Vorwissenschaftlich? Naja.

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Die Idee hinter der sogenannten „Vorwissenschaftlichen Arbeit“ – seit 2015 Teil der Zentralmatura an der AHS – klingt bestechend. Die Realität sieht aber doch einigermaßen anders aus. Ein Gastkommentar.

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Die Idee hinter der sogenannten „Vorwissenschaftlichen Arbeit“ – seit 2015 Teil der Zentralmatura an der AHS – klingt bestechend. Die Realität sieht aber doch einigermaßen anders aus. Ein Gastkommentar.

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Die sogenannte "Vorwissenschaftliche Arbeit" (VWA) stellt die erste Säule des "Drei-Säulen-Modells" der (teil-)standardisierten Reifeprüfung in Österreich dar. Sie umfasst einerseits eine schriftliche Arbeit sowie andererseits die Präsentation und Diskussion dieser Arbeit vor einem Prüfungssenat. Was hier exakt und durchaus beeindruckend beschrieben wird, stellt sich in der Praxis jedoch ganz anders dar.

Das beginnt schon mit der Themenfindung. Da sind die Schülerinnen und Schüler der jeweils 7. Klassen auf sich allein gestellt. Glauben sie dann, etwas Passendes gefunden zu haben, begeben sie sich auf die - informelle - Suche nach einem Betreuer. Dabei handelt es sich um einen Lehrer der jeweiligen Schule, der über die "berufliche oder außerberufliche Sach- und Fachkompetenz" verfügen soll. Was das genau heißt, wird in den diversen, stets umfassenden "Handreichungen" des Ministeriums nicht weiter ausgeführt. Das gewählte Thema wird in der Folge über eine Internetplattform formell eingereicht und bewilligt .Bisher erfolgte das durch die jeweilige "zuständige Schulbehörde" - also die neuen Bildungsdirektionen, vormals bekannt als Landesschulräte.

Bürokratische und andere Hürden

Bei diesen Bewilligungen kam es immer wieder zu eigenartigen Rückmeldungen. So wurde etwa im Vorjahr einem Schüler in Oberösterreich "Naja" auf das vorgeschlagene Thema beschieden. Besonders erhellend war auch die Rückmeldung: "Die Beantwortung forschungsleitender Fragen ist nicht Teil des Inhalts einer VWA." Dass gerade solche Fragen fixer Bestandteil der Arbeit sind, macht die Antwort aus Oberösterreich nicht wirklich verständlicher.

Haben Schülerinnen und Schüler all diese bürokratischen Hürden absolviert, geht's ans eigentliche Recherchieren und Verfassen der Arbeit. Wer nun erwartet, dass es dafür standardisierte Anweisungen oder Ähnliches gibt, wird schnell eines Besseren belehrt. Learning by doing scheint das Konzept zu sein. Nach dem Motto "friss oder stirb" dürfen sich die angehenden Maturanten mit grundlegenden Problemen (wie man nun richtig zitiert oder wie man korrekt Literatur sucht) herumschlagen. Dass hier etwa Jugendliche aus bildungsfernen Haushalten zusätzlich vor teils unüberbrückbaren Hürden stehen, wird augenscheinlich in Kauf genommen. Oder es ist gar Teil einer stillschweigenden Selektion, da man ja von politischer Seite zunehmend der Meinung ist, dass nicht alle maturieren (oder gar studieren) müssen.

Falsche Gewichtungen

Zu Beginn des letzten Semesters der achten Klassen schlägt dann die Stunde der Wahrheit: Die fertigen VWA sind elektronisch hochzuladen, werden einer automatischen Plagiatsüberprüfung unterzogen und kurz darauf präsentiert. Nur wer das positiv übersteht, darf dann im Mai zur schriftlichen Matura antreten. Negative Beurteilungen führen dazu, dass ein neues Thema einzureichen ist und der ganze Prozess neuerlich durchlaufen werden muss. Damit rutscht der Erhalt des Maturazeugnisses zumindest in den Herbst (wenn nicht sogar ins nächste Jahr). Angesichts der wachsenden Zahl von Zugangsbeschränkungen an Universitäten können damit die diversen Aufnahmeprüfungen nicht abgelegt werden, und die betroffenen Schülerinnen und Schüler verlieren de facto ein ganzes Jahr.

Durch die VWA stellt man - so zumindest das Gesetz - die Befähigung zum eigenständigen wissenschaftlichen Arbeiten und die Studierfähigkeit unter Beweis. Dabei geht es explizit auch darum, das Produkt in eine Form zu bringen, die den formalen und ästhetischen Ansprüchen einer wissenschaftlichen Arbeit entspricht. Auch das klingt wieder logisch und liest sich äußerst gut. Die Wahrheit stellt sich zumeist jedoch anders dar. Es wird allzu großer Wert auf formale Vorgaben gelegt (Stichwort: exaktes Deckblatt, Schriftgröße, Schriftauswahl) - und wer tatsächlich glaubt, damit seine Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten bewiesen zu haben, dem wird spätestens zu Beginn eines allfälligen Studiums klar, dass dem bei Weitem nicht so ist. Vielmehr besteht die Gefahr, dass beim Verfassen der VWA methodische Schlampigkeiten und Ungenauigkeiten angelernt werden, die im Folgenden nur noch schwer abzutrainieren sind.

Vor Kurzem hat Bildungsminister Heinz Faßmann jedenfalls voller Stolz verlauten lassen, dass der Bereich VWA reformiert wird. Wie diese Reform aussieht? Nun, der Prozess der Themenbewilligung wird auf die Ebene der Schule verlegt. In Zukunft reicht das Okay des Schulleiters. Und sonst? Sonst sieht man seitens des Ministeriums keinen weiteren Bedarf zur Anpassung. Offensichtlich ist das politische Selbstvertrauen jedenfalls so groß, dass schriftliche Nachfragen an die Pressesprecherin des Ministers selbst nach einer Woche unbeantwortet bleiben. Denn worüber man nicht spricht, das kann ja auch kein Problem sein. Oder?

Anna-Sophie Brocza hat ihre VWA zum UNESCO-Weltkulturerbe soeben erfolgreich abgeschlossen und maturiert demnächst am Akademischen Gymnasium Linz; Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen und hat bisher ca. 250 Diplom-und Bachelorarbeiten an heimischen Universitäten betreut.

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