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Vorrang der Gesetze

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Das Schlagwort von der Verwaltungsreform gehört zum eisernen Bestand der politischen Propaganda. Die Beweisführungen zu diesem Thema sind zwar einprägsam, jedoch falsch. Eine Richtigstellung scheint daher geboten, auch wenn sie auf den ersten Blick von einem liebgewordenen Denkschema abweicht und daher der Gefahr ausgesetzt ist, unpopulär zu sein.

Zum ersten Male wurde der Ruf nach einer Verwaltungsreform in der Ersten Republik im Zusammenhang mit der Genfer Sanierung erhoben und vor allem in der Form eines Personalabbaues verwirklicht. Die Eignung dieses Mittels zur Entlastung eines finanziell geschwächten Staatshaushaltes erregte jedoch schon bald Bedenken. Die Folgen sind nämlich unüberlegte Entlassungen, verschärfte Arbeitslosigkeit, Anwachsen politischer Unruhe. Vorzeitige Pensionierungen voll dienstfähiger Beamter legen wertvolle Kräfte lahm und schaffen Verbitterung. Eine Aufnahmesperre in den Staatsdienst verhindert eine sinnvolle Nachwuchspflege. Die Opfer der Personaleinsparungspolitik zwischen den Jahren 1920 bis 1930 können davon ein beredtes Zeugnis geben.

Auch günstige wirtschaftliche Verhältnisse finden die Staatsverwaltung in keiner beneidenswerten Lage. Das Steueraufkommen wird vornehmlich den Förderungsmaßnahmen gewidmet, die dem Wirtschaftsaufschwung eine gleichbleibende Dauer verleihen sollen. Um den Geldwert nicht zu gefährden, wird damit eine möglichst restriktive Personal- und Besoldungspolitik verbunden. Da die auf diese Weise beschränkten Budgetmittel bei einer Erhöhung der Staatsbeamtengehälter enge Grenzen setzen, wandert eine ganze Reihe von nur vertraglich im Staatsdienst stehenden Beschäftigten zu besser bezahlten Stellen ab. Die Staatsverwaltung sieht sich vor die unlösbare Aufgabe gestellt, für diese Kräfte einÄh gleichwertigen Ersatz bei unterkonjunktureller Bezahlung zu bekommen.-.-Im., .Endergebnis .müssen weniger Beamte, die ebenfalls unterkonjunkturell bezahlt sind, mehr Arbeit, leisten als “bei konjunkturkonformer Bezahlung. Den übrigen Dienstnehmern in der Volkswirtschaft zukommende Vergünstigungen können den Beamten nur zum Schein gewährt werden: eine Arbeitszeitverkürzung muß ohne Beistellung von Ersatzpersonal unwirksam bleiben, wenn schon bisher der Arbeitsanfall zu unentgeltlicher Leistung von Überstunden zwang.

Alle diese Umstände verdienen deshalb besonders hervorgehoben zu werden, weil bei jeder Forderung nach Verwaltungsreform die Vorstellung mitschwingt oder unverblümt ausgesprochen wird, daß im Grunde genommen eine Arbeitsunwilligkeit und Erledigungsverschleppung der Beamten samt einer durch sie geheimnisvoll bewirkten, ständigen Schreibtischvermehrung schuld am Notstand der Verwaltung sei. Freilich sind die Beamten gewohnt, ihren Beitrag zur Aufbauleistung der Republik und ihr oft entsagungsvolles Wirken für die Allgemeinheit ohne eine Erwartung auf lobende Anerkennung zu leisten. Das rechtfertigt aber ebensowenig den Gedankengang, die Beamten seien die Ursache für eine teure oder zu komplizierte Verwaltung, wie es jedermann sofort als unsinnig bezeichnen würde, wollte man den Arbeitern im Bergbau den Vorwurf machen, sie hätten die Kohlenkrise verursacht, weil sie zuviel Kohle gefördert hätten.

Zu dieser Entstellung der Arbeitsleistung einer nicht unerheblichen Gruppe unseres Volkes — um von dem Blutzoll des Gendarmerie-und Polizeibeamtenkorps gar nicht zu reden — gesellt sich ein Irrtum in der Sache, der alle voreiligen Kritiker in dieser Frage als dringend eines Nachhilfeunterrichtes in Staatsbürgerkunde bedürftig erscheinen läßt. Nach den zwingenden Vorschriften unserer Bundesverfassung kann doch jeder Beamte nur dann den Staat, genauer den Bund und die Länder, verpflichten, in deren Namen handeln, wenn ein Gesetz, eine Verordnung das vorsehen*. Die Verwaltung — und als andere Art der Gesetzesvollziehung die Gerichtsbarkeit durch unabhängige Gerichte — ist schon begrifflich überhaupt nur als Vollzug im Rahmen und nach Maßgabe der Gesetze denkbar. Jeder Dienstpostenplan, jede Verfahrensordnung bedarf zuerst eines Aktes der Gesetzgebung. Das gehört zu den wesentlichen Kennzeichen des sogenannten Rechtsstaates.

Der Begriff Verwaltungsreform wird daher in unglücklicher Weise viel zu eng gesehen. Eine Umorganisation des Behördinapparates, größtes Entgegenkommen der Beamten bei der Geschäftsabwicklung, eine möglichst formlose Art der Erledigung, eine Einengung der Aufgaben des Staates und damit der Beamtenzahl, eine konstruktive Kontrolle der Arbeitsleistung, all das kann wünschenswert und mit Recht zu fordern sein. Das ausschließliche Mittel dazu ist aber eine Reform jener Gesetze, deren Ausführung zu den nicht gewollten Auswirkungen führt.

Jeder Abgeordnete sollte daher bei den Abstimmungen über die Gesetzesvorlage mehr als bisher über die Vollziehbarkeit der Gesetze nachdenken. Das Sieb der Gesetze wird im allgemeinen immer viel zu weitmaschig sein, um das Leben voll erfassen zu können. Derartige Überlegungen sollten die Gesetzgebung zur Bescheidenheit veranlassen, andernfalls die staatliche Tätigkeit durch übereifrige Vorschriften leicht dem Vorwurf der Lebensfremdheit ausgesetzt ist. Wenn aber eine Aufgabe vorliegt, die nach unserem geschärften sozialen Gewissen heute der Staat zu übernehmen hat, muß iafür Vorsorge getroffen werden, daß für den Vollzug eines dementsprechenden Gesetzes ausreichend geschulte Beamte in genügender Zahl vorhanden sind. Überhaupt bedingt das rechtsstaatliche Prinzip in1 unserer Bundesverfassung seinem Geiste nach auch eine weitblickende gesetzgeberische Tätigkeit auf dem Gebiete der Heranbildung und der Weiterbildung von Beamten. Hier sind manche Versäumnisse nachzuholen, die leichtfertig den Beamten statt der Gesetzgebung angelastet werden.

Verwaltungsreform ist in einem demokratisch regierten Staatswesen eine ständig gestellte und im Interesse der Recht suchenden Bevölkerung nicht ernst genug zu nehmende Aufgabe. Man muß aber dort mit der Lösung beginnen, wo in einem Rechtsstaat der Staat überhaupt beginnt: bei der Beschließung von Gesetzen. Das immer wieder nachdrücklich hervorzuheben, ist ein Gebot der Gerechtigkeit gegenüber den Beamten und ein Gebot der Wahrheit gegenüber allen Staatsangehörigen.

Siehe grundlegend zu diesem Problem: Adolf Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, Wien 1927; weiter: Antonioiii, Allgemeines Verwaltungsrecht, Wien 1954.

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