Vom Wert nutzlosen Wissens

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Während sich Vertreter von Wirtschaft und Industrie mehr Effizienz und Praxisbezug wünschen, pochen Wissenschafter auf der Zweckfreiheit der Forschung: Die Universitäten - und mit ihnen die Studierenden - auf der Suche nach dem richtigen Weg zwischen Bildung und Ausbildung.

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Während sich Vertreter von Wirtschaft und Industrie mehr Effizienz und Praxisbezug wünschen, pochen Wissenschafter auf der Zweckfreiheit der Forschung: Die Universitäten - und mit ihnen die Studierenden - auf der Suche nach dem richtigen Weg zwischen Bildung und Ausbildung.

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Die Zahlen verheißen nichts Gutes: Vertraut man den Prognosen des Vorsitzenden der Rektorenkonferenz, Georg Winckler, und baut man auf die Weissagungen der neuen ÖH-Vorsitzenden, Anita Weinberger, dann steht den Österreichischen Universitäten im Herbst ein Schwund von 60.000 Hörern ins Haus. Bis zu ein Drittel der rund 220.000 Studierenden könnte sich angesichts der Studiengebühren von 5.000 Schilling (363 e) pro Semester aus dem Inskriptionsregister verabschieden. Der Oktober schafft also klare Verhältnisse - nicht nur über die Anzahl der Karteileichen, sondern auch über die Attraktivität der Universitäten als (Aus-)Bildungsstätte überhaupt. Rund 40.000 Maturanten sehen sich heuer vor die Entscheidung gestellt, ob sie einer Fachhochschule, einem Kolleg, einer Akademie oder dem langen, freiheitsverheißenden Streifzug durch die Hörsäle und Bibliotheken der Alma Mater den Vorzug geben sollen.

Doch während ab Herbst die Erfolgsgeschichte der praxisorientierten Fachhochschulen mit bis zu 31 neuen Studiengängen um ein Kapitel reicher wird, ringt man an Österreichs Universitäten weiterhin um die eigene Identität. Autonomie, Schwerpunktbildung, Dienstrecht und die immer öfter gestellte Frage nach der universitären Effizienz markieren die Eckpfeiler dieses Selbstfindungsprozesses. Was also leisten Universitäten - für die Studierenden, wie für die Gesellschaft - und was leisten sie nicht?

Mangelhafte Effizienz Wozu sie derzeit jedenfalls nicht im Stande sind, ist nach Meinung von Wirtschaftsexperten effizientes Arbeiten. Neben überlangen Studiendauern und doppelt so hohen Kosten pro Studierendem wie der OECD-Durchschnitt verzeichnet Österreich eine einzigartige Drop-Out-Rate von über 50 Prozent (siehe auch Seite 4). Nicht nur deshalb werden den heimischen Universitäten wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmenskonzepte ans Herz gelegt. So forderte der Vorsitzende des Bildungsausschusses der Industriellenvereinigung und Generaldirektor der VA Stahl, Peter Strahammer, erst jüngst von den Hohen Schulen mehr strategisches Management: "Dafür müssen Stärken- und Schwächenanalysen durchgeführt und der Markt beleuchtet werden." Auch sollten die autonomen Universitäten wie schon jetzt die Fachhochschulen Zugangskriterien für Studierende aufstellen können. Eine Selektion der Studierenden wäre die Folge. Der Industrielle will zwar "nicht grundsätzlich kleine Studienrichtungen in Frage stellen, aber überlegen, ob hier nicht Ressourcen vergeudet werden, die woanders besser eingesetzt werden können".

Strahammers Rezepte sind Wasser auf die Mühlen all jener, die vor dem Trend zur Ökonomisierung der Universitäten warnen und in der Gleichsetzung von Bildung und Ausbildung den endgültigen Abschied von der Humboldtschen Idee vermuten - jenem Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre und der Selbstzweckigkeit der Wissenschaft. An vorderster Front der Mahner ist Peter Kampits, Professor am Institut für Philosophie der Universität Wien. "Joseph II. hat 1782 dekretiert, dass an den Universitäten nichts gelehrt werden soll, was die Studenten ,nachher entweder sehr seltsam oder gar nicht zum Besten des Staates gebrauchen oder anwenden können'. Diesen Josephinismus haben wir jetzt durch naives Wirtschaftsdenken ersetzt", kritisierte der Philosoph im Rahmen des Symposiums "Universität und Zivilgesellschaft", das vergangene Woche von der Österreichischen Forschungsgemeinschaft gemeinsam mit dem "Standard" veranstaltet wurde. "Die heilige Kuh ist heute die Ökonomie." Entsprechend schwer sei der Stand der Geisteswissenschaften, analysiert Kampits, insofern sie nicht direkt kommerziell nutzbar - doch gerade deshalb sehr nützlich seien. "Gerade in ihrer Nutzlosigkeit besteht die große Chance, in den Raum der civil society vorzustoßen." Die angepeilte Zivilgesellschaft bedürfe eben mehr als marktgerechter Spezialisten, nämlich "reflexionsfähiger, kritischer, gebildeter Bürger."

In ähnlicher Weise sieht auch Lothar Zechlin, Rektor der Karl-Franzens-Universität in Graz, die Aufgabe der Hohen Schulen unter anderem darin, den "Unterbau des demokratischen Staates" zu stärken. Den frei Forschenden ist damit jedoch die Bringschuld auferlegt, ihre Ergebnisse den mündigen Bürgern zu vermitteln - und zwar verständlich. "Viele Experten nützen sehr wenig, weil sie sich meist widersprechen", kritisiert Zechlin. "Dabei müssten sie die Bevölkerung fähig machen, sich selbst eigene Maßstäbe zu setzen."

Der Drang zur Verzweckung und Marktorientierung der universitären (Aus-)Bildung ist freilich kein österreichisches Phänomen. So waren im März 2000 insgesamt 50 niederländische Professoren mit einem Manifest an die Öffentlichkeit getreten und hatten gegen die "Verschulung und Vermassung der Lehre, die Konzentration auf bloße Ausbildung, die zunehmende Bürokratisierung und Managerisierung der Verwaltung und die Kommerzialisierung der Forschung" protestiert. Diese Entwicklung habe in den 80er Jahren ihren Höhepunkt erlebt, weiß Koo van der Wal, Professor für Philosophie an der Erasmus Universität Rotterdam: "Damals wurde den niederländischen Universitäten ein Finanzierungsystem auferlegt, wobei man zuvor angeben musste, was man in fünf Jahren gefunden zu haben glaubte." Wissenschaft jedoch sei unvorhersehbar, betont van der Wal. Wer nach "fast food", "fast sex" nun auch "fast science" wolle, blockiere vielmehr das Ausreifen von Ideen und den echten wissenschaftlichen Erfolg.

Elfenbeinturm adieu Zwischen Beschäftigungsorientierung und Elfenbeinturm ist die Universität also auf der Suche nach der besten Dienstleistung für die Gesellschaft. Worin diese besteht, bleibt umstritten. Winfried Schulze vom Historischen Seminar der Universität München ortet sie - im Unterschied zu manchem Kollegen - verstärkt in der Berufsausbildung. "Je eher die Universität sich darauf versteht, ihre Studenten gut auf die Anforderungen der Berufswelt vorzubereiten, desto eher wird sie sich die Freiräume für jenes Denken schaffen, das nicht in beruflicher Verwertbarkeit aufgeht." Ob diese Logik stimmig ist, wird sich wohl demnächst weisen.

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