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Verstopfte Kanäle

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Eine Insel der Seligen ist Österreich immer noch, zumindest was die Religiosität betrifft, aber die Jugend geht zu den Kirchen zunehmend auf Distanz.

In Österreich deklarieren sich selbst unter den Jugendlichen - die sich in anderen westeuropäischen Ländern in Massen von der Religion verabschiedet haben - noch mehr als die Hälfte als religiöse Menschen, kaum jemand versteht sich als Atheist/in. Mit diesen Werten liegen die jungen Österreicher/innen auf der religiösen Landkarte Europas an prominenter Stelle, gleich hinter den jungen Pol/inn/en und Italiener/inne/n und deutlich vor den Jugendlichen der als katholisch apostrophierten Länder Spanien oder Portugal.

Dennoch sind auch hierzulande Tendenzen bemerkbar, die eine gemeinsame Zukunft von Jugend und Christentum in Frage stellen:

■ Gleich ein Viertel der 15-25jähri-gen ist hinsichtlich der persönlichen Religiosität unentschlossen, Unsicherheit und Indifferenz kennzeichnen die Einstellung zu christlichen Traditionen: Zwar glauben sechs von zehn Jugendlichen an Gott, mit den Charakteristika eines christlichpersonalen Gottes haben ihre Vorstellungen aber kaum etwas zu tun.

■ Wenig Vertrauen gibt es in die christlichen Botschaften von der Zukunft. Nur ein Drittel glaubt an die Auferstehung der Toten, eine Glaubensposition, die der Religionswissenschafter Biser als markante Zäsur zwischen christlicher und nachchristlicher Kultur bezeichnet.

■ Die regelmäßige Teilnahme Jugendlicher am Gottesdienst nimmt seit Jahrzehnten kontinuierlich ab, durchschnittlich 18 Prozent der Ju-

■ gendlichen finden sich bei der sonntäglichen Meßfeier ein. Der Kontakt zu christlichen Gemeinden wird immer geringer, vor allem junge Erwachsene verabschieden sich autlos von der religiösen Praxis.

Obwohl nicht von einem Rückgang an (persönlicher) Religiosität unter der Jugend gesprochen werden kann, verlieren die christlichen Konfessionen an Bedeutung. Das Christentum kommt über den Stellenwert kultureller Selbstverständlichkeit nicht hinaus, die Relevanz für das Alltagsleben der jungen Menschen ist gering. Der Einfluß christlicher Traditionen sinkt, christliche Formen und Symbole werden nur mehr von wenigen verstanden. Hingegen dominieren unterschiedlichste Nuancen' individueller Religiosität, jede/r scheint in der Lage zu sein, sich den eigenen religiösen Cocktail mixen zu können. Jugendliche weiten ihr Verständnis von Rehgiosität über die christlichen Grenzen aus.

Nicht nur außerchristliche Religionen („Little Buddha") scheinen interessant zu sein: Folgt man dem Religionssoziologen Heiner Barz (siehe Seite 16), so flüchten die Junten auch in durchaus irdische Hei-igtümer: Die Suche nach der religiösen Aura spielt sich unter anderem in der Musik, im Medienkonsum, in der überidealisierten Zweierbeziehung ab, „die Grenzen zwischen Numinosem und Profanem verschwimmen" (Barz 1992).

DIE FAMILIE FÄLLT WEITHIN AUS

Diese alternative Religiosität ist jedoch nicht für den Bedeutungsverlust des Christentums verantwortlich, sondern eher eine Folge davon. Die Relativierung christlicher Vorstellungen hat andere Gründe: die Konzentration der jungen Generation auf das eigene Ich, die geringe Attraktivität der christlichen Kirchen gerade für junge Menschen, den Ausfall der religiösen Erziehung in den Familien. Die Kanäle der Glaubensweitergabe sind verstopft.

Vor allem die Familie ist über weite Strecken als ort der Glaubensweitergabe ausgefallen. Die Intensität der religiösen Praxis liegt bei der Elterngeneration der 40-49iähri-gen kaum über jener ihrer Kinder. Die Bedeutung religiöser Erziehung im Elternhaus und des Erziehungsziels „christlicher Glaube" sinkt dramatisch. Dem Christentum gingen praktisch große Teile zweier Generationen verloren.

Kirchliche Jugendarbeit kann dieses Manko an religiöser Sozialisation nicht kompensieren, es ist auch nicht ihre primäre Aufgabe. Obwohl die Beteiligung der Jugendlichen in der kirchlichen Jugendarbeit - im Vergleich zu anderen Organisationen -respektabel erscheint, ist die Situation nicht rosig: Der Anteil von Jugendlichen, die sich überhaupt organisieren lassen, sinkt, der (kommerzielle) Freizeitmarkt ist eine massive Konkurrenz für inner- wie außerkirchliche Jugendarbeit

Der Religionsunterricht - für den Großteil der Jugendlichen wichtigstes, weil einziges Medium der Glaubensweitergabe - gerät von allen Seiten unter Druck. Während Miniparteien die Einführung des Ethikunterrichts fordern, zerreiben sich engagierte Religionslehrer/innen zwischen den Sehnsüchten der Schüler/innen nach Hilfe in den Lebensfragen und der Forderung des kirchlichen Amtes nach mehr Berücksichtigung von Glaubens Wahrheiten.

MEHR SENSIBIUTÄT NÖTIG

Die Zukunft der Glaubensweitergabe wird sehr davon abhängen, ob die christlichen Kirchen die verstopften Tradierungskanäle freibekommen. Zwischen den Kulturen moderner Jugendlicher und den christlichen Artikulations- und Kommunikationsformen liegen Welten.

Die religiöse Sprache ist für die meisten Jugendlichen unverständlich, Symbole verkommen zu Kli-sches. Kommunikationskompetenz ist gefragt: Wollen die christlichen Kirchen mit der widersprüchlichen Jugendgeneration stärker ins Gespräch kommen, müssen sie Jugendliche und ihre Anliegen auf differenzierte Weise zur Kenntnis nehmen. Das erfordert viel Sensibilität und Offenheit in allen kirchlichen Arbeitsbereichen.

Auf viele junge Menschen macht das Christentum den Eindruck der Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit. Gerade in dieser Situation geht es für die christlichen Kirchen darum, Profil zu haben und Selbstbewußtsein zu zeigen: Die Klarheit der eigenen Anliegen darf nicht verwechselt werden mit autoritärem Umgangsstil, im Gegegenteil: Hierarchische Formen und autoritär vermittelte Botschaften der Kirche stehen den Freiheits- und Selbstverwirklichungswünschen der Jugendlichen entgegen. Sollen Jugend und Kirche eine gemeinsame Zukunft haben, müssen Akzeptanz, Partizipation und Partnerschaftlichkeit zu Grundhaltungen werden.

Worauf es ankommt ist, junge Menschen davon zu überzeugen, daß christlicher Glaube für sie Segen, Sinn und Erlösung sein kann. Nur dort wo junge Menschen christliche Religion als relevant und problemlösend für ihr eigenes Leben erfahren, dort wird auch die Kirche leben. Herausgefordert sind nicht nur die kirchlicnen Funktionäre und die „alten Kanäle" Familie, Jugendarbeit, Religionsunterricht. Gefragt ist jetzt das „Volk Gottes", einfach Menschen, die Jugendlichen in ihrer Sprache authentisch Auskunft geben können: Uber die brennenden Freuden und Probleme des Lebens, über die komplizierten Fragen des Glaubens, über die Hoffnung, die uns trägt.

Der Autor ist

Universitätsassistent am Institut für Pastoraltheologie der Universität Wien und Vorsitzender des Österreichischen Instituts für Jugendforschung

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