Vom Wohl und Wehe der Schulautonomie

Werbung
Werbung
Werbung

Bislang führte sie in Österreich ein Schattendasein. Nun geistert sie - kolportiertermaßen - durch die Koalitionsverhandlungen: die Schulautonomie. Tatsächlich gibt es wohl niemanden, der sich nicht mehr Raum für Eigenverantwortung an den Schulen wünscht - verbunden mit weniger Gängelung durch Inspektoren, Landesschulräte und Ministerien. Doch sollen es Lehrer, Eltern und Schüler auch in der Hand haben, ob aus ihrer Halbtags- eine verschränkte Ganztagsschule wird? Oder gar mitentscheiden, ob ein Gymnasium eine "spezialisierte“ Langform bleibt oder in eine "Neue Mittelschule“ samt Oberstufengymnasium zerfällt, wie der Gesamtschul-Kompromiss des Salzburger Landeshauptmanns und ÖVP-Bildungs-Chefverhandlers Wilfried Haslauer lautet? Kurzum: Ist mehr Schulautonomie die Rettung aus dem langjährigen ideologischen Patt?

Heidi Schrodt, ehemalige Direktorin am Wiener Gymnasium Rahlgasse und Vorsitzende der Initiative "Bildung Grenzenlos“, empfindet diesen Gedanken "fast als Bedrohung“ - und als "Bankrotterklärung der Politik“. "Wenn man diese strukturellen Fragen ohne nationales und regionales Bildungsmanagement einfach den Schulen überlässt, dann ist eine gute und notwendige Maßnahme von vornherein zum Scheitern verurteilt und führt in den Schulen nur zu Konflikten“, ist sie überzeugt. Ähnlich argumentiert auch der Grüne Bildungssprecher Harald Walser - selbst karenzierter Direktor des Gymnasiums Feldkirch: Die Schulautonomie laufe Gefahr, "ein schönes Mäntelchen für eine Nichtentscheidung“ zu werden. Demgegenüber plädiert er für klare Vorgaben - inklusive 50 Prozent ganztägiger Schulformen und gemeinsamer Schule aller Zehn- bis 14-Jährigen.

"Zwangsbeglückte“ Minderheit?

Kritik an den kolportierten Regierungsplänen kommt freilich auch aus der Gegenrichtung: Am 8. November, dem "Tag des Gymnasiums“, warnten Lehrer- Eltern- und Schülervertreter der mittleren und höheren Schulen Österreichs nicht nur vor einem Qualitätsverlust durch die Zerschlagung der Gymnasien (und vor einer Wiedereinführung von AHS-Aufnahmetests) - sondern auch davor, dass künftig nur noch 50 Prozent statt zwei Drittel der Schulpartner zustimmen sollen, um eine Schule ganztägig verschränkt zu gestalten. Dadurch, so Bundeselternvertreter Theodor Saverschel, könne es vor allem auf dem Land leicht zur "Zwangsbeglückung“ von Eltern kommen.

Die Politik bleibt also in den strittigen Strukturfragen gefordert. Doch wieviel schulische Autonomie braucht es darüber hinaus? Ein kurzer Überblick über den Status quo und die Wünsche von Experten.

1 Schule am Gängelband

Derzeit haben die Bundesschulen ein minimales, autonomes Budget für Sachaufwand, die Pflichtschulen nicht einmal das. Doch besteht die Möglichkeit, durch Vermietung von Schulräumen oder Werbung das Budget zu erhöhen. Inhaltlich können Schulen autonome Schwerpunkte im Umfang von vier bis sechs Stunden setzen. Dazu kommen die "schulautonomen Tage“, die Eltern freilich oft vor große Betreuungs-Probleme stellen. Alles andere ist durchreguliert - mit teils haarsträubender Bürokratie. "Wir müssen bei Stellen einkaufen, die von der Bundesbeschaffung in einem Katalog aufgelistet sind. Ich kann also für einen einfachen Bleistift nicht in die Trafik ums Eck gehen“, kritisiert etwa Wilhelm Zillner, Leiter des BRG/BORG Kirchdorf an der Krems und derzeit Sprecher der österreichischen AHS-Direktorinnen und -Direktoren.

2 Heißes Thema Personalhoheit

Nur informell können Schulleiter derzeit versuchen, Lehrer mit bestimmten Qualifikationen an ihre Schule zu bekommen. Die Möglichkeit, sich die Pädagogen tatsächlich auszusuchen, steht deshalb im Zentrum der Autonomie-Debatte. Die Neos wünschen sich, dass Schulen Lehrer gezielt anwerben, anstellen und, wenn notwendig, verabschieden können. Statt eines Dienstrechts brauche es dazu einen noch auszuhandelnden Kollektivvertrag. Geht es nach Heidi Schrodt, dann sollten sich Schulleiter aus einem Bewerber-Pool der regionalen Bildungsdirektion die passenden Pädagogen wählen dürfen. Auch AHS-Direktor Wilhelm Zillner drängt auf mehr personelle Freiheit - erinnert aber zugleich an die Schwierigkeiten angesichts zunehmenden Lehrermangels. "Bei voller Personal-Autonomie werden die Städte so viele Bewerber absaugen, dass wir in ländlichen oder Randbereichen gar keine Lehrer mehr bekommen.“ Um im Wettbewerb autonomer Schulen einen gewissen Ausgleich zu schaffen, müssten benachteiligte Standorte deshalb vermehrt Ressourcen erhalten, ergänzt Heidi Schrodt. Pflichtschullehrer-Gewerkschafter Paul Kimberger (FCG), der auch bei den Koalitionsverhandlungen in der Untergruppe "Bildung“ sitzt, lehnt eine komplette Personalautonomie ab. "Jeder Konzern dieser Größenordnung leistet sich eine Personalabteilung“, erklärt er, "aber die einzelnen Schulstandorte sollen ein deutliches Mitspracherecht haben.“ Auch Entlassungen müsse es künftig geben können, allerdings als gemeinsame Entscheidung des Schulstandortes mit der Schulbehörde, um Lehrer wie Leiter vor "politischer Einflussnahme oder Willkür“ zu schützen

3 Und wer wird Direktor?

Dass diese Einflussnahme zumindest bei Schulleiterbestellungen in Österreich nach wie vor existiert, ist für die meisten Experten unbestritten. "Auch wenn es Objektivierungsverfahren gibt, so wissen wir, dass potenzielle Schulleiterinnen sich vor allem über parteipolitische Karrieren qualifizieren“, erklärt Johannes Theiner, Vorsitzender der Wiener Elternvereine für die mittleren und höheren Schulen. Den aufwändigen Assessment-Verfahren mangle es oft an Transparenz, von Mitbestimmung der Schulpartner könne keine Rede sein. Auch Schul-Direktor Zillner würde sich "eine völlige Entparteipolitisierung“ und mehr Mitsprache der Schulpartner wünschen. "Wenn sich aber, wie zuletzt in Gmunden, gar niemand mehr auf eine freie Direktorenstelle meldet, dann ist Parteipolitik kein Thema mehr.“ Immer für alles zuständig sein, trotzdem nichts entscheiden dürfen und mit Bürokratiebergen kämpfen: Traumjobs sehen - vorerst noch - anders aus.

VERANSTALTUNGSTIPP

Symposium "Schulautonomie als Chance“

Donnerstag, 21. November, 15 bis 19 Uhr 15.

Wirtschaftskammer Österreich, Saal 6,

Wiedner Hauptstraße 63, 1040 Wien.

Infos: www.bildunggrenzenlos.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung