Was die Schule wirklich braucht

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Auch in Sparzeiten darf Bildung nicht nur einem reinen Nützlichkeitsdenken unterworfen sein.

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Auch in Sparzeiten darf Bildung nicht nur einem reinen Nützlichkeitsdenken unterworfen sein.

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Nichts ist so sicher in Österreich wie Diskussionen über das Bildungssystem am Ende und am Beginn eines Schuljahres, mögen auch die Schlagzeilen heuer den EU-Sanktionen oder dem "Null-Defizit"-Budget gehören. Denn fast jedes neue Schuljahr bringt Neuerungen im Schulwesen, zugleich aber auch Kritik daran und den Ruf nach ganz anderen Reformen, von denen sich einzelne echte oder selbsternannte Bildungsexperten besondere Fortschritte erwarten. Manche davon - etwa die generelle Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen - sind wünschenswert, aber derzeit nicht finanzierbar, andere - etwa die vom Wiener Stadtschulratspräsidenten Kurt Scholz angeregte Abschaffung der Nachprüfungen oder deren Verlegung in die letzte Ferienwoche - könnten ernsthaft bedacht werden.

Ein weiterer Vorschlag kam von Thomas Prinzhorn, dem zweiten Präsidenten des österreichischen Parlaments: Wirtschaft sollte an Österreichs Schulen vornehmlich unterrichtet werden, auf Kosten der musischen Fächer. Letzteres ist zwar kurzsichtig, aber wer kann bestreiten, dass Österreichs offenbar zu wenig wirtschaftlich geschulte Finanzpolitiker das wichtigste Prinzip von Wirtschaft - man kann langfristig nicht mehr Geld ausgeben als man einnimmt - allzu lange ignoriert haben. Doch ab 2002 sollen keine neuen Staatsschulden gemacht werden. Über die damit verbundenen Maßnahmen mag man stöhnen, wer letztlich wirklich etwas davon hat, ist die jüngere Generation, der jetzt nicht mehr ein wachsender Schuldenberg als Erbe hinterlassen wird.

Sparen lautet also die Parole: für die Bürger, deren Mehrzahl mit weniger Geld auskommen muss, aber auch für das Bildungsressort. Mit der Reduzierung von Supplierstunden, mit Vorruheständen, Umschichtungen bei den Abrechnungen mit den Ländern, mit einer Neuverteilung des Lebenseinkommens der Lehrer und einem neuen Besoldungsrecht an den Universitäten sollen bis zum Jahr 2003 drei Milliarden Schilling eingespart werden.

In dieser Situation kann Bildungsministerin Elisabeth Gehrer keine großen Sprünge machen. Immerhin: Gerade tritt der neue "Lehrplan 99" in Kraft, der den Lehrstoff in einen Kernbereich (zwei Drittel der Unterrichtszeit) und in einen Erweiterungsbereich (ein Drittel) teilt, ein durchaus sinnvoller Ansatz. Schulabbrecher können nun ihren Pflichtschulabschluss bis zum 18. Lebensjahr nachholen, die Bedingungen für die Berufsreifeprüfung wurden reformiert.

Auch wenn nun, soweit die Mittel reichen, die Aufrüstung der Schule mit Computern forciert wird, steht und fällt diese Institution mit den dort tätigen Menschen. Das Klischee "Überforderte Lehrer, frustrierte Schüler, verunsicherte Eltern", diese Woche wieder vom "profil" transportiert, ist nicht sehr hilfreich. Man kann sich des Eindruckes, dass sowohl bei den Schülern, denen "profil" "Null Bock auf Schule" nachsagt, als auch bei den Lehrern, deren Gewerkschaft oft allzu rasch die Haare aufstellt, besondere Wehleidigkeit herrscht, leider nicht erwehren. Natürlich war und ist es Schwachsinn, die Arbeitszeit der Lehrer an deren Anwesenheit im Schulgebäude zu messen. Auch Ärzte arbeiten nicht nur zur Ordinationszeit, Politiker nicht nur im Parlament und Sänger nicht nur während einer Opernaufführung. Viele Lehrer hätten kein Problem mit einer längeren Anwesenheit im Schulhaus, wenn sie dort die entsprechende Infrastruktur (Arbeitszimmer, Bibliothek, Telefon) vorfänden.

Fleißigen, engagierten Lehrern würde auch die geforderte Stunde Mehrarbeit nicht besonders weh tun, sie müssten eben eine Stunde ihrer bisherigen inoffiziellen Arbeitszeit zu offiziellem Tagewerk umgestalten. So schick es sein mag, den Lehrberuf als lässigen Halbtagsjob hinzustellen - mit einem Lehrer tauschen möchten im Grunde wenige, wohl ahnend, dass eine Stunde vor zwei Dutzend Heranwachsenden, die noch dazu in einem bestimmten Alter gnadenlos jede Schwäche ausnützen, mit anderen Arbeitsstunden schwer vergleichbar ist. Auch das wird zu bedenken sein, wenn demnächst eine Studie darüber vorliegt, ob Pädagogen wie andere Berufsgruppen auf 1.793 Stunden Jahresarbeitszeit kommen oder nicht.

Was die Schule wirklich braucht, sind jedenfalls in erster Linie motivierte Lehrer, die es auch in allen Altersstufen reichlich gibt. Die Hälfte der jetzigen Lehrer geht in den nächsten acht Jahren in Pension, darunter auch viele "ausgebrannte" Lehrer. Wären da nicht Staffelungen der Lehrverpflichtung - weniger Stunden, weniger Einkommen, zugleich Arbeitsplätze für jüngere Kollegen - sinnvoll?

Was die Schule braucht, sind realistische Vorstellungen von ihren Möglichkeiten. Die Schule taugt nicht zum Sündenbock für gesellschaftliche Fehlentwicklungen, sie kann nicht alles, was Heranwachsenden an schlechten Vorbildern, an Ablenkung, an Vernachlässigung, Misshandlung und Verwöhnung zuteil wird, ausgleichen. Aber sicher könnten Schulbehörde, Gewerkschaft und Kollegen besser zusammenarbeiten und dafür sorgen, dass jene kleine Minderheit von Lehrern, die einfach nicht für diesen Beruf geeignet ist, aber den ganzen Stand in Verruf bringt, nicht länger auf die Schuljugend losgelassen wird.

Und was die Schule noch braucht, ist ein Freiraum, in dem sie jungen Menschen genau jene Dinge beibringt, die unserer sonst von Kalkül und Nützlichkeitsdenken geprägten Gesellschaft immer mehr abgehen. Dazu gehören gerade die heute kritisierten musischen Fächer, und dazu gehören vor allem geistige Werte und ethische Orientierung. Das sind in Zeiten des Sparstiftes keine mit großem Geldaufwand verbundenen, keine teuren Inhalte, aber es dürfte unsere Gesellschaft noch teuer zu stehen kommen, wenn wir glauben, darauf immer mehr verzichten zu können.

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