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Wahler unterm Rontgenschirm

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Wieder werden in den nächsten Wochen zehntausende Wähler aufgerufen zu den Wahlurnen. Wieder werden die politischen Funktionäre landauf, landab verkünden: Das Volk als letzte Instanz soll entscheiden über Preise, Wohnungsfrage, Straßenbau, Verstaatlichte Industrie, Freiheit und Diktatur, den Weg zum Paradies oder in düstere Knechtschaft. Wer kennt nicht die immer gleichbleibenden Parolen von „Barometerwahlen“, Volksbefragung und wie die Schlagzeilen sonst noch heißen mögen. Aber wer weiß, was in den Köpfen dieser Wähler wirklich vorgeht, die sich jetzt schon fast jedes Jahr gelassen anhören, daß man schon wieder ein kleines oder großes Wahljahr vor sich hat? Sind die Millionen Schilling, die alle Parteien für die Propaganda ausgeben, sinnvoll angelegt? Beeinflußt die Propagandaflut die Entscheidung des Wählers? Setzt sich der Wähler mit den Argumenten der verschiedenen wahlwerbenden Gruppen wirklich auseinander? Hat er überhaupt die Möglichkeit, mit kritischem Verstand bei so vielen, völlig verschiedenartig gelagerten Fragen jeweils zu beurteilen, wer hat recht und wer nicht?

Manche Berufspolitiker machen es sich oft allzu einfach. Man kann sich nur wundern über ihre Selbstsicherheit. Weil sie einmal Jugendliche, Arbeiter, Bauern oder sonst etwas waren, glauben sie, nur ihr Herz befragen zu müssen, um zu wissen, was die Jugendlichen, Arbeiter, Bauern oder wer immer heute denken. Von der Meinung eines Betriebsrates oder Bezirks-bauernkammerfunktionärs, mit dem man auf irgendeiner Versammlung gesprochen hat, schließt man auf das Ganze, vorausgesetzt natürlich, die gehörte Meinung deckt sich mit der eigenen.

Immer mehr Menschen, auch in Österreich, beginnen aber doch langsam zu zweifeln: Stimmen die traditionellen Denkklischees in der Politik noch? Werden nicht gerade deshalb, weil man sich der Meinung des Volkes anscheinend so sicher ist, ohne sie zu kennen, immer öfter in der Politik Fragen hochgespielt, welche die Wählermassen überhaupt nicht interessieren? Höchstens ein paar von der eigenen Idee Besessene meinen, alles, was sie zur Diskussion stellen, müsse für alle eine Existenzfrage schlechthin sein. Denken wir nur an die jüngste Vergangenheit: Ob alle Österreicher die Auseinandersetzung um eine Tafel verstanden haben, auf der das Wort ..Nationalindustrie“ aufgedruckt war? Ob die überwältigende Mehrheit wirklich meint, das Hauptproblem der Republik Österreich sei Dr. Otto Habsburg? Ob der Österreicher tatsächlich überzeugt ist, die Zusammenarbeit zwischen den großen Regierungsparteien sei überholt und nur in der „kleinen Koalition“ liege die Rettung?

Eine Gruppe von Sozialwissenschaftlern, der federführend der wirtschaftspolitische Referent des ÖGB, Dr. Heinz Kienzl, der Leiter des Wiener Institutes für Sozialforschung, Karl Blecha, und der Verfasser dieser Zeilen angehören, haben nun vier Jahre hindurch einen Versuch gewagt: Sie wollten sich weder im Guten noch im Schlechten von Vorurteilen leiten lassen. Sie wollen nicht in den Fehler verfallen, alle Politiker als Bonzen zu verdammen, die keine Ahnung mehr haben, was ihre Wähler wollen; und es soll auch nicht der Wähler mit dem Glorienschein des Weisen oder dem Stempel der uninteressierten Masse versehen werden, bevor man nicht einmal tatsächlich geprüft hat, wie die Dinge wirklich liegen. Nüchtern sollte festgehalten werden: Was weiß der Wähler über das politische, wirtschaftliche und soziale Geschehen in Österreich? Wie beurteilt er die verschiedenen Fragen, die in Österreich von den Parteien zur Diskussion gestellt werden. Woher bezieht er seine politische Information, und was beeinflußt seine Meinungsbildung.

Es gibt in Österreich auf dem Gebiet der politischen Soziologie fast noch keine Untersuchungen. Es ist kein Vergleichsmaterial da. Es gibt nur unzählige offene Fragen. Im Rahmen der Forschungsarbeit der Studiengesellschaft wurden innerhalb von vier Jahren rund 30.000 Interviews bei einem repräsentativen Querschnitt der österreichischen Bevölkerung durchgeführt. Für Spezialuntersuchungen wurden zusätzlich 35.000 Gewerkschaftsmitglieder befragt. Trotzdem muß gesagt werden, wir können die

'F'rappn. rh'p wir anfppwnrfpn hahpn auch heute nicht eindeutig und befriedigend beantworten. Es ist ein erster, bescheidener Versuch, sich an die Wirklichkeit seiner Majestät des Wählers heranzutasten. Unsere Untersuchungen haben damit begonnen, daß wir uns wunderten, ob wohl die von Berufenen und weniger Berufenen so sicher vorgebrachten Meinungen und Pauschalurteile stimmen mögen. Nach vier Jahren Forschungsarbeit können wir sagen, es gibt noch viel mehr zu wundern, als sich Politikerweisheit oft träumen läßt.

Bevor wir auf einige der Ergebnisse eingehen, nur einige Bemerkungen zur Arbeitsweise der sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft. Bei jeder Befragung wird ein repräsentativer Querschnitt der österreichischen Bevölkerung interviewt, der zirka 1200 Personen umfaßt. Das Wesentliche eines repräsentativen Querschnitts besteht darin, daß in diesem Sample alle Bevölkerujjgsschichten, gestreut nach Bundesländern, Geschlecht, Alter, Beruf, sozialer Stellung, Parteisympathie usw., genauso vertreten sein müssen wie sie in der gesamtösterreichischen Bevölkerungsstruktur von sieben Millionen Menschen vorkommen. Oft hört man den Einwand, wie soll die Meinung von tausend Menschen die Meinung von Millionen Wählern widerspiegeln? Wenn der Querschnitt richtig zusammengesetzt ist, ist es nach der jahrelangen Erfahrung der Meinungsforschung gleich, ob ich tausend Menschen oder eine Million befrage. Die Resultate der Befragung müssen die gleichen sein. Für die Durchführung der Befragungen standen der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft 250 ehrenamtliche Interviewer in allen Bundesländern zur Verfügung. Üblicherweise werden die Befragungen mit Hilfe von Fragebogen durchgeführt. Jedem Befragten muß selbstverständlich wörtlich die selbe Frage gestellt werden: Der Befragte bleibt anonym, damit er ohne Scheu seine Meinung sagen kann. Über die Technik der Meinungsforschung gibt es zahlreiche wissenschaftliche Abhandlungen, die aber hier zu weit führen würden. Aber nun zu ein paar Ergebnissen solcher Umfragen, die vielleicht doch manche in der Beurteilung des Wählers gar zu Sichere zum Nachdenken anregen werden.

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