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Warum schweigen die Richter?

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Kritik, so hört man immer, zumindest sachliche Kritik, sei geradezu die Voraussetzung für das Leben der Demokratie, für die Wahrheit und Freiheit. Die Obrigkeit, predigt bereits der hl. Thomas, habe sie daher zu dulden und zu schützen. Es ist infolgedessen selbstverständliche Aufgabe der Presse sie zu pflegen; Sache des Volkes aber sie zu üben — zumindest derjenigen, welche hierzu berufen erscheinen, weil sie über die nötige Sachkenntnis verfügen und sich mitteilen können.

In der Tat ist auch ein weitgehendes Zusammenspiel dieser drei Funktionen in Österreich zu .beobachten: die zuständigen Obrigkeiten planen, Presse und Rundfunk lassen Meister der Feder und Praktiker mit Rat und Warnung zu Worte kommen — sehr zum Nutzen der Sache: Ärzte etwa legen ihre oft treffenden Meinungen und Gegenmeinungen dar, wenn es um Probleme der Gesundheitspflege geht, Lehrer greifen ein und, manchmal — an, wenn es um Erziehungsfragen geht, sogar Priester sprechen nicht nur von ihrem zuständigen Ort, der Kanzel, sondern nicht mehr selten auch in den Spalten der Presse selbst über Themen der Religion, so daß die Öffentlichkeit den Standpunkt des Klerus erfährt. Wen man aber nie und nimmer zu den ihn berührenden Erscheinungen des öffentlichen Lebens sprechen hört, das ist der österreichische Richter.

Dabei gäbe es aber eine ganze Reihe von Tagesfragen, zu der seine Stimme gerne gehört würde, mehr, wo ein Bedürfnis bestünde, sie zu vernehmen: allein das Für und Wider der Strafrechtsreform.' Bisnun im wesentlichen nur vom hohen Fachgelehrten diskutiert und von ministerieller Seite erläutert, bricht gerade letztlich die Erkenntnis durch, daß dieses Reformwerk so lange lebensunfähig bleiben wird, als nicht die Praktiker, vorzüglich die Richterschaft, herbeigeholt werden. Die Reform des judiziellen Hechschulstudiums wird, soviel ersichtlich, gleichfalls in die Wege zu leites-versucht, um gleichfalls in versanden, ohne die Praktiker, die Richter, darüber gehört zu haben. Das gleiche gilt für die Auflassung der kleinen Landgerichte: hierzu äußerten sich zwar bisher der zuständige Ressortminister (pro) und nicht wenige Angehörige der indirekt betroffenen Kreise (kontra) — es fehlt aber noch immer die längst fällige Stellungnahme des betroffenen jeweiligen Richters selbst! Handelt es sich hierbei schon um lauter Probleme, die darnach rufen, daß die Richter zu ihnen sprechen, so müßte dies um so mehr für ein zwar weniger die breite Öffentlichkeit tangierendes Problein gelten, jedoch die Richterschaft selbst unmittelbar und direkt berührendes: selbst das neue Richterdienstgesetz wurde, und zwar soviel man hört, nicht zu seinem Vorteil, ohne daß die Praktiker mit dem Publikum über den Weg der Presse hierüber gesprochen hätten, bloß mit ministerieller Bekräftigung seines hohen Wertes und wenig sagender Debatte im Parlament verabschiedet. Gerade hier springt die Zurückhaltung der Richterschaft in die Augen; man stelle sich nur vor, wie die einzelnen Ärzte sich verhalten hätten, wäre es um ihre Magna charta gegangen, welche zum Gesetz erhoben werden sollte! Dabei ist aber doch kaum ein anderer Beruf so sehr prädestiniert, das richtige Wort zur richtigen Sache zu finden, wie der des Richters.

Ke'n Zweifel also, daß, ob es sich um die Strafrechts- oder Studienreform, um die Auflassung oder Nicht-auflassung der kleinen Bezirksgerichte oder um das Richtergrundgesetz handelt, hier Aufklärung, dort ein kritisches Wort vonnöten war und wäre, daß es einen Verlust bedeutet, auf die Stimme, auf das Urteil der Praktiker, der Richter also, zu verzichten.

Warum schweigen die Richter? Daß sie nichts zu sagen hätten, daß sie nicht reden können, diese Möglichkeit scheidet wohl, nach dem, was wir beruflich von ihnen wissen, aus. Sollte es also am Ende daran liegen, daß sie nicht reden dürfen? Wo doch der Richter schon von der Verfassung her frei und unabhängig erklärt wird? Ist er es, oder ist er es nicht?

Man sagt, er sei es. Als das erwähnte neue Richterdienstgesetz verabschiedet wurde.' hat man das von höchster Regierungsseite zum wiederholten Male versichert. Im Gesetz selbst steht es ebenfalls zu lesen. Sehen wir uns dieses Gesetz aber gründlicher an, so zeigt sich eine Merkwürdigkerl: die eine Seite ist in goldenen Lettern geschrieben und die andere in schwarzen! Im goldenen Teil, in den ersten hundert Paragraphen, sind alle richterlichen Prärogativen aufgezählt, angefangen von dem schönen Vorrecht, an keine bestimmte Bürostunde gebunden zu sein, bis hinauf zum Kardinalprinzip, in Ausübung seines Amtes von niemandem Anordnungen entgegennehmen zu' brauchen. Von seinem Posten ist der Richter unverletzbar und unabsetzbar.

Im schwarz geschriebenen zweiten Teil aber, umfangmäßig laut amtlichen Textes just so groß wie der erste, wird der Richter, wie ein Redner im Parlament zugab, noch strengerer Disziplinargerichtsbarkeit unterworfen als vorher, einer Disziplinargerichtsbarkeit, welche praktisch die goldene Schrift auslöscht! Freilich, nicht etwa so, daß er nun pünktlich um 8 Uhr im Amt antreten und jederzeit ab- oder versetzt werden dürfte — aber immerhin so, daß seine Prärogerativen in der Luft schweben. Sie hängen nämlich nicht nur von seiner Bestellung zum Richter ab, wie es anderswo, etwa im anglikanischen Rechtskreis, für selbstverständlich gehalten wird, sondern auch davon, ob er sich wohlverhält, ob er nicht „disziplinar“ wird,

Schon der alte Tacitus berichtet, und bei uns weiß es wohl bald jeder

Mann von der Straße, daß nur jene Rechtsordnung Anspruch erheben kann, eine wirkliche Ordnung, ein „ordo“ zu sein, in der niemand wegen eines Verbrechens verfolgt wird, das nicht, und zwar vorher, gesetzlich bestimmt, klar umrissen, vertypt worden ist. Nirgends aber steht geschrieben, was disziplinar ist. Und deswegen fehlt, genau genommen, auch die alte Tortur nicht, die Angst zumindest, weil der Inkulpant, und sei sein Gewissen noch so rein, niemals im voraus wissen kann, wie man sein Verhalten beurteilt, wenn gegen ihn Anklage erhoben Wirde. Wenn der Ankläger wenigstens aus seinen eigenen Reihen käme wie bei anderen Berufssparten, etwa den Rechtsanwälten! Wenn er sich wenigstens, wie im normalen Strafprozeß der moralischen Hilfe erfreuen könnte, die ihm eine teilnehmende Öffentlichkeit zu bieten vermag 1 Aber im Augenblick der Anzeigeerstattung ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen und bleibt es bis nach der Urteilsverkündigung. Der Ankläger aber empfing seine Weisungen von der Regierung.

Wenn wenigstens die Mitglieder des Disziplinargerichtes vertraute Kollegen wären! So aber setzen sie sich aus den höchsten Spitzenfunktionären zusammen, deren Ernennung ebenfalls weitgehend im Ermessen der Regierung liegt.

Fazit ist somit,' daß es die Regierung, die die erste der drei „Gewalten“ im Staat neben der gesetzgebenden und der richterlichen ist, die letzten Endes über den Ankläger, der ihr direkt untersteht, und über das Gericht, dessen Zusammensetzung sie beeinflußt, die maßgebliche Kontrolle übt, die Disziplinargerichtsbarkeit und somit den Schlüssel in Händen hält zum Funktionieren des neuen Richtergrundgesetzes, der richterlichen und somit der staatsbürgerlichen Freiheiten.

Die Antwort auf die oben gestellten Fragen kann somit unschwer gegeben werden: solange dem Richter keine Gewißheit geboten ist, im Falle er in der Öffentlichkeit hervortritt und eigene Meinungen äußert, oder gar an Maßnahmen der Regierung Kritik zu üben versucht, unbeanstandet zu bleiben, solange er mangels Fehlens einer Definition für den Begriff der Standeswidrigkeit auch dafür gestraft werden kann, was sonst, zumal kürzlich anläßlich der internationalen Pressekonferenzen als unentbehrliches Salz des demokratischen Lebens gefordert wurde, gehört eine so ungewöhnlich hohe Summe von Mut und Selbstverleugnung dazu, sich dieser Mission dennoch zu unterfangen, daß sie schlechthin, zumal bei der finanziellen Gedrücktheit dieses Standes, nicht erwartet werden kann. Wir stehen also vor dem Ergebnis, daß gerade jener Stand, der nach der Meinung aller modernen Staatsdenker, angefangen von Thomas von Acrain bis zu den heutigen, berufen wäre, die Abwehr des Mißbrauchs der Staatsgewalt zu garantieren und der wie kein anderer Stand über das Wort verfügt, jenes Wort, das sonst, von seinen Lippen kommend, schlechthin religiöses Gewicht hat. daß gerade dieser Stand schweigt, wenn er sprechen sollte.

Es wird daher zunächst eine Reform auch dieses „Reformwerkes-“, und zwar vom Grundsätzlichen her, ins Auge gefaßt werden müssen, um dem international festgesetzten Grundsatz zum Durchbrach zu verhelfen, daß es, wie Tacitus sagte, keine Strafe geben dürfe, bevor nicht ein Gesetz der Tat vorangegangen ist.

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