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Vor allem eine Frage des Wollens“

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Die österreichische Volkspartei hat im Unterrichtsausschuß des Parlaments erklärt, erst dann wieder über die weitere Durchführung der Schulreform reden zu wollen, wenn das derzeit von ÖVP-Funktionären und -Mandataren in mehreren Bundesländern initiierte Volksbegehren über die Aussetzung des 9. bzw. 13. Schuljahres abgeschlossen sei. Unterrichtsminister Dr. Piffl soll dieser Vorgangsweise zugestimmt haben. Man interpretiert in Kreisen der Regierungspartei die Volksbegehrensinitiative — die als Dolchstoß der OVP gegen ihren Unterrichtsminister aufgefaßt werden kann — nämlich derart, daß der Wunsch nach Abschaffung des 9. bzw.. 13.. Jahres ja an den Gesetzgeber gehe — und nicht an den Minister, der nur die Gesetze durchführe. Der Unterrichtsminister allerdings'setzt sich im nachfolgenden „Furche“-Interview sehr gründlich mit den vorgebrachten Argumenten der Initiatoren des Volksbegehrens auseinander und kommt zu absolut gegenteiligen Schlüssen.

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Die österreichische Volkspartei hat im Unterrichtsausschuß des Parlaments erklärt, erst dann wieder über die weitere Durchführung der Schulreform reden zu wollen, wenn das derzeit von ÖVP-Funktionären und -Mandataren in mehreren Bundesländern initiierte Volksbegehren über die Aussetzung des 9. bzw. 13. Schuljahres abgeschlossen sei. Unterrichtsminister Dr. Piffl soll dieser Vorgangsweise zugestimmt haben. Man interpretiert in Kreisen der Regierungspartei die Volksbegehrensinitiative — die als Dolchstoß der OVP gegen ihren Unterrichtsminister aufgefaßt werden kann — nämlich derart, daß der Wunsch nach Abschaffung des 9. bzw.. 13.. Jahres ja an den Gesetzgeber gehe — und nicht an den Minister, der nur die Gesetze durchführe. Der Unterrichtsminister allerdings'setzt sich im nachfolgenden „Furche“-Interview sehr gründlich mit den vorgebrachten Argumenten der Initiatoren des Volksbegehrens auseinander und kommt zu absolut gegenteiligen Schlüssen.

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FURCHE: Die Gegner des 13. Schuljahres, die ein Volksbegehren eingeleitet haben, argumentieren damit, daß man bisher mit acht Jahren Mittelschule au&gekommen sei. Bis 1927 haben sogar sieben Jahre Realschule für den Besuch der Technischen Hochschule genügt. — warum sollten die acht Jahre nun nicht mehr genügen?

PIPPL: Weno wir uns mit einem Bildungsstand begnügen wollen, der in sieben Jahren bewältigt werden kann, dann ist es richtig, dafür auch nur sieben Jahre vorzusehen. Aber schon Ende der zwanziger Jahre hat man erkannt, daß sieben Jahre auf keinen Fall mehr ausreichen, den Anforderungen der damaligen Zeit zu entsprechen, und hat die letzte siebenjährige Mittelschule auf acht Jahre verlängert. Inzwischen ist die Welt noch komiplizierter geworden. Wir haben vor allem im Hinblick auf die arge Vernachlässigung der Fremdsprachenkenntnisse einen neuen Gymnasialtyp geschaffen, der sich Ziele setzt, wie sie zweifellos nicht in weniger Zeit bewältigt werden können, als das alte Gymnasium seiine Ziele vor hundert Jahren, als es keine zusätzliche moderne Fremdsprache bot.

FURCHE: Die Gegner des 13. Schuljahres meinen, es müsse doch möglich sein, durch Kindergarten, früheren Schulgebinn, neue Lehrmethoden, Auflösung der starren Klassen und ähnliche Maßnahmen auch in acht Jahren zu einem vermehrten Bildungsangebot zu kommen.

PIFFL: Sicherlich wird man alle pädagogischen Erfahrungen und Möglichkeiten mit auswerten müssen. Vielleicht werden sie auch das Ergebnis bringen, daß der Stoff in kürzerer Zeit bewältigt werden kann, als jetzt vorauszusehen ist. Es geht alber nicht nur darum, einen Stoff zu bewältigen. Der Mensch braucht einfach heute eine gewisse Zeit, um eine Reife zu erzielen, die nicht nur als Sumonierung aller Eim-zelstoffquantitäten verstanden werden darf, sondern als langsamer Vorgang an Hand von Wissensaneignung. Ich glaube nicht, daß wir beim gegenwärtigen Stand der Dinge die in Österreich gestellte Bildungsaufgaibe ■mit geringeren Zeitinvestitionen erfüllen können, als in jener Zeit, da Österreich mehr Nobelpreisträger gestellt hat als irgendein anderes Land.

FURCHE: Die Elternvereinigungen protestieren dagegen, daß angesichts des Militärjahres und des langen Hochschulstudiums der Eintritt in das Berufsleben und die Möglichkeit der Familiengründung durch ein zusätzliches Schuljahr noch weiter hinausgeschoben wird. PIFFL: Das Argument wiegt zweifellos schwer, doch müssen wir auch hier wieder überlegen, daß diejenigen, die die höchsten geistigen Positionen in Staat, Wirtschaft und Wissenschaft einnehmen sollen, ohne Gefahr des Niveauverlustes nicht weniger Zeit in ihre Ausbildung investieren dürfen als ehedem. Es ist auch richtig, daß das Hochschulstudium immer länger geworden ist — nach den Klagen der Hochschullehrer aber eben deswegen, weil die Vorbereitung auf die Hochschule nicht so intensiv ist, daß dann direkt in den Stoff eingedrungen werden könnte. Eine gründllichere Vorbereitung allein kann schon mithelfen, das Hochschulstudium zügig anzugehen und auch rascher zu beenden, als dies heute durchschnittlich der Fall ist.

FURCHE: Sehen Sie echte Chancen, die in Ihrem Bericht an den Nationalrat angeregten Maßnahmen auch tatsächlich durchzuführen, vor allem hinsichtlich der finanziellen Erfordernisse wie auch in bezug auf die von den Lehrern erwarteten Mehrdienst-leistungen?

PIFFL: Wir können auf das beachtliche Zeugnis der Professorenschaft verweisen, die schon jetzt beachtliche Mehrdienstleisitongen freiwillig erbringt, so daß wir damit rechnen können, daß diese auch weiter erbracht werden, auch in noch erhöhtem Ausmaß. Zur Frage der Raumnot geht ja auch aus dem Bericht hervor, daß die Größenordnungen erträglich sind, um die zusätzlichen neunten Klassen unterzubringen. Ein Betrag von 70 bis 80 Millionen zusätzlich durch zwei Jahre wird doch wohl auch bei angespannter Budgetlage und großer Sparsamkeit im Haushalt aufzubringen sein. FURCHE: Sie glauben also, daß es bei allseitig gutem Willen auch möglich sein wird, die zusätzlichen Fer-tigteübauten her- und. hinzustellen, architektonisch, bautechnisch und baubehördlich?

PIFFL: Ich bin davon überzeugt, daß es nicht vom Können, sondern nur vom Wollen abhängt — und daher geht es vor allem darum, dieses Wollen aufzurufen, um den österreichischen Bildungs- und Ausbildungsstand anzuheben und zu festigen. Wenn wir uns nicht anstrengen wollen, dann wird sogar die achte Klasse problematisch werden, wenn immer mehr erste Klassen unten nachwachsen. Wir verbreitern unten die Pyramide des Gymnasialsystems entscheidend, um alle Goldkörner zu gewinnen, im Bewußtsein, daß damit auch mehr Sand anfällt. Aber auch das wird nur gelingen, wenn wir unsere Bildungsanstrengungen verstärken.

FURCHE: Sie haben gerade den Vergleich des Goldkorns und des Sandes gebraucht. Die Gegenforderung der Sozialisten für eine Zustimmung zu einer anfälligen Änderung des Schulgesetzes ist die einheitliche Schule für alle Sechs- bis Vierzehnjährigen. Glauben Sie nicht, daß dadurch nicht nur die notwenige Hebung der letzteren Goldkörnex erreicht, sondern auch die notwendige Siebung des Sandes in den höheren Stufen erheblich erschwert würde? PIFFL: Zweifellos. Selbst jene, die die Einheitsschule als pädagogisch richtig oder wünschenswert empfinden, müßten gegenwärtig zur Kenntnis nehmen, daß die Zeit hierfür in Österreich nicht reif ist und die Bedingungen nicht vorhanden sind. FURCHE: Die „mittlere Reife“ taucht nun als Rettungsanker in der Diskussion auf. Sehen Sie die Möglichkeit, die Vorarbeiten hierfür bis zum ersten Stichtag bei normalem Weiterlaufen der jetzigen Klassen zu schaffen?

PIFFL: Das Ministerium gleicht einem Generalstab, der für alle Eventualitäten Pläne ausarbeiten und bereithalten muß. Wir sind daher an der Arbeit, für alle erkennbaren Möglichkeiten vorausorgen. Kommt es zur mittleren Reife — wie sehen dann die Lehrpläne bis zur 7. Klasse und dann die neu zu formenden der 8. und 9. Klassen aus? Wird das 9. Jahr ausgesetzt — wie müssen dann die Lehrpläne von der 5. bis zur 8. Klasse neugestaltet werden? Sobald Klarheit gewonnen ist, wird die letzte Formung erfolgen können.

FURCHE: Dann müßte ja praktisch schon im Herbst 1970 die Möglichkeit geboten werden, aus der 7. Klasse in die vorgesehenen berufsvorbildenden Kurse überzutreten. Wird es möglich sein, bis dahin die Voraussetzungen für diese Kurse zu schaffen?

PIFFL: Wenn mit vollem Ernst darangegangen wird, ist dies sicherlich möglich. Es muß uns aber bewußt sein, daß hierbei noch keine Vollkommenheit zu erzielen sein wird. Verbesserungen werden dann erst auf Grund der Erfahrungen durchgeführt werden können. FURCHE: Der Katholische Familienverband verweist auf die Schwierigkeiten, die den katholischen Privatschulen schon aus den bisherigen Schulgesetzen erwachsen sind. Sie würden durch das neunte Schuljahr noch verstärkt. Sehen Sie eine Möglichkeit, hier zu helfen, etwa durch eine Erhöhung des Bundeszuschusses von 60 auf 70 Prozent? PIFFL: Jede Verbesserung liegt mir am Herzen — aber nicht in meiner Ressortzuständigkeif. Ich muß aber doch darauf verweisen, daß die Festsetzung des Bundesanteiles 1962 schon die gleichzeitig verabschiedeten Gesetze berücksichtigt hatte. Er wäre damals wohl nicht so hoch ausgefallen, wenn nicht schon einkalkuliert worden wäre, daß durch den Polytechnischen Lehrgang und durch das 13. Jahr auch den Privatschulen zusätzliche Belastungen erwachsen würden.

FURCHE: Wie würde sich eine Abschaffung des 13. Schuljahres auf die anderen Schultypen auswirken, die bereits fünfklassige Oberstufen besitzen — vor aillem für das musischpädagogische Realgymnasium und die Handelsakademien?

PIFFL: Das Volksbegehren sieht ausdrücklich auch für die musischpädagogischen Realgymnasien die Reduzierung um ein Jahr vor. Das heißt, daß dann nach vier Jahren Volks- und vier Jahren Hauptschule in vier Jahren die Hochschulreife erzielt werden soll — eine fast unlösbare Aufgabe für Lehrer und Schüler, die nach der Hauptschuie in vier Jahren die gleiche Aufgabe erfüllen sollen wie das dann wieder durch acht Jahre aufbauende Gymnasium. Das erregt bei den Pädagogen beachtliche Bedenken. Dann aber steht zu erwarten, daß sich ein ungesunder und pädagogisch nicht berechtigter Strom in die zeitlich „billigeren“ Mittelschulen ergießen würde, während umgekehrt ein vermehrter Anreiz zum Besuch von berufsbildenden höheren Schulen nötig wäre, wie der OECD-Bericht beweist. Vor allem die Handelsakademien würden viel an Anziehungskraft verlieren, wenn sie ein Jahr langer bis zur Matura brauchen als die Mittelschule. FURCHE: Wie nun das Volksbegehren auch ausgeht, wie dann der Nationalrat beschließen wird — es wird unbedingt notwendig sein, die Bevölkerung auf breitester Basis über Inhalt und Zielsetzung der getroffenen Entscheidungen zu informieren. Was ist hierzu konkret vorgesehen?

PIFFL: Wir halben versucht, durch den „Kleinen Biidungsfahrplan“ die Eltern auf die vielen Möglichkeiten des Bildungswages ihrer Kinder aufmerksam zu machen. Wir haben die Lehrer in Kursen auf ihre neue Aufgaben eingeschult und haben eine Reihe weiterer Kurse für dieses Jahr vorgesehen. Aber jetzt am Beginn der Volksbegehrensaktion stehen wir vor dem Hindernis, daß eine breite Aufklärungskampagne des Ministeriums den Eindruck erwecken könnte, wir wollten mit Budgetmitteln einen Gegenaktion gegen die Bekundung des Elternwillens starten. Ich glaube aber, daß es Aufgabe aller jener sein sollte, die anderer Meinung sind als die Proponenten des Volksbegehrens, ihren Mitbürgern auch diese andere Meinung darzustellen.

Ich möchte die allgemeinbildende Pflichtschule mit einer Klimaanlage vergleichen: Soll diese eine höhere Temperatur herstellen, braucht sie mehr Energiezufuhr. Soll die Schule ein höheres Bildungsniveau erzielen, braucht auch sie höhere Anstrengungen, Glaubt man, mit einer niedrigeren Temperator, mit einem geringeren Bildungsniveau auszukommen, dann wird die Sache billiger. Dies ist allein eine Willens- und Wertfrage. Die österreichische Gesellschaft, speziell die österreichische Elternschaft, möge sagen, wieviel sie zu investieren bereit ist, dann kann gesagt werden, welches Klima, welcher Bildungsstand mit der zur Verfügung stehenden Energiemenge erzielt werden kann.

Mit Dr. Piffl-Percevic sprach Doktor Felix Gamillscheg.

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