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Was ist Konsumentenpolitik?

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„Mehr Konsumentenpolitik“ lautet eine Forderung, die politische Gruppen ebenso wie Zeitungen und Zeitschriften auf ihre Fahnen schreiben. Sie wollen damit also die Interessen des Verbrauchers, jenes unter „Konsumterror“ (Schelsky) stehenden Wesens, gegen die angebliche Übermacht der Produzenten verteidigen. Organisationen wie die Arbeiterkammern nehmen für sich monopolartig das Recht in Anspruch, die Verbraucher zu vertreten. Fast könnte man von einer neuen Form des Klassenkampfes sprechen: hier die unterdrückten, von „geheimen Verführern“ manipulierten Verbraucher, dort die geballte Macht der Erzeuger, das „big business“. Unsere ebenso sloganfreudige wie denkträge Zeit nimmt auch dies kritiklos hin.

Nun ist es richtig, daß die letzten Jahrzehnte gleichsam die Entdek- kung des Verbrauchers gebracht haben. Er ist vom unbekannten, wenig beachteten Wesen zum Partner, ja zum Motor der Produktion hinaufgelobt worden. Der Amerikaner George Katona widmet ihm sogar eine ganze Philosophie, man versieht unsere Gesellschaft auch mit dem Etikett „Konsumgesellschaft", während man besser von einer „Wohlstandsgesellschaft“ sprechen sollte, Leider ist der „consumerism“ für viele schon zu einer Weltanschauung geworden, und man geht nicht fehl in der Annahme, daß das weitverbreitete Unbehagen vor allem der jungen Generation der hochindustrialisierten Staaten eine seiner Wurzeln auch in der Übertreibung einer Verbrauchsgesinnung hat, die wieder eine zwangsläufige Reaktion auf die Not und die Mangelerscheinungen der Kriegs- und Nachkriegsjahre ist.

Jeder ist Konsument

Der Verbraucher ist in unserer Zeit ein Machtfaktor. Der verstorbene Wilhelm Röpke hat den treffenden Ausdruck „Wettbewerbsdemokratie“ geprägt, womit er die ständigen Plebiszite in Form von hunderttausenden, ja Millionen Kaufentscheidungen über Güter und Dienstleistungen meinte. Aber eines gibt es nicht: den isolierten Verbraucher. Denn jeder Mensch ist Verbraucher, aber keiner ist nur Verbraucher, was von den Befürwortern einer Konsumentenpolitik oft übersehen wird. Jedermann hat als Konsument, kraß ausgedrückt, ein verständliches Interesse an niedrigen Preisen, der selbständige Unternehmer und der Generaldirektor ebenso wie der Arbeiter und der Angestellte. Anderseits haben alle diese als Produzenten Interesse an hohen Gewinnen (der Unternehmer und der Generaldirektor) wie an hohen Löhnen (der Arbeiter und der Angestellte). Das ist der erste kritische Einwand gegen eine Fehlinterpretation des Begriffs Konsumentenpolitik.

Und der zweite: Verbrauchen kann nur jemand, der verdient, der also, da erwerbslose Einkommen in unserer Zeit sehr rar geworden sind, einen Arbeitsplatz hat. Die Arbeitsplätze aber sichert die Produktion. Allerdings, ein hoher Konsum sorgt auch für eine hohe Produktion. Darum sollte man die Spannungen zwischen den Erzeugern — in Österreich fälschlich „die Wirtschaft“ genannt — und den Verbrauchern nicht übertreiben. Beide zusammen erst ergeben die Schicksalsgemeinschaft „Wirtschaft“.

Der moderne, aufgeschlossene Unternehmer wird, wie der Innsbrucker Nationalökonom Prof. An- dreae es formuliert hat, im Konsumenten seinen Arbeitgeber sehen. Allerdings muß sich dieser „Arbeitgeber“ der vielfältigen Interdependenzen in einer Volkswirtschaft bewußt sein. Der Entwicklungsstand einer Volkswirtschaft hängt von einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Konsum und Investitionen ab. Nur eine Wirtschaftspolitik, die darauf Bedacht nimmt, ist auch wirklich sozial — im Gegensatz zu sozialen Fiktionen. Man übersieht leider heutzutage sehr oft, daß in Zukunft immer höhere Aufwendungen für Gemeinschaftsaufgaben — „Sozialinvestitionen“ — notwendig sein werden, da diese die Voraussetzung für eine gesunde physische und psychische Umwelt des Menschen, für seine Weiterentwicklung, für die soziale Wohlfahrt im besten Sinn des Wortes sind. Für die Erfüllung dieser großen Aufgaben sind gewaltige Geldmittel nötig. Sie können aber nur aus einer wachsenden Wirtschaft bestritten werden, die ihrerseits wieder eine großzügige Investitions tätigkeit im betrieblichen Bereich zur Vorbedingung hat, weil nur ausreichende Investitionen eine höhere Effizienz der Arbeit gewährleisten. Wenn aber der Anteil einer Gruppe am Volkseinkommen bei gleichbleibendem Sozialprodukt steigt, dann sinkt zwangsläufig der Anteil der anderen. Überproportionale Erhöhungen der Kosten drücken auf die Investitionen (siehe das österreichische Beispiel der letzten Jahre);

anderseits ist die Erhöhung von Sozial- und betrieblichen Investitionen an eine Mäßigung bei der Steigerung der Verbrauchseinkommen gebunden. Beachtet man dies nicht, dann ergeben sich Gefahren für den Arbeitsplatz ebenso wie für die Währung, es ist dadurch ein hohes Konsumniveau ebenso bedroht wie die Stabilität des Preisniveaus.

Aufgeklärte Verbraucher

Statt für den „Klassenkampf auf dem Markt“, wohin eine einseitig interpretierte Konsumentenpolitik führt, sollte man für Zusammenarbeit der Sozial- und Wirtschaftspartner ebenso wie für eine aufgeschlossene Wirtschaftsgesinnung plädieren. Die Vereinigten Staaten haben es nur deswegen zum höchsten Konsumstandard der Welt gebracht, weil in diesem Land stets auch den Investitionen und der Kapitalbildung die gebührende Beachtung geschenkt wurde. Millionen Amerikaner kennen die Probleme von beiden Seiten, sind sie doch nicht nur Konsumenten, sondern zugleich auch Kapitalseigner.

Und was die angebliche Hilflosigkeit des Verbrauchers betrifft, so sollte man ihr weniger mit der ätzenden Schärfe des Polemikers gegenüberstehen, als mit jener feinen Ironie, die einer der Großen der Betriebswirtschaftslehre, Professor Schmalenbach, in einer Anekdote zu Papier gebracht hat. Aus Schmalenbachs Worten spricht der Realismus eines „aufgeklärten Verbrauchers“, der bereit wäre, seine Rechte und Pflichten als Konsument voll zu nützen, der dann aber auch die praktischen Grenzen erkennt. Schmalenbach schreibt nämlich:

„Ich brauchte seinerzeit einen neuen Regenschirm. Es war zu überlegen, wie ich in meiner Rolle als Abnehmer die mir in einer freien Wirtschaft obliegende Pflicht der Auswahl am besten erfüllen könnte. In Köln gibt es, so nahm ich an, etwa 50 Läden, in denen man einen Regenschirm kaufen kann. Diese müßte ich pflichtgemäß alle aufsuchen und keinen, da das ungerecht wäre, auslassen. Dann gibt es schätzungsweise 200 Sorten Regenschirme für Herren. Da es ein schwarzer Regenschirm mit gebogener Krücke sein sollte, mag sich die Sortenzahl auf 100 ermäßigt haben. Nun geht es mir aber um einen möglichst dauerhaften Regenschirm, dessen Stoff, Stock und Mechanik möglichst lange hält und auch bei starkem Wind brauchbar bleibt.

Ich fand bald heraus, daß, allein um die Güte der Regenschirme aui Haltbarkeit und Wasserdurchlässigkeit zu prüfen, ein Kursus nötig sei, den ein Freund auf vier Wochen Dauer schätzte, geeignete Veranlagung des Lernenden vorausgesetzt Auch die Mechanik sei, so meinte er in ihrer Qualität verschieden, und man müsse schon etwas davon verstehen, wenn man eine sachkundige Auswahl treffen wolle. Diese Überlegungen führten dahin, daß ich, urr mich und meine Familie mit derr nötigen Hausrat und der nötigen Bekleidung zu versehen, meinen Berui aufgeben und einen Assistenten anstellen müßte.

Dies bedenkend, verzichtete ich aui jede Konkurrenzprüfung, ging in der nächsten Laden und kaufte untei zehn vorgelegten Schirmen einer ohne lange Prüfung und zahlte dafür, was gefordert wurde.“

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