"Von Indianerhäuptlingen und Start-up-Gründern"

19451960198020002020

Wie sich der Entrepreneur-Experte Johannes lindner die ausbildung von Jugendlichen zu erfolgreichen Wirtschaftstreibenden vorstellt. | Das Gespräch führte Doris Neubauer

19451960198020002020

Wie sich der Entrepreneur-Experte Johannes lindner die ausbildung von Jugendlichen zu erfolgreichen Wirtschaftstreibenden vorstellt. | Das Gespräch führte Doris Neubauer

Werbung
Werbung
Werbung

Um Kinder von heute auf ihre Rolle als Unternehmer und Arbeitnehmer von morgen vorzubereiten, sollen sie schon in der Schule ihr Potenzial entfalten und eigene Ideen verwirklichen können. Da setzt Johannes Lindner mit "Entrepreneurship Education" an.

FURCHE: Ist es nicht etwas früh, Kinder in der Schule zu Unternehmern auszubilden?

Johannes Lindner: Entrepreneurship ist ja nicht automatisch Unternehmensgründung. Das ist immer wieder zu relativieren. Es stimmt, dass man im 19. Jahrhundert unter Entrepreneur einen Unternehmer verstanden hat. Das ist also nicht falsch. Doch nach Schumpeter sind Entrepreneure Menschen, die innovative Ideen umsetzen. Entrepreneure erwarten nicht, dass jemand anderer es für sie macht. Diese Fähigkeiten kann man bereits in der Volksschule fördern. Solche Menschen braucht man bei der Jungschar, den Pfadfindern und auch in der Wirtschaft. Oder wie Schumpeter meinte: "Das kann ein Indianerhäuptling, ein Kolchosevorsitzender, ein Bürgermeister sein. Nur kein Trafikant."

FURCHE: Wieso das?

Lindner: Den Trafikanten hat er als Beispiel für einen Unternehmer genannt, dem quasi vom Sozialministerium diese Position zugewiesen wurde. Damals gab es viele Kriegsinvaliden, die versorgt werden mussten und deshalb Trafiken erhalten haben.

FURCHE: Aber zurück zur Eingangsfrage. Seit zwei Jahren gibt es Entrepreneurship Education auch an Volksschulen, warum so früh?

Lindner: Das hat drei Gründe: Der erste ist soziale Inklusion. Am besten lernen wir als kleine Kinder durch die Sozialisiation in der Familie. Diese sollte dich inspirieren, Ideen umzusetzen. Leider nimmt ein Großteil der Bevölkerung nicht wahr, dass er viele Chancen hat und kann das somit nicht an seine Kinder weitergeben -das muss die Schule übernehmen. Ein zweiter Grund ist, dass wir in Österreich durchschnittlich 1,3 Kinder haben. Die werden von Eltern, Großeltern und allen Verwandten in einen "Kokon der Liebe" gehüllt und in allen Belangen serviciert. Wir schicken sie früh in den Kindergarten, um sie zu sozialen Wesen zu machen. Doch wir müssen unseren Kindern auch die Chance geben, pro-aktiv zu werden. Der dritte Grund ist, dass unsere erfolgreiche Wirtschaft kein Automatismus ist. Jede Generation muss das aufs Neue lernen.

FURCHE: Wie sieht Entrepreneur Education in der Praxis aus?

Lindner: Es handelt sich um ein sogenanntes Progressionsmodell. Das heißt, so wie sich Sprache entwickelt, soll auch unsere Selbstwirksamkeit Stück für Stück wachsen. Das ist unser Ansatz. Dafür haben wir mit dem Bildungsministerium Challenges formuliert, die in Unterstufen und Oberstufen altersgerecht zum Einsatz kommen.

FURCHE: Und wie nehmen Lehrer Entrepreneurship Education auf?

Lindner: Man kann das nur unterrichten, wenn man es selbst gemacht hat. An Universitäten wird in der Lehrerausbildung Entrepreneurship Education angeboten - beispielsweise für Geografie und Wirtschaftskunde an der Universität Wien und für Wirtschaftspädagogen an der WU Wien oder der Universität Graz. Bis diese Lehrer an der Schule ankommen, vergeht aber einiges an Zeit. Wir haben selbst über 3.000 Lehrende fortgebildet.

FURCHE: Sie haben die Zertifizierung angesprochen. Wie funktioniert sie?

Lindner: 2011/12 haben wir ein umfangreiches Schulzertifizierungssystem für Entrepreneurship Education Schulen entwickelt: Wenn sich Schulen zertifizieren lassen möchten, wird zuerst in einem Workshop mit allen Lehrenden erarbeitet, was Entrepreneurship Education ist und geschaut, wo bereits Aktivitäten gesetzt werden beziehungsweise welche für eine Zertifizierung zusätzlich nötig wären. Viele Lehrer sind ohnehin schon sehr aktiv. Ursprünglich wollten wir in jedem Bundesland eine zertifizierte Schule. Mittlerweile haben wir bereits 22 zertifizierte berufsbildende mittlere und höhere Schulen, weitere 39 sind gerade im Zertifizierungsprozess.

FURCHE: Gibt es messbare Erfolge?

Lindner: Der durchschnittliche Gründer ist um die 30 Jahre alt ist. Die Zahl der 18-Jährigen liegt bei 0,2 Prozent. Aber es ist ja auch in Ordnung, wenn der Schüler zuerst arbeiten geht und später etwas macht. Spannend ist, wenn man sich die Geschäftsmodelle von Gründungen ansieht. Da tut sich in Österreich viel. Wir machen seit elf Jahren Ideenwettbewerbe - und die Qualität der Modelle hat sich sehr positiv entwickelt. Viele haben coole Ideen, möchten sich aber nicht fixieren. Das ist das Privileg der Jugend, sich diese Leichtigkeit zu bewahren und Projekte auch loslassen zu können.

FURCHE: Seit 2005 vertreten Sie Österreich zu Entrepreneurship Education in der EU. Wie stehen wir im internationalen Vergleich da?

Lindner: Schon 2001 ist von den Regierungschefs der EU beschlossen worden, Entrepreneurship bis 2020 im Bildungssystem zu verankern. Das ist 2014 im EU-Rat noch einmal erneuert worden. Derzeit liegen die skandinavischen Länder in der EU an vorderster Stelle, aber auch kleine Länder sind gut unterwegs. In Slowenien zum Beispiel möchte man die "Youth Start - darstufe-I-Schulen implementieren, sowie 90 Prozent der Sekundarstufe-II-Schulen. In Luxemburg hat man das Ziel von 100 Prozent bereits erfüllt. Die österreichische Expertise wird in den Kooperationen mit Luxemburg oder Slowenien, aber auch mit Bulgarien stets betont. Bei den Implementierungsarbeiten in Österreich wurden einige Erfolge erreicht, es sind allerdings noch weitere Schritte notwendig.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung