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Digital In Arbeit

Voll austauschbar

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Angesichts dieser Entwicklung werden Innovationen in neue Formen der Arbeit, besonders Telearbeit, intensiv diskutiert. Telearbeit auf Basis der Informations- und Kommunikationstechnologien ist etwa zehn lahre jung. Schätzungsweise sind von 140 Millionen Arbeitsplätzen in der EU derzeit 1,25 Millionen als Telearbeitsplätze anzusehen. Das maximale Potential dürfte sich auf bis zu 20 Prozent aller Arbeitsplätze belaufen; als politische Zielvorgabe wird in der EU bereits für das lahr 2000 eine Anzahl von zehn Millionen Beschäftigten in Form von Telearbeit diskutiert.

Ebenso wie um andere Phänomene der „digitalen Revolution", ranken sich auch um das Arbeiten auf Distanz Wunschbilder und Mythen. Phantasien aus dem 19. lahrhundert von Menschen, die morgens zum Fischen gehen, sich dann ein wenig um den Broterwerb kümmern, um sich schließlich der Muße, Liebe und Freundschaft zu widmen, scheinen vor ihrer Verwirklichung zu stehen.

Gegensätze zwischen Stadt und Land, Arbeit und Freizeit oder Produktion und Natur scheinen aufhebbar. Es scheint, als würde selbst die Anstrengung der Arbeit mit der Im-materialität der Information verschwinden.

Tatsächlich ist die Liste der Vorteile lang, die von Telearbeit zu erwarten sind: Die Unternehmen rechnen mit Gewinnen durch Effizienzsteigerung und Einsparungen bei Infrastrukturkosten. Ländliche Regionen hoffen auf ein Sinken der Abwanderung in die Urbanen Zentren und damit auf eine Aufwertung. Die Umwelt könnte davon profitieren, daß der belastende Pendelverkehr durch den Transfer von Information immer stärker ersetzt wird.

Vor allem aber für die Arbeitenden eröffnet sich eine größere individuelle Freiheit in bezug auf ihre Lebensentwürfe, wenn sie wählen können, ob sie ihrer Arbeit nach wie vor am traditionellen Arbeitsplatz, oder aber zu Hause, in Telezentren oder als mobile Teleworker nachgehen wollen.

Andererseits sind auch mögliche negative Effekte nicht außer acht zu lassen. Mittlerweile ist bekannt, daß die Vermischung von Arbeit und Privatsphäre eine starke Belastung darstellen kann, wovon tendenziell vor allem die zu Hause arbeitenden Frauen betroffen sind. Auf sie ist auch das

Versprechen zugeschnitten, Telearbeit würde ihnen eine kontinuierliche Teilnahme am Erwerbsleben sichern." Das könnte sich aber auch als Bumerang erweisen, wenn für das Aufsteigen auf der Karriereleiter nach wie vor die physische Anwesenheit in den Zentren der Produktion relevant bleibt.

Schließlich besteht auch die generelle Gefahr, daß Dienstleistungen vermehrt in Billiglohnländer ausgelagert werden. Auch innerhalb der EU sind arbeits- und sozialrechtliche Standards weitgehend unverhandelt.

Wir sind Zeitzeugen eines beschleunigten Trends zur Globalisierung, der Reorganisation von Arbeitswelten, des Entstehens neuer Produktionsweisen und Produkte. Die Komponenten der sogenannten „digitalen Bevolution" gehören dabei zu ausschlaggebenden, aber keineswegs den einzigen Faktoren des rapiden sozio-ökonomischen Wandels.

Die Auswirkungen dieser Situation auf die traditionellen Formen von Arbeitsbeziehungen sind konsequent negativ: Die Entfremdung von den Produkten findet in der Auflösung von Arbeitsleistungen in undurchschaubaren Prozessen ihre geschichtliche Vollendung (Abschluß des Übergangs vom Handwerk über die klassische Industrie in die Wissensökonomie); zugleich sinkt das Gewicht der relativen Bedeutung des einzelnen Beschäftigten, sodaß diese auch gegenüber anderen eher als austauschbar erscheinen als früher.

Diese Wahrnehmung ist freilich an die Grundthese der Arbeitsgesellschaft gebunden, daß nämlich Werte jeder Form nur durch Arbeit geschaffen würden. Eine Gesellschaft, die -etwa auf der Basis eines über Wertschöpfungsumlagen gesicherten Grundeinkommens - soziale Beziehungen weniger über Beschäftigung definieren würde, könnte die beschriebenen Entwicklungen viel eher als positive Chance zur Gestaltung der Zukunft akzeptieren.

Auslagerungen von betrieblichen Funktionen und die internationale Verlagerung von Arbeit in Billiglohn-länder führen zu politischen und sozialen Spannungen, auf die klassische Strategien von Arbeitnehmerorganisationen nur wenig Einfluß nehmen können. Sie sind notgedrungen auf die Existenz von Betrieben und eine gewisse Beständigkeit ihrer Strukturen angewiesen, während die Unternehmenskonturen immer flexibler werden und immer mehr der Mobilität des Finanzkapitals folgen.

Als Speerspitze dieser Entwicklung zeigen die sogenannten „Virtuellen Betriebe" die Richtung an: Unternehmungen, die sich selbst oft treffender als „Projekte" betrachten, verarbeiten Information, produzieren Wissen und leisten Arbeit, ohne in traditioneller Weise Arbeitsplätze zu schaffen (eine Person arbeitet in der Regel für mehrere Auftraggeber).

Beziehungen zwischen den Beschäftigten weisen dementsprechend wenig Stabilität und stattdessen hohe Mobilität bis Beliebigkeit auf. Fixe Austauschbeziehungen auf der Grundlage von Halb- und Fertigprodukten verschwinden in vielfältigen Kommunikationsformen im Zug der Teilnahme an Entwicklungsprozes-sen von zeitlich begrenzten Projekten.

Diese Arbeitsformen überschreiten nun den Kreis kleiner freiberuflicher Eliten, wo sie auch bisher schon vorkamen. Infolge von neuen, diffuseren, betrieblichen Organisati-onsstrükturen und begünstigt durch die Möglichkeiten moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (Multi-Media-Systeme, Videokonferenztechniken, weltumspannende Netze) werden die Phänomene der virtuellen Firmen, generell neue Formen des Arbeitens - Telearbeit in allen Schattierungen, bewußtere kulturelle Gestaltung und Design, sowie Arbeit, die von Bildung immer weniger zu unterscheiden ist -zu quantitativ meßbaren Elementen in Arbeitsmärkten und Beschäftigung-Unter diesen Bedingungen droht eine extensive Zunahme von Isolation in der Arbeit - etwa bei elektronischer Heimarbeit im Fall der Ausbreitung von Telearbeit. Um dies hintanzuhalten sind Richtlinien zur sozialen und rechtlichen Gestaltung neuer Arbeitsverträge, sowie die Entwicklung von Telezentren zu empfehlen: Beide Voraussetzungen zusammen ermöglichen neue Formen von Kommunikation in den Arbeitsbeziehungen.

Der Autor ist

Prqfessorfür Technikbewertung an der Universität für Bodenkultur in Wien und Leiter des Zentrums für Soziale Innovation (ZSI).

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