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Vorwärts auf dem Wege der Lehrerbildung
Es ist ein geschichtlich erweisbarer Tatbestand, daß zwischen dem Auftreten staatlicher Notzeiten und dem Bemühen um eine Hebung der Lehrerbildung in den letzten Jahrhunderten einschier schicksalhafter Zusammenhang besteht. Diese Erscheinung darf nicht wundernehmen, da man in solchen Krisen immer wieder mit Recht Hilfe und Rettung durch eine Verbesserung und Vertiefung der öffentlichen Erziehungseinrichtungen zu erreichen hofft, beides aber setzt Selbst wieder eine leistungsfähigere Lehrerbildung voraus.
So sehen wir, um “nur die Entwicklung dieser Beziehungen in Österreich zu skizzieren, wie einige Jahre nach dem Abschluß des Siebenjährigen Krieges durch die Schulordnung Maria Theresias die erste staatliche Regelung der Lehrerbildung mit sechswöchigen Kursen an den Normalschulen erfolgt, so 1806 nach Austerlitz die Ausdehnung der Lehrerbildung auf etwa ein Jahr, so nach dem Sturm Jahre 1848 unter Helfen die Erweiterung der Lehrerbildung zu einem zweijährigen Studienganf und schließlich nach dem Unglücksjahre von 1866 das Werden des Reichsvolksschulgesetzes mit dem für die damalige Zeit größzügigen vierjährigen Bildungsgange der Lehrer, wobei jeweils die Ausdehnung der Studienzeit nur das äußere Merkmal für die innere Ausweitung und Vertiefung darstellt. Und so war es durchaus in der gleichen Linie gelegen, daß in den Jahren nach 1918 die Ausdehnung auf fünf Studienjahre erfolgte und daß die Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten sich eine begrenzte Hochschulberechtigung für ihre Absolventen erwarben.
Dieser ganze Zusammenhang ist offenkundig und ist richtig, weil erfahrungsgemäß eine immer wieder fortschreitende Lehrerbildung das beste Mittel ist, um Staat und Gesellschaft durch eine Hebung der allgemeinen Volksbildung aus den Wellentälern wieder hinaufzuführen. Darum hat auch das zwischen 1933 und 1938 unter der Weltwirtschaftskrise und dem Druck des benachbarten nationalsozialistischen Staates schwer ringende Österreich trotz aller offenkundigen Ungunst der Zeit den Mut gezeigt, an eine gründliche Reform der Lehrerbildung heranzutreten.'
In umfangreicher Vorarbeit, die in den Händen Dr. Ludwig Bat t ist as, dieses wahrhaft bedeutenden österreichischen Schulmannes lag, wurde der ganze Umkreis der Lehrerbildungsfragen nicht nur von den engeren Fachkreisen geprüft, sondern auch der öffentlichen Diskussion zugeführt: Es gelangten vor allem die Lehrerverbände, die Hochschulkreise und verschiedene Berufsvertretungen dabei zu Worte und so kam es schließlich im Jahre 1937 zu einer Neuregelung, die eine sechsjährige Bildungsanstak für die kommende Volksschullehrerschaft vorsah: die Lehrerakademie.
Nur der erste Jahrgang dieser neuen Stätte der österreichischen Lehrerbildung trat wirklich ins Leben, dann kam der März 1938 und mit ihm die Zerstörung all dessen, was österreichische Eigenart war. Die Erweiterung der Lehrerbildungsanstalten wurde zurückgestellt, die verbleibenden fünfjährigen Anstalten aber erhielten in der Folge immer mehr das Gepräge reiner politischer B i 1 d u n gs a ns t a 11 e n, Parteischulen, die der HJ unterstanden. Schließlich erfolgte die Ausbildung von Lehrern zum Teil auch in kurzfristigen „Schulhelferkursen“, der Zustand der Lehrerbildung nahm immer mehr chaotische Formen an, bis der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes auch hier den Schlußpunkt setzte.
Wenn wir zu zeigen versuchten, wie ein Zusammenhang zwischen den großen Notzeiten unseres Staates und den Bemühungen um eine bessere Lehrerbildung schon seit langem besteht, so ist es wohl einleuchtend, daß diese Gründe heute mehr denn je eine Hebung, eine Vervollkommnung der Lehrerbildung notwendig machen, darum ist die W eit erarbeit 4a einer ver,nünr* eigen Reform ein ganz entscheidendes Stück des Aufbaues, den wir auf dem Felde der Erziehung zu leisten haben.
Form und Umfang der künftigen Lehrer bildung werden vielleicht in nächster Zeit zur Erörterung stehen, weil die Wünsche der Volksvertretung wie die Erfordernisse der Staatsverwaltung die ge s e t z 1 i c h e Neuordnung großer Teile unseres Bildüngswesens notwendig machen, was Unterrichtsminister Dr. Hurdes in einem vielbeachteten Aufsatz der „österreichischen Monatshefte“ angedeutet hat.
Man wird bei dieser Gelegenheit viele Probleme vor sich sehen und die Absichten werden oft weit auseinandergehen, es kann aber eine Tatsache nicht eindringlich genug betont werden, soll eine künftige Neuordnung gesund und erfolgreich sein, und das ist jene des organischen Wachstums! Es ist ein großer Vorteil der österreichischen Lehrerbildung, daß sie in einer nunmehr 170jährigeri Entwicklung immer den Weg eines wahrhaft organischen Werdens geführt wurde. Sprunghaft-revolutionäre Neuordnungen haben sich in der Entwicklung des Erziehungs- und Bildungswesens niemals bewährt und wir müssen es einigen maßvollen österreichischen Schulmännern — ein Name wurde hier schon genannt — danken, daß diesem Zweig des Bildungswesens in Österreich jenes Schicksal erspart blieb, das er schon von 1921 an in Deutschland hatte, jene fortgesetzten und widerspruchsvollen Experimente, die dann nach 1933 zu währen Abwegen wurden und unter deren Einfluß Wert und Leistungsfähigkeit des deutschen Schulwesens katastrophal zurückgingen. Das sahen am besten und zu ihrer großen Überraschung jene österreichischen Lehrer, die nach 1938 in das Schulwesen Deutschlands Einblick bekamen.
Daß sich die österreichische Lehrerbildung bisher immer in gesundem Fortschritt und in organischer Entwicklung entfaltet hat, kt die beste Voraussetzung für ihre weitere Hebung und Verbesserung. Man wird gewiß heute nicht einfach das vor einem Jahrzehnt Geschaffene wieder in Kraft setzen können, aber man wird diesen Entwicklungsschritt sehen und an ihn anknüpfen müss e n, wie es zum Teil bei der Wiedereröffnung der Lehrerbildungsanstalten in diesem Schuljahre schon geschehen ist. Die Grundlagen des Gesetzes über 3ie sechsjährige LeKreraEacIemie reicHen eben weit über das Entstehungsjahr 1937 zurück und tragen das Merkmal innerer Notwendigkeit an sich. Wird diese Tatsache erkannt, dann darf man hoffen, daß die Entwicklung unserer Lehrerbildung sich auch weiterhin in der Form einer Evolution, nicht aber in jener einer pädagogischen Revolution vollziehe! .
Gehen wir diesen Weg und halten wir dabei an einer realistischen'Z i eise t z u n g fest, die utopischen Lösungen keinen Raum gibt, dann ist es einleuchtend, daß der nächste Schritt in der Entwicklung wohl die Ausgestaltung der gegenwärtig provisorisch wieder aufgerichteten fünfjährigen Bildungsanstalt zu einer mustergültigen Berufsschule sein muß.
Es ist hier nicht der Platz zur Erörterung bildungstheoretischer und schulorganisatorischer Fragen, aber soviel darf doch gesagt werden, daß wir heute allenthalben das Bestreben am Werke sehen, die Berufsschulen zu stärken, der Überflutung unserer Hochschulen Einhalt zu gebieten.
Wir sehen die künftige Stätte der Lehrerbildung als eine hochentwickelte Berufsschule, die aber keine Sack-gasse der Bildung mehr darstellt —• weil solche Abgänger, die über das nächste Berufsziel hinausstreben, auch die Mög* lichkeit des Hochschulstudiums für weite Bereiche genießen — aber eben doch als eine volksverbundene Schultype, die nicht an die Hochschulstätte gebunden • ist und rffe* nach wie vor auf alle Bevölkerungsschichten, besonders auf jene der Arbeiter- und Bauernschaft, ob ihres klaren Berufszieles eine bedeutende Anziehungskraft auszuüben vermag. Wir möchten aber in ihr vor allem eine Schule erblicken, die bestes österreichisches Erbe auf diesem Gebiete fortsetzt, indem sie den jungen Menschen frühzeitig in den Bereich eines bestimmten Berufsethos zieht, ihm in den bildsamsten Jahren die für die österreicfilscKe LenYerscKaTt so bezefefinende musikalisch-künstlerische Einstellung vermittelt und die schließlich eine wirklich umfassende pädagogisch-didaktische Ausbildung gibt.
Nur eine solche künftige Form wird den Erziehungsaüfgaben gerecht werden können, die letzten Endes das Grundproblem sind, wenn man zum Wesentlichen der Lehrerbildung vordringen will. Es kann doch kein Zweifel bestehen, daß eine Schule, die den jungen Menschen mit 14 Jahren erfaßt und ihn durch fünf oder sechs Jahre in einem bestimmten, klar vorgezeichneten Sinne führt und formt, , g an z andere Er-ziehungsmöglickeiten besitzt, als ein hochschulähnliches Studium von wenigen Semestern, das erst an die bereits vom Reifeprozeß und den Umwelteinflüssen weitgehend festgelegten Neunzehnjährigen herantritt und das bei der Neuheit der Sache notwendigerweise zunächst auf Jahre hinaus unsicher und Ter-s u c h s h a f t bleiben müßte, indes wir so notwendig des guten Lehrernachwuchses bedürfen!
Wir sprachen von den Möglichkeiten kommender Gestaltung und wollen dabei ja nicht übersehen, daß die heute bestehenden Lehrer;- und Lehrerinnenbildungsanstalten diese nicht annähernd ausschöpfen, da sie einerseits zu sehr intellek-tualisiert sind, zu viel im Unterrichtlichen befangen bleiben und daher die künftigen jungen Lehrer und Lehrerinnen nicht nur selbst überlasten, sondern auch zu einer Verkennung des Bildungsvorganges bringen; andererseits können sie in ihrer heutigen Organisationsform die besten Erziehungssituationen, die sidi aus Fest und Feier, aus Schulheim und Wanderung ergeben, durch die Ungunst der Zeit und andere Hindernisse nicht auswerten.
Eine Neugestaltung der Lehrerbildung wird erkannte Mängel des Besteheaden reformieren, an seinen gesunden Grundlagen fetshalten und organisch weiterbauen müssen, sie wird aber vor allem eines immer zu beachten haben, und das ist jene gewisse Transparenz, die der Lehrerbildung mehr als einem jeden anderen Zweig unseres Bildungswesens anhaftet, nämlich die Tatsache, daß hier der junge Mensch noch weniger als anderswo Wissen und Charakterformung um seiner selbst willen erhält, sondern wir in ihm und durch ihn hin3 u r c h die vielen anderen, die in kommenden Jahrzehnten durch seine Hand gehen und an seinem Beispiel sich emporbilden sollen, formen wollen.
So wird über Österreichs kommender Lehrerbildung das goldene Wort Pestalozzis zu leuchten haben, daß der Mensch nicht um seiner selbst willen in dieser Welt sei, sondern damit er sich in der Vollendung seiner Brüder vollende!
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