Was "arme" Schulen wirklich brauchen

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Mehr Geld? Mehr Autonomie? Mehr hochbegabte Pädagogen? Über die Ideen, wie man Schulen in sozialen Brennpunkten unterstützen könnte.

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Mehr Geld? Mehr Autonomie? Mehr hochbegabte Pädagogen? Über die Ideen, wie man Schulen in sozialen Brennpunkten unterstützen könnte.

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Sie kommen aus unterschiedlichen Kulturen; sie sprechen zu Hause unterschiedliche Sprachen; und sie sind begabt. Yousef, Sultan Merve, Denisa, Stefan, Dimitrios, Damaris, Abdul, Gönül, Slavomir und Muhammed haben Ende März am "Ateliertag" der Volksschule Greiseneckergasse das Thema "Denkfabrik" gewählt. Und erst vergangenen Montag haben Alaudin, Sena, Erfan und andere Schlaumeier bei einem Theaterstück samt "Expertentischen" ihr Können präsentiert. Aber auch an ganz normalen Tagen steht Begabungsförderung an der "Schmetterlingsschule" in Wien-Brigittenau hoch im Kurs: Es gibt Vifzack-Kurse, Zumba for Kids, Wirtschaft für Kinder und soziales Lernen. Als Lohn für so viel Engagement konnten sich Direktorin Ilse Riesinger und ihr Lehrerinnen-Team 2013 über den "Österreichischen Schulpreis" freuen. "Unser Schulsystem steckt so viele Ressourcen in das Ausgleichen von Schwächen", sagt Riesinger. "Doch wenn jemand nicht so gut in Deutsch ist, heißt das ja noch lange nicht, dass er nicht ein genialer Mathematiker oder Sänger ist."

Von den bloßen Eckdaten her ist die VS Greiseneckergasse das, was man eine "Brennpunktschule" nennt: In der Nachbarschaft reihen sich türkische Geschäfte, Wettlokale und Ein-Euro-Shops aneinander. 96 Prozent der etwa 360 Schülerinnen und Schüler sprechen zu Hause eine andere Sprache als Deutsch: Davon etwa ein Drittel Türkisch, 20 Prozent Bosnisch, Kroatisch oder Serbisch (BKS) und immer mehr Tschetschenisch. Doch zugleich sind 85 Prozent der Kinder in Österreich geboren. Viele können - dank des verpflichtenden, letzten Kindergartenjahrs - bereits gut Deutsch, wenn sie in die erste Klasse kommen. Jene, die noch Defizite haben, erhalten Hilfe durch eine Sprachförderlehrerin. 55 Wochenstunden stehen dafür zur Verfügung - neben den 200 Stunden für Begleitlehrer in den Klassen; dazu kommen je 32 Stunden Muttersprachenunterricht in Türkisch und BKS, drei Stunden in Tschetschenisch und zwei in Albanisch.

Ressourcen in Theorie - und Praxis

Direktorin Ilse Riesinger käme mit diesen Ressourcen "gut über die Runden" - wenn sie sie auch wirklich hätte. Doch der Schulalltag sieht oft anders aus: Seit Dezember 2013 fehlen ihr etwa allein 55 Wochenstunden bei der Lese- und Deutschkompetenzförderung, weil sie durch Dauerkrankenstände von Begleitlehrern umschichten musste. Zusätzliche Sorgen bereitet ihr auch die "Gratisnachhilfe", die ab September an den Wiener Schulen angeboten werden soll (siehe unten). 22 Wochenstunden wurden ihr für ihren Standort zugesprochen, mindestens die Hälfte muss sie durch Umschichtungen vom Vormittag auf den Nachmittag verlegen.

Während die Wiener Direktorin mit solchen Herausforderungen kämpft, haben Experten schon ganz andere Visionen für "arme" Schulen entwickelt. Das Zauberwort heißt "indexbasierte Mittelverteilung" - gepaart mit verstärkter Schulautonomie. Standorte in sozial benachteiligten Gegenden erhalten dabei um einen bestimmten Prozentsatz X mehr an Ressourcen und können damit je nach Bedürfnislage weitere Unterstützungskräfte, aber auch Umbauten oder zusätzliche Angebote finanzieren. In den Niederländen hat man damit gute Erfahrungen gemacht (vgl. rechts).

Johann Bacher, Soziologe an der Johannes Kepler Universität in Linz, hat ein konkretes Modell für eine solche, indexbasierte Mittelverteilung entwickelt. Würde man etwa jene 6000 Euro pro Volksschüler, die derzeit laut Nationalem Bildungsbericht (mit vielen Unschärfen) ausgewiesen sind, als Basisfinanzierung nehmen, so sollten ihm zufolge sozial benachteiligte Schulen bis zu 20 Prozent mehr Geld erhalten. Weist ein Schüler alle vier Benachteiligungs-Merkmale auf (Eltern mit niedrigem Schulabschluss bzw. Berufsstatus, Migrationshintergrund und nichtdeutsche Erstsprache), werden für ihn die Ressourcen verdoppelt. Die notwendigen Daten dafür gibt es bereits: Das Bundesinstitut BIFIE hat sie (anonym) im Rahmen der Bildungsstandard-Überprüfung für jeden Schulstandort in Österreich erhoben.

"Bei einer Studie in Toronto hat sich gezeigt, dass zwar die kognitiven Leistungen erst nach sechs, sieben Jahren gestiegen sind, es aber sofort zur Verbesserung des Unterrichts- und Lernklimas gekommen ist", weiß Sozialexperte Martin Schenk von der Diakonie Österreich. Eine wesentliche Erkenntnis sei zudem gewesen, dass der bloße Migrationsfaktor als Belastung überschätzt werde -und der sozioökonomische Faktor eigentlich ausschlaggebend sei.

Umstritten ist freilich, wie autonom die Schulen tatsächlich im Einsatz der zusätzlichen Mittel sein sollen. Manche plädieren für konkrete Vorgaben, Johann Bacher hingegen sympathisiert mit größtmöglicher Freiheit der Schulpartner -bei gleichzeitiger Einbindung regionaler Partner und Nachbarn sowie externer Evaluierung.

Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hat erklärt, bei den Schulverhandlungen mit den Ländern zumindest zu erörtern, wie man soziale Brennpunkte herausfiltern und sie mit mehr Mitteln ausstatten könne. Insgesamt mehr Geld werde es dafür jedoch nicht geben, es könne nur Umschichtungen geben, so die Ministerin.

Gute Lehrer für schwierige Schulen?

Spätestens hier schließt sich der Kreis zur Wiener Greiseneckergasse. Ob das Konzept einer indexbasierten Mittelverteilung für ihre Schule hilfreich wäre, ist für Direktorin Ilse Riesinger nicht ganz sicher. Mehr Geld wäre immer gut. Aber die größere Schulautonomie habe "nicht nur Vorteile", ist sie überzeugt: So sei etwa fraglich, ob man als "Brennpunktschule" besonders engagierte Lehrer an sich binden könne, wenn diese nicht vom Stadtschulrat zugeteilt würden.

Eine dieser besonders Engagierten ist Julia Frischauf: Die frühere Marketing-Lektorin an der Wirtschaftsuni, die heute die personelle Säule der Begabungsförderung an der "Schmetterlingsschule" darstellt, begeistert gerade die Vorschulkinder anhand von "verliebten Zahlen" für Mathematik. Später, in ihrem Kabinett, erzählt sie davon, wie sie die Eltern ihrer Schüler bei der Anmeldung für die Wiener "Kinderuni" von 7. bis 19. Juli unterstützt - und wie sie mit ihren Schützlingen für das Projekt "Wien - eine smart city" zum IST Austria nach Gugging gefahren ist. Am 25. Juni wird das Ergebnis in der Schule präsentiert.

Ob sie sich freiwillig für diese Schule gemeldet hätte, weiß Frischauf nicht. Aber heute fühlt sie sich genau am rechten Platz. "Ich mag die Kinder hier total gern, die saugen das Wissen so auf", sagt sie strahlend. Ein paar Räume weiter gerät Ilse Riesinger beim Namen ihrer Kollegin ins Schwärmen. "Geld allein", sagt sie, "ist eben nicht alles."

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