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Volksbüchereiplanung in Österreich

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Die interessanten Ausführungen Doktor Adolf Brucks in der „Furche“ Nr. 6/194S über „Das Volksbüchereiwesen in Österreich“ spornen zu einer erneuten Auseinandersetzung mit dem Thema an. Vielleicht ist es möglich, dem historischen und allgemeinen Überblick noch einige konkrete Aspekte im einzelnen hinzuzufügen. Vor allem soll hier der inneren Entwicklungsmöglichkeiten der Büchcrclarbeit gedacht und ihre soziale Funktion beleuchtet werden. Dabei wird es nicht zu umgeben sein, daß Fernziele gezeigt und Forderungen aufgestellt werden, die unserer gegenwärtigen Situation gegenüber vielleicht illusionistisch anmuten. Kein Einsehen mit den zeitlichen Gegebenheiten darf aber so weit gehen, das Wesentliche preiszugeben. Und gerade in Uqibrudiszeiten ist es geboten, sich gelegentlich der festen Blickpunkte zu versichern, damit die Kontinuität der Arbeit gewahrt bleibt.

Unter Kontinuität soll hier nicht nur die historische Entwicklung verstanden werden, sondern auch die regionale Beziehung zu entsprechenden Bestrebungen in anderen Ländern. In beiden Zusammenhängen zeichnet sich heute bereits eine fest umrissene Idee ab, für die praktisch und theoretisch schon so viel Arbeit getan wurde, daß jeder weitere Plan nur mit ihrer Berücksichtigung durch'geführt werden kann. Die theoretische Entwicklung ist bei Dr. Bruck bis zu jener markanten Zäsur geführt, wo die Volksbücherei, die bis dahin den Anschein einer popularisierten wissenschaftlichen Bibliothek nicht ganz vermeiden konnte, sich durch Walter Hofmann entscheidend von dieser älteren Institution abhebt, durch die Einsicht nämlich, daß zu einer wirklich volksbildenden Wirksamkeit die materielle Bereitstellung der Bücher nicht genügt, sondern daß hier der persönlich vermittelnden, beratenden Funktion des Bibliothekars wesentliche Bedeutung zukommt. Damit ist nicht nur grundsätzlich eine eigenständige Institution geschaffen, sondern es ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer zweckentsprechenden Ausbildung ihrer Träger und konsequent die Bildung eines neuen Berufsstandes, der durch nebenamtliche Betreuung nicht mehr ersetzt werden kann.

In dieser Hinsicht kann die österreichische Entwicklung vor 1938 nicht eigentlich als hoffnungsvoll bezeichnet werden; denn die wesentliche Aufgabe wurde an entscheidender Stelle nicht erkannt und folglich auch die entsprechenden Mittel nicht bereitgestellt. Dagegen hat groteskerweise der Nationalsozialismus, der geistig in seiner propagandistischen Einengung ein Unheil für die Büchereientwicklung gewesen ist, die institutionelle Ausbaufähigkeit der Volksbücherei durchschaut und ihr fachlich ein Rückgrat gegeben, das eine entsprechende Entwicklung hätte einleiten können. Daß diese „F a c h 1 i c h k e i t" nicht selbst etwas wesentlich Nationalsozialistisches war, sondern vielmehr aus ganz anderen und viel älteren volksbildnerischen Quellen sich herleitete, braucht nicht erst betont zu werden. Darin liegt aber die Gewähr, daß diese fachliche Grundlage ohne politische Besorgnis auch im demokratischen Staat für tragfähig gehalten und als notwendig akzeptiert werden kann. Nur unter diesem Aspekt kann auch die Fachausbildung der Volksbibliothekare während der nationalsozialistischen Ära gesehen werden, Entschließt man sich wirklich, diese Ausbildung und ihre Zertifikate grundsätzlich zu verwerfen, so wird damit konsequenterweise das gesamte fachliche und womöglich akademische Prüfungswesen dieser Zeit in Frage gestellt. Nachdem es aber etwa in der Frage der Lehrbefähigung als durchaus tragbar empfunden wurde, die in der nationalsozialistischen Zeit abgelegte Prüfung zu Recht bestehen zu lassen und nur mit einer österreichisch-demokratisch orientierten Zusatzprüfung zu ergänzen, ist nicht einzusehen, warum auf dem volksbibliothekarischen Sektor nicht ein ähnlicher Ausweg getroffen werden könnte. Dies scheint um so eher einleuchtend, als die Zahl der Fachkräfte in Österreich ohnehin außerordentlich gering ist und sich bei Diskriminierung ihrer Ausbildung die Frage erhebt, wer eigentlich wen prüfen soll. Dabei muß mit Nachdruck betont werden, daß sich von der demokratischen Ordnung her ganz neue Fragen und Aufgaben ergeben, deren Lösung gerade wieder den Fachmann nötig hat. Diesen Fragen gegenüber geht es auch nicht an, einfach auf die Situation vor 1938 zu verweisen, wie ės im bürokratischen Räderwerk gelegentlich geschehen soll.

Es ist klar, daß die aus öffentlichen Mitteln erhaltene Bücherei der Gegenwart geistig eine ganz andere Funktion hat als die der nationalsozialistischen Zeit, eine andere aber auch als die Parteibücherei vor 1934. Grundsätzlich ist es Bestreben und Aufgabe der Volksbücherei, allen interessierten Lesern Bücher der Dichtung und Kunst, der Entspannung und der beruflichen Fortbildung, der allgemeinen Lebenspraxis und endlich der Wissenschaft, soweit es sich um ihre Forschungsergebnisse handelt, zugänglich zu machen. Daß zu allen diesen Gebieten noch das der Weltanschauung und Politik im engeren Sinn hinzukommt, versteht sich an sich schlechtweg, wurde aber in der vergangenen Zeit unter ein ganz bestimmtes Vorzeichen gestellt, nämlich unter das der Exklusivität einer bestimmten Denkweise. Es ist heute allen offenbar, daß eine solche Politik gerade auch in der Bücherei nur Absperrung und letzten Endes gefährliche Zwietracht bewirken kann. Gerade hier aber erwächst der demokratischen Volksbücherei die große Aufgabe, verbindend zu wirken im Sinn einer loyalen Diskussion, die einmal als das Wesen der Demokratie bezeichnet wurde. Abgesehen von diesem Auftrag, wird die Bücherei ihre Aufgabe, „gute s“ Schrifttum darzubieten, unter netien Gesichtspunkten in Angriff nehmen müssen. Der von der Hofmannschen Schule geprägte Begriff der Werthaftigkeit bedarf einer gewissen Aktualisierung und Konkretisierung i auf unsere Zeit hin, in der' die Bezugsysteme der Vergangenheit nicht mehr schlechthin gültig sein können. Hier ist die schwierige Frage der Buchauswahl und eines für alle öffentlichen Volksbüchereien gedachten Grundbestandes neu zu überlegen, und zwar so, daß die Ergebnisse dieser Überprüfung einen zentral verpflichtenden

Charakter bekommen. In diesem Zusammenhang muß einmal festgestellt werden, daß Demokratie nicht gleichbedeutend ist mit schrankenloser Dezentralisation und einem „Laissez-faire-Standpunkt", der es willig hinnimmt, wenn gleichgerichtete Kräfte unabhängig voneinander arbeiten und sich womöglich gegenseitig den Boden abgraben, wenn bei ihrer Vereinigung tragfähige Leistungen erreicht werden, könnten. So wäre es zum Beispiel zu überlegen, ob nicht den Büchereistellen doch eine gewisse Autorität hinsichtlich der Büchereiplanung in den Ländern gewährt und ihre Hinordnung auf die Wiener Zentrale angestrebt werden sollte.

Theoretisch hätte eine zentrale Planung natürlich neben dem bedeutsamen Hofmannschen Erbe die Büchereierfahrungen nicht nur Österreichs, sondern auch des Westens und des Ostens zu berücksichtigen. Über den letzteren ist — die Tschechoslowakei mit ihrem vorbildlichen Büchereigesetz ausgenommen — noch nicht genug bekannt, “m Urteile zu fällen; das angelsächsische Büchereiwesen aber hat Beispiele geschaffen, um die eine fachliche Diskussion nicht herum kann. Hier wäre nur etwa als Pendant zur stark pädagogischen und auf die Autorität des Bibliothekars gegründeten Konzeption Hofmanns die Tendenz zu nennen, den Leser durch freien Zutritt zum Regal zu einer größeren Selbständigkeit gelangen zu lassen, oder weiterhin der Versuch, durch enge Zusammenarbeit zwischen Volksbücherei, Schule und wissenschaftlicher Bibliothek' einen B i 1 d u n g s- organismus zu schaffen, der unserer Mehrgeleisigkeit in mancher Hinsicht doch beispielhaft gegenübergestellt werden könnte. Das Ziel wäre in.dieser Hinsicht eine neue und weiträumigere Bücberei- förm, die sich nicht nur baulich entsprechend zu repräsentieren, sondern auch ihrer Zuständigkeit nach einen weiteren Bereich der Information und geistige Hilfeleistung Zu versehen hätte. Es sollte vor allem die

Einrichtung funktionell gestufter Typen, die aber innerlich miteinander in stärkerem Maß verbunden sein sollen, als dies bei uns der Fall zu sein pflegt, ins Auge gefaßt werden. Ein solcher Büchereiorganismus, der auf der einen Seite die breitesten Volksschichten zu erreichen trachtet, und auf der anderen Seite durch die „Studienbücherei“ die Verbindung zur wissenschaftlichen Bibliothek herstellt, könnte ein Katalysator sein, der das kuturelle Wirken mehr oder weniger exklusiver literarischer und wissenschaftlicher Kreise wieder in Verbindung mit „unten" bringen könnte, auf daß der in mancher Hinsicht unterbrochene Kreislauf des geistigen Lebens sich zum Heile des Ganzen doch wieder zu schließen vermöchte.

In diesem Sinne läge auch ein aktives Eingreifen der Bücherei in die Budi Produktion in der Richtung einer ernsten Literaturpolitik durchaus im Bereich des Möglichen durch die Schaffung eines eigenen Büchereiverlages, der zugl äch die Versorgung der Bücherei mit dem nötigen Drudesortenmaterial zu übernehmen hätte. Dies setzt aber ebenso wie der Aufbau einer Ausbildungsstätte für Bibliothekare — ob dabei vorläufig an Sommerkurse oder für späterhin an eine ständig arbeitende Sdiule gedacht wird — ein tatkräftiges Interesse des Staates an der Büchereientwicklung voraus, das sich konsequenterweise in einem Rahmengesetz für den Aufbau von öffentlichen Büchereien mit einer entsprechenden Verpflichtung der Gemeinden äußern müßte. Bis zu welchem Grad die verfassungsrechtlichen Barrieren und die finanzpolitischen Bedenken derzeit für unüberwindlich gehalten werden müssen, kann in diesem Rahmen nicht erörtert werden. Die skizzierten Ziele werden aber von den zuständigen Stellen erkannt und im Auge behalten werden müssen, soll überhaupt eine sinnvolle demokratische Volksbüchereipolitik größeren Stils eingeleitet werden.

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