Vom Einteilen und Abwürgen

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Interdisziplinäre Forschung bleibt weiter auf Sparflamme. Österreichs Wissenschaftlerin des Jahres 2013 über das lähmende Korsett der Fächerbürokratie.

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Interdisziplinäre Forschung bleibt weiter auf Sparflamme. Österreichs Wissenschaftlerin des Jahres 2013 über das lähmende Korsett der Fächerbürokratie.

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Die gute Nachricht zuerst: Die "Österreichische Systematik der Wissenschaftszweige 2012" der Statistik Austria, enthält "Sonstige und Interdisziplinäre Geowissenschaften". Sonst aber wird eingeteilt, was das Zeug hält: Fachnummer 507006, Kulturlandschaftsforschung, ist von 507027, Nachhaltiger Stadtentwicklung, ebenso säuberlich getrennt wie 301402 (Neurobiologie) von 106025 (Neurobiologie) - letztere einmal als Teil der Biologie und einmal als Teil der Medizinischen Wissenschaften. Ein ähnliches Doppelleben führen Bioinformatik, Strahlenschutz, Erdölgeologie, Geschichte der Geographie und selbst Straßenbau. Die Geoinformatik bringt es auf eine Dreifachzuordnung, während "Ethik in der Umweltbiotechnologie" nicht zu Ethik, sondern nur zur Umweltbiotechnologie gehört. "Sonstige", die Verzweiflungskategorie aller Sortierenden, gibt es acht Mal, die englische Übersetzung "not elsewhere classified" zeigt, dass wir es mit einem Sortierrest zu tun haben.

"Mainstreaming" als Katastrophe

Das alles könnte man als Leistung reifer Bürokratien gelassen nehmen, wenn davon nicht die Förderung von Forschung abhinge. Bei jeder Einreichung beim Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung (FWF) muss man entscheiden, wohin man gehört. Immerhin dürfen bis zu fünf Zuordnungen gewählt werden, samt Anteil in Prozent. Davon hängt ab, welche Referenten beim FWF zuständig sind, wer die Gutachter auswählt und den Antrag in der Vergabesitzung vertritt und damit das Schicksal der Einreichung. Viele der Felder der Liste können von sich mit Fug und Recht behaupten, interdisziplinär zu sein. Interdisziplinäre Anträge haben, so eine Studie des FWF, eine etwas geringere Chance, bewilligt zu werden. Das liegt an der Begutachtungsweise. Die nach disziplinärer Exzellenz ausgewählten Gutachter beurteilen vorwiegend ihren Anteil am Kuchen und so bleibt die originäre Leistung der Kombination unterschätzt.

Das könnte man mit einem anderen Gutachterverfahren ändern. Der FWF arbeitet inzwischen auch daran, Innovation, die eher an den Rändern denn im Mainstream entsteht, gezielt zu fördern. Das PEEK-Programm, das die Schranke zwischen Wissenschaft und Kunst aufheben soll, ist ein gutes Beispiel; das sehr erfolgreiche Programm wurde aber bedauerlicherweise wieder eingestellt. Residuen der Statistik geraten bei knappen Mitteln früher unter Druck als der Mainstream. Das mag am Risiko liegen, denn auch der FWF wird an seinen Erfolgen gemessen. Diese aber werden immer disziplinärer beurteilt, unter zunehmender Dominanz des angelsächsischen naturwissenschaftlichen Modells. Forscher und Forscherinnen müssen, wollen sie im österreichischen Wissenschaftssystem etwas Wert sein, englischsprachige Zeitschriftenbeiträge in "high-impact" Journalen vorweisen, die "gelistet" und "peer-reviewt" sind.

Das ist eine Katastrophe, ein "Mainstreaming", das man sich getrost als Rodung von Regenwald und dessen Ersatz durch Palmölplantagen vorstellen darf. Die Zielvereinbarungen von Wissenschaftern mit ihren Department-Leitern, deren Zielvereinbarungen mit den Rektoraten und deren Leistungsvereinbarungen mit dem Wissenschaftsressort hängen nicht an der Qualität der Arbeit, sondern daran, in welcher Form sie veröffentlicht wird.

Rhetorik für Sonntagsreden

Das Erfolgsrezept heißt somit: Publiziere häppchenweise, auf Englisch, so, dass möglichst viele Wissenschaftler Dich zitieren. Kein Wunder, dass einige der wichtigsten historischen Zeitschriften gegen den "Reference Index for the Humanities" aufbegehrten, den die Europäische Wissenschaftsagentur (ESF) zusammenstellen ließ, um die Geisteswissenschaften in das naturwissenschaftliche Modell einzubauen. Die Rede von der steigenden Bedeutung interdisziplinärer Ansätze ist dagegen bloße Rhetorik, gut für Sonntagsreden.

Die Strukturen der Wissenschaftsfinanzierung sind auf Vereinzelung und Disziplinierung angelegt. Der wissenschaftspolitische Befreiungsschlag hin zu einer Wissenschaft, die nicht nach Disziplinen, sondern danach fragt, was sie für die Gesellschaft tun kann, bleibt aus. Inzwischen kann man ja überlegen, ob man zu 107007, naturwissenschaftlicher Risikoforschung, oder doch lieber zu 211914, Risikoforschung (als anderer technischer Wissenschaft), forschen möchte.

Die Autorin ist Dekanin der Fakultät für Interdiszipl. Forschung & Fortbildung der Uni Klagenfurt

Interdisziplinär und transdisziplinär forschen. Praktiken und Methoden. Von Gert Dressel et al. (Hrsg.), transcript-Verlag 2014.362 Seiten, kart., € 36

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