Sachwissen ein, welches ja auch dem bestinformier ten Menschen nur auf einem kleinen Teilgebiet oder, wenn es die ganze geistige Landschaft umfassen soll, doch nur sehr oberflächlich geboten werden kann. Das Maß aller Dinge ist für die Erwachsenenbildung der Mensch. Schon seit den zwanziger Jahren gab es in den deutschen Volkshochschulen eine Strömung, welche sich „die gestaltende Volksbildung“ nannte und der Durcharbeitung des Wissensstoffes, der Formung eines wertvolleren und glücklicheren Menschen den Vorrang gab. Unter anderen Verhältnissen und unter dem Zwang einer anderen Zeit entwickelte die Sorge um den Menschen von heute neue Formen und neue Wege.

Urteilsbildung durch Orientierung

In der komplizierteren Welt von heute bietet das Wissen, welches auf uns einströmt, den wenigsten Menschen die Möglichkeit, sich zu orientieren. Wie sind die Tatsachen dieser Welt mit dem eigenen Leben in Einklang zu bringen? Macht das moderne Konsumideal glücklich oder soll man in einer Art Konsumaskese den ganzen materiellen Fortschritt von der Hand, weisen? Wie kann man die Erklärungsversuche der modernen Physik, die Wunder der modernen Medizin mit seinem Glauben oder seiner politischen Einstellung in Einklang bringen? Welches sind die Möglichkeiten angesichts der tiefenpsychologischen Ausleuchtung des Menschen, in der industriellen Umwelt und im eigenen Heim erfolgreich zu leben? Was bedeutet diese Gesellschaft im Wandel, diese Welt der weiten Horizonte, dieser Wechsel der politischen Erscheinungen zwischen Konservatismus und Revolution, zwischen einer Gesellschaft des Wohlstandes und einer Welt des Massenelends in der einen Welt?

Die Orientierungsfähigkeit in dieser Informationsgesellschaft ist eine der ersten Aufgaben, die aber nur in offenen Gesprächen von Mensch zu Mensch möglich ist und niemals durch' mechanische Informationsträger. In dieser vielschichtig, undurchsichtig und technisiert gewordenen Welt selbst Urteile zu bilden, Vorurteile zu überwinden und įdurch Sachlichkeit das Denken und Fühlen anderer richtig einzuschätzen zu ihrem und dem eigenen Heil, ist ein anderes Ziel, welches nicht nur der Schule, sondern auch der Erwachsenenbildung aufgetragen ist.

Häuser der Begegnung

Als überparteiliche, überkonfessionelle und auch nicht an die Sozialpartner gebundene Einrichtung ist die Volkshochschule am besten in der Lage, einen Treffpunkt der gesellschaftlichen Gruppen in unserem Staat zu bilden. Sie betrachtet sich auch seit 1945 als das : „Haus der Begegnung“, wo in aller Offenheit heiße Eisen besprochen, staatspolitische Fragen von allen Standpunkten her erörtert werden und dabei doch das Gemeinsame eher gesehen wird, als das Trennende. Bei der langsamen Entwicklung eines „Bewußtseins des Miteinanders“ der Österreicher spielt sie eine gewichtige Rolle. Etwa in Diskussionsgruppen und großen Diskussionsforen können einander führende Persönlichkeiten begegnen, Abgeordnete zu ihrer Wählerschaft auch außerhalb der eigenen Partei sprechen und von den Wählern gefragt werden und weltanschauliche Fragen von verschiedenen Seiten her beleuchtet werden. Dabei stehen in der Volkshochschule ständig streng objektive Gesprächsleiter im Mittelpunkt, welche darauf achten, daß bei klarer Abgrenzung der Meinungen und offenen Äußerungen der Ansichten und Erlebnisgehalte aus Hörerkreisen die Synthese stärker hervortritt als die Antithese. Im ganzen eine echte und unersetzbare Schule der Demokratie.

Die moderne Volkshochschule greift auch durch Berufsförderung helfend ein. Nicht nur in Amerika und der Bundesrepublik hat es sich gezeigt, daß viele Menschen nicht mehr durchs Leben gehen können und nur einen einzigen Beruf aus-

üben. Für die Zweit- und Drittberufe ist aber eine Neuorientierung ebenso wichtig, wie für das immer komplizierter werdende Berufsleben im erlernten Fach. Während die Berufsausbildung Sache der Berufsschulen ist, wird sich der Erwachsene sowohl von den Wirtschafts- und Berufsförderungsschulen wertvolle Hilfe erwarten.

Inseln der Freizeit

Über die Problematik der ständig wachsenden Freizeit am Feierabend und zum Wochenende ist viel geschrieben worden. Sie ist positiv wie negativ bewertet worden. Eine Frei zeitpädagogik zum Genuß echter Muße an Stelle hektischen Sich- selbst-Verbrauchens ist mit eine Aufgabe der Erwachsenenbildung. Dabei müssen auch Angebote für eine bessere Freizeitnutzung, wie Lehrwanderungen und die ständige Weiterbildung selbst, gemacht werden. Daß dabei das schöpferische Laienschaffen eine gewichtige Rolle spielt, braucht nicht betont zu werden. Der Freizeitmaler, der Bastler, der Laienspieler und der Angehörige der Volksmusikgruppe sind der Typ der Zukunft der Freizeitnutzung in der automatisierten Gesellschaft. Die Erwachsenenbildung spielt eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung der menschlichen Kreativität.

Die Lerngesellschaft fordert

Der Vorteil der Volkshochschule ist, daß sie noch keine in festen Formen festgelegte Institution geworden ist. Dies stellt ja auch eine große Gefährdung ihrer Finanzierung im Rahmen des allgemeinen Bildungswesens dar. Sie ist aber, wie oben-

stehend kurz angedeutet wurde, seit 1945 viele neue Wege gegangen und hat viele neue Aufgaben übernommen. Auch in der Zukunft wird sie im ständigen Fluß bleiben. Dem Drang der jungen Generation nach einem zielgerichteten Lernen, welches auch zum materiellen Erfolg im Berufsleben und damit zur Erleichterung der Gründung eines dem modernen Wohlstandsideal entsprechenden Haus- und Familienstandes führt, muß Rechnung getragen werden. Dabei werden Leistungsmessungen und schriftliche Befähigungsnachweise unvermeidlich werden.

Die soziale Aufgabe der bildungsmäßigen, damit aber auch psychischen Betreuung der Alten und Einsamen muß in erweitertem Maße erfüllt werden. Die Ausbreitung von Fernsehen und Hörfunk macht allerdings die Reisevorträge und Lichtbildreihen, die medizinische Aufklärung und andere Unternehmungen, welche heute noch öfters im Vordergrund stehen, immer mehr überflüssig. Dagegen stellt die moderne „Lerngesellschaft“ gebieterisch die Anforderung nach einer Welt, in der sich jeder besser qualifiziert, und in der in einem zweiten Bildungsweg tausenden Erwachsenen die Möglichkeit einer besseren Einschaltung in das Arbeitsleben, aber auch in das Freizeitleben der kommenden Jahrzehnte geboten wird.

Die Volkshochschule wird daher in der Zukunft bedeutungsvoller sein als in Vergangenheit und Gegenwart. Es kommt nur darauf an, dies den Politikern und den entscheidenden Funktionären unserer Gesellschaft zum Bewußtsein zu bringen.

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