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Volksbildungsarbeit in Österreich

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Das österreichische Volksbildungswesen, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts seinen Ausgang nahm, um eine neue geistige und sittliche Grundlage im christlichen Sinn zu schaffen, hat heute, wo die abendländische Kultur bis in die tiefsten Grundfesten erschüttert ist, eine noch weit höhere Bedeutung erlangt. In seiner Hand liegt es, die geistig-seelischen Kräfte des Volkes zu stärken. Die Entwertung alles Menschlichen ist ein furchtbares Erbe der jüngstvergangenen Tage, aber wir wissen auch, daß noch Gutes als Keim in jedem schlummert. Wecker des Sittlichen im menschlichen Gemüt zu sein, das ist die Forderung, die an die Erziehungsarbeit des Volksbildungswesens gestellt wird. Darum muß im Mittelpunkt dieser Erziehungsarbeit der Mensch mit seinen Menschenrechten stehen, die Erziehung zur Gemeinschaft. Die inneren Spannungen, die unser Zusammenleben vergiften, sind auszugleichen, denn nur gegenseitiges Verstehen kann uns zu einem wirklichen österreichischen Staats- und Kulturbewußtsein führen. Es ist also die Aufgabe des Volksbildners, die Menschen so weit zu bringen, daß sie sich selbst erziehen können. Da jeder Mensch von Natur als etwas Einziges und Besonderes geschaffen ist, gilt es in der Erziehung an die individuelle Art der Persönlichkeit anzuknüpfen und seinen besonderen Kern zur Entfaltung zu bringen. Daher kann sich der Vorgang der Bildung nicht in dem Räume der Verstandesbcwe-gung allein abspielen, wie die Rationalisten meinen, sondern vollzieht sich wesentlich im Leben des Gemütes. Hier stecken die Wurzeln aller Erziehung. Das Gemüt beeinflussen können, ist der Schlüssel zu aller Erziehungskunst und damit zur Arbeit der Volksbildung.

In der unversiegten Kraft unserer Volkskunst liegt ein Quell, der das Gemüt der Menschen labt, stärkt und ihnen neuen Mut zum Leben gibt. Wenn vdas liberale Bürgertum im vergangenen Jahrhundert und der Marxismus in der Volksbildung nur Wissensvermittlung sahen, so werden damit nur verstandesmäßige Regungen berührt. Aber es geht heute nicht nur um die Errungenschaften der Wissenschaft und des Fortschritts. So begrüßenswert und notwendig Anstalten der Volksbildungshäuser, Volkshochschulen und der Urania sind, das lebendige Volksgut liegt in der Pflege menschlicher Werte. Erziehung zum aktiven Miterleben und Gestalten der Kultur, Hebung der Lebens- und Berufstüchtigkeit sind die zwei Hauptpunkte, die von der volksbildnerischen Arbeit verlangt werden. Die Volksbildungsheime St. Martin und Hubertendorf waren Stätten, in denen junge Menschen aus bäuerlichen Kreisen in wahrer Gemeinschaft erzogen und zur Pflege des echten Volkstums hingeführt wurden. Heute lebt der gleiche Geist im Mathildenheim bei Leoben, das an Stelle von Hubertendorf eingerichtet wurde, und es besteht der Plan, in allen Bundesländern Österreichs neue Heime zu errichten, um nicht nur Menschen aus bäuerlichen Kreisen, sondern auch aus dem Arbeiterstand an diesem großen Erziehungswerk teilhaben zu lassen.

Auf einer Tagung dar bundesstaatlichen Volksbildungsreferenten in Klagenfurt gab Ministerialrat Dr. Bruck einen Überblick über die künftigen Aufgaben des Volksbildungswerkes, der in diesen beiden obenangeführten Hauptpunkten gipfelte. Hiezu gehört auch die Absicht, in allen Bundesländern Ausschüsse zu bilden, die eine Sichtung alten Volksgutes, der Volksschauspiele, der geistlichen und bäuerlichen Spiele durchführen, um den spielfreudigen Laiendarstellern, die in ihrer Ausdrucksform eine echte, das ganze Sein umfassende Gemeinschaft darstellen, wirklich gutes Material zur Verfügung stellen zu können. Der Kärntner Volksbildungsreferent versuchte, im Rahmen der Tagung einen Weg zur Betreuung der Dorfbühnen mit Laienspielermaterial sowie die Schulung der Laienspieler zu zeigen. Noch steht diese Arbeit am Anfang und es gilt manche Irrtümer auszumerzen. Ein Kärntner Verlag plant die Herausgabe einer „Dramatischen Reihe“, die ungefähr 30 Bühnenstücke vom Jesuitendrama bis zum modernen Schauspiel umfassen und dem Laienspielleiter in einer volkstümlich gehaltenen Einleitung die technische Voraussetzung der Aufführung vermitteln wird. Bisher sind drei Bände erschienen, und es muß leider gesagt werden, daß die Auswahl der Stücke nicht sehr glücklich erscheint. Anzengrubers „Doppelselbstmord“ sowie „Die Trutzige“ sind Bauernkomödien, die uns als Beispiel dafür dienen können, was wir auf einem Bauerntheater nicht mehr sehen woljen. Die Menschen der Anzengruber-Stücke tragen wohl bäuerliches Gewand, sind aber Produkte einer städtischen Gedankenwelt. Eine Aufführung des „Doppelselbstmord“ durch eine Klagenfurter „Berufsbauern-bühne“ verstärkte noch den Eindruck. Literaturhistorisch interessant mag die Herausgabe des Volksstückes „Der Furchtsame“ von Philipp Hafner sein, und es wäre gewiß wünschenswert, dieses erste Wiener Volksstück, das die Brücke von der Stegreifkomödie zu Nestroy und Raimund schlägt, einmal von einem Berufstheaterensemble aufgeführt zu sehen, aber weder der Laienspieler und noch viel weniger ein bäuerlicher Darsteller könnte mit den Problemen dieser Darstellungskunst fertig werden.

In den Landesbibliotheken, in Pfarrbüchereien und auch im Privatbesitz befinden sich viele alte Textbücher von wirkliehen Volksschauspielen, die wert sind, neu bearbeitet zu werden. Diese aus ihrem Archivdasein herauszuholen, wird die vor dringlichste Arbeit der Ausschüsse sein, denn dem Mangel an geeignetem Spielmaterial muß rasch abgeholfen werden, damit der Überflutung durch schlechte, kitschige, volksfremde Stücke Einhalt geboten wird.

Ein modernes Laienspiel, von jungen studierenden Menschen aufgeführt, zeigte, daß der Ruf nach neuen Dichtern, der an dieser Stelle schon einmal ausgesprochen wurde, immer dringender wird. Eine spielfreudige Jugend steht vor der traurigen Situation, daß sie keine Stücke finden kann, die ihren Empfindungen entsprechen, daß

sie gewiß da und dort einem Brosamen gleich ein Stückchen ihrer Gedankenwelt entdeckt, daß aber großes und zündendes Ideengut fehlt.

Bäuerliche und städtische Menschen, vor allem die Jugend, stehen wartend am Tf>r einer neuen Welt. Männer, die das große schöne Werk übernommen haben, ihnen dieses Tor aufzustoßen, damit sie eintreten können, müssen sich ihrer Mission bewußt werden. Vertretern des Staates und der Kirche harrt in der Volksbildung eine verantwortungsvolle Aufgabe. Die Klagenfurter Tagung hat gezeigt, daß viel guter Wille vorhanden ist, daß schon manches getan wurde, daß aber noch viel mehr zu tun bleibt.

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