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Volksvertreter sind keine Makler

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Die Volksvertreter werden oft in einer ungebührlichen Weise verhalten — meist gegen ihren Willen —, die Dienste von Maklern zu verrichten. Außerdem erhebt ein an sich notwendiger, aber oft in ungebührlicher Weise strapazierter Klubzwang ökonomisch belangreiche und sachlich durchaus begründete politische Akte auf den Rang weltanschaulicher Entscheidungen.

Die „Kammer-Demokratie“

Nun ist aber offenkundig, daß nicht die Politiker die „Geschäftemacher“ sind, sondern meist die Verbände der Interessenten und die Masse der Begehrlichen, die versuchen, die Politiker zu Exekutivorganen ihrer oft unerfüllbaren Wünsche zu machen und zu miß-nraMerrV*^ 1a 3-OiAW iab

Die weifgehende Übertragung der politischen Bestimmungsmacht an die Interessentenverbände hat die verfassungsmäßige politische Hierarchie geändert und eine Art von kammerständischer Demokratie entstehen lassen. Die Kammern und andere Verbände des formell vorpolitischen Raumes sind weitgehend an die Stelle der in der Verfassung vorgesehenen politischen Führungsorgane getreten. Dadurch unterscheidet sich die Realverfassung (in Österreich) merklich vom normativen Gefüge der vom Gesetzgeber proklamierten Verfassung. Die ökonomischen Interessen sind daher auch in den demokratischen Ländern eine konstitutionelle Realität (J. Kaiser) bei gleichzeitiger Machtentleerung an der Spitze und einer verwirrenden Kompetenz- und Autoritätsungewißheit.

Die allzu weitgehende Reduktion der Parteien auf Interessentenparteien hat zu einer oft beachtlichen Rabattierung der in den jeweiligen Statuten niedergelegten Grundsätze nicht selten bis auf einen Erinnerungswert geführt. Gleichzeitig ist auch das rechtsstaatliche Denken in politischen Grenzsituationen aus dem politischen Bereich verwiesen. Recht wird von einzelnen Mächtigen als eine Formel verstanden, an die man sich nur dann hält, wenn sie Nutzen bringt.

Ebenso ist durch das Vordringen des Kommerziellen in die Politik das entstanden, was man unter „Ent-ideologisierung“ versteht. Einzelne politische Gruppen in der westlichen Welt verstehen sich — wie die amerikanischen Parteien — lediglich als rivalisierende Mannschaften, an deren Spitze keinesweg „Persönlichkeiten“ stehen müssen, sondern oft werbefabrizierte, also gemachte Personen.

Kein Schutz gegen „unten“

Die Demokratie als ein bestimmter Verhaltensstil in der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten ist durch eine allzu starke Bindung der Politik an wirtschaftliche Interessen oft nur mehr „Lippendienst“, ein Symbolrelikt aus einer politischen Situation, in der Demokraten wirtschaftliche und vor allem soziale und kulturelle Interessen gegen einen Despoten oder eine despotische Verwaltung verteidigen mußten.

Durch eine zu starke Bindung an die historische Kampfsituation des Ursprunges ist die Demokratie immer noch als eine Sicherung der Bevölkerung gegen die Willkür von „oben“ verstanden. Gleichen Schutz wie gegen das „Oben“ gewährt aber die Demokratie nicht gegen „unten“, gegen die Interessentenverbände, gegen den Terror der Kommerzpresse und der anderen Informationsfabriken. Wie schützt heute etwa die Demokratie gegen die Miniaturdespoten an der Basis der bürokratischen Hierarchie? Die Gesetze werden zwar auf eine formal-demokratische Weise beschlossen, aber nicht selten autokratisch ausgeführt. Daher die Angst der Staatsbürger, wenn sie ein Amt betreten und eine Dienstleistung von Bürokraten erbitten? arH die sieohnediefe Anspruch haben, |

In den westlichen Staaten ist die Demokratie heute nicht mehr Hoff-

nung, sondern bereits Geschichte. Daher kann man die Qualität der Demokratie an ihren Effekten prüfen. Dabei erkennt man, daß der Demokratie allzu viel zugemutet wurde. So wurde etwa angenommen, da alles Recht indirekt vom Volk ausgeht, daß das Volk Qualitäten besitzt, die es aus seiner Natur heraus nicht haben kann. Volksherrschaft ist keine Wirklichkeit und Volk ist kein als Ganzes handelndes Gebilde, das sich selbst zu verwalten vermag.

Macht kann daher auch in der Demokratie nur von Minderheiten ausgeübt werden. Die so oft als Ideal erklärte plebiszitäre Demokratie ist nur in den kleinen Regionen vollziehbar. Die Regierung muß Macht haben. Herrschaft ist unteilbar. Auch im Bereich der Demokratien.

Demokratie ist kein Zustand

Man hat der Demokratie deshalb ein Allzuviel zugemutet, weil man die Realmodelle und die Idealmodelle verwechselt hat. Jede Demokratie als eine Summe von Verhaltensweisen in der Politik ist der Versuch, Grundsätze des politischen Handelns an die gegebenen Bedingungen anzupassen. Die Demokratie ist daher kein Zustand, sondern ein Prozeß, ein permanentes Bemühen unter Bedachtnahme auf die Interessen der Staatsbürger und des Ganzen Politik zu machen. Daher ist die Demokratie 1 slefe' geschichtlich eingebunden. Wesen und Erscheinung, die Bedingungen für den Vollzug der Demokratie, haben sich gegenüber den Ursprüngen der klassi-

schen Demokratie geändert. Unsere Vorstellung von Demokratie ist dagegen oft gleichgeblieben.

Parteien und „Unpolitische“

Vorstellung und Wirklichkeit der Demokratie weisen aber ebensolche Unterschiede auf wie das Bild, das wir uns von den Parteien machen, und die Realität „Parteien“. Es gibt keine andere institutionelle Form der direkten Mitwirkung der Staatsbürger an den öffentlichen Angelegenheiten als über die Parteien; sie sind das Elementarinstrument der Demokratie. Wer Demokratie will, muß auch die Parteien mitwollen. Es gibt keinen Ersatz für die Parteien. Der Mensch ist aus seiner Natur heraus an Parteien gebunden; er entkommt ihnen nicht, weil er die Gründe ihres Entstehens in sich trägt. Anderseits können die Parteien der Gegenwart nicht so sein wie wir es von ihnen verlangen. Jede Partei in der Gegenwart ist zum Teil oder zur Gänze ein Vollzugsorgan von Gruppen, die hinter den Parteien stehen und sich zuweilen trotzdem als völlig „unpolitisch“ hinstellen.

Man stellt an die Parteien Forderungen, die oft besser oder zumindest auch an die hinter ihnen

stehenden Verbände gestellt werden sollten. Wenn man beispielsweise von den Parteien fordert, sie sollten in ihrem Verhalten nach außen, aber auch nach innen demokratisch sein, so ist es kein ungebührliches Verlangen, Gleiches auch von den in den politischen Raum hineinwirkenden Verbänden zu verlangen. Man kann nicht den Parteien eine Übung in Demokratie aufgeben, diese aber den Verbänden erlassen.

Da die Verbände in der Politik Mitmacht, wenn nicht Vormacht haben, entsteht neben dem parteipolitischen Pluralismus ein „Pluralismus aus zweiter Hand“ (W. Röpke): Jeder Parteiführung ist heute eine zweite Führung koordiniert.

Neben der Kommerzialisierung der Demokratie, die heute vor allem der Produktion von Vorteilsgewinnung für Gruppen zu dienen hat, und neben der Verbändeherrschaft ist es auch zum Entstehen dessen gekommen, was Götz Briefs (in „Zwischen Demokratie und Syndikalismus“) den Demokratismus nennt. Die Demokratie, stets nur ein Instrument, eine Summe von Regeln zur Bewältigung gesellschaftlicher Probleme, wird zur Weltanschauung. Dadurch kommt es zum Terror der Toleranz, zur Quantifizierung und Egalisierung von Qualitäten, zur Despotie der jeweiligen Mehrheit, die durch Abstimmung darüber entscheidet, was wahr und was rechtens ist. Gleichzeitig wird aber dadurch das Volk im Namen des Volkes in einer unvertretbaren Weise diszipliniert.

Sorge um einen „Nachwuchs“

Demokratie „im Zwielicht“ heißt nicht, daß sich das Prinzip der Demokratie im „Zwielicht“ befindet, sondern daß jene, welche die demokratischen Prinzipien anzuwenden suchen, sowohl in ihrem Verhalten

servertiert sind wie auch falsche jjljele ansteuern. Im , Jahre 1945 ^urde in .Österreich die Demokratie singesetzt'; ihre Konstitution war licht das Ergebnis eines Wachstumsprozesses, sondern einer Einpflan-

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