7103661-1995_21_18.jpg
Digital In Arbeit

Was nicht im Volksbegehren steht

Werbung
Werbung
Werbung

Mit den Zielen und Forderungen des Kirchenvolksbegehrens der Plattform „Wir sind Kirche” in der FlJRCHE (Nummer 17/95, Seite 14) veröffentlichten Fassung habe ich kaum Schwierigkeiten (abgesehen von einigen irreführenden Schlagworten wie „Demokratisierung der Kirche” und polemischen Formulierungen wie „angstmachende und einengende Normen”).

Ich kenne den Initiator, Thomas Plankensteiner, gut und weiß, daß er zu denen gehört, die „in den vordersten Reihen der Kirche stehen und unter dem Verlust des Ansehens der Glaubensgemeinschaft am meisten zu leiden haben” (so Bischof Stecher in seiner Stellungnahme zum Kirchenvolksbegehren).

Meine Bedenken gegen diesen Vorstoß beziehen sich auf das, was nicht im Kirchenvolksbegehren steht, zunächst konkret bei den einzelnen Forderungen:

■ Wenn der Zölibat freigestellt wird, was soll dann an seine Stelle treten, um zu vermeiden, daß das Priesteramt als ein Job aufgefaßt wird wie jeder andere? Gibt es die Verbindlichkeit und Einsatzbereitschaft in den Gemeinden, die es braucht, wenn die Priester Familie haben und daher nicht im selben Maß verfügbar sind? Liegen die Ursachen für den Priestermangel nicht tiefer?

■ In welchen Schritten kann eine Zulassung der Frauen zum Priesteramt erfolgen, um auf alle Beteiligten die nötige Bücksicht zu nehmen?

■ Unter welchen Voraussetzungen kann man von „gleichwertigen Gläubigen” sprechen? Genügt dafür, als Kind getauft worden und nicht ausgetreten zu sein? Bedeutet eine „Demokratisierung der Kirche in personellen Fragen” nicht automatisch eine in inhaltlichen Fragen? Wie bisher der Papst Bischöfe auswählte, die seiner Meinung sind, würde dann die Mehrheit den wählen, der am wenigsten fordert (im Gegensatz zu Joh 6,60 ff)?

■ Auch wenn sich die Kirche nicht einseitig auf die Sexualmoral fixiert, worin besteht diese dann noch? Braucht es eine Integration der Sexualität in personale Liebe und Treue mit ihrem hohen Anspruch?

■ Gibt es überhaupt noch Normen in der Kirche, die durchaus verbesserbar sein können? Wie werden sie gefunden? Stellt sie jede(r) sich selbst auf?

■ Unter welchen Voraussetzungen können wiederverheiratete Geschiedene die Sakramente empfangen und verheiratete Priester im Amt bleiben, ohne daß Versprechen wertlos werden?

Dahinter stehen grundsätzliche Bedenken: Sind wir überhaupt schon die Kirche, die solche Fragen geschwisterlich in der nötigen Gemeinsamkeit und Verbindlichkeit lösen kann? Auf dem Apostelkonzil wurden ähnliche Probleme, die dort „große Aufregung und heftige Auseinandersetzungen” auslösten, einmütig gelöst (Apg 15). Können wir das? Nicht einmal unsere Bischöfe haben es bisher fertiggebracht. Alle jene, die es in entsprechenden Gemeinden wenigstens versucht haben, wissen, welches Maß an Konfliktfähigkeit und damit an Liebe - auch an Feindesliebe - sowie welcher Aufwand an Energie dafür nötig sind. Wir können die „heilige Herrschaft” des Papstes und der

Bischöfe nicht einfach weglassen. An ihre Stelle müßten eine geklärte gemeinsame Basis und der Anspruch der Einmütigkeit unter der Herrschaft Gottes treten, dessen Zeichen und Werkzeug die Amtsträger dann sind. Und durch einen Konzilsbeschluß allein werden als Babys Getaufte noch nicht im Glauben mündig. Es stimmt einfach nicht, daß alle Getauften Gläubige sind (Kirchenrecht cn. 204). Das Konzil hat nicht die praktischen Konsequenzen aus seinen Visionen gezogen. Darunter leiden wir heute.

Daher besteht in der nachkonzili-aren Kirche die Gefahr, Freiheit mit Unverbindlichkeit („Pflichtlosig-keit”) und Mündigkeit mit Selbst -herr(frau)lichkeit zu verwechseln. Wenn das Kirchenvolksbegehren die Forderungen nach der nötigen Verbindlichkeit und ihren Voraussetzungen wegläßt, erweckt es falsche Erwartungen und wird von Kräften vereinnahmt, deren Kirchenbild nicht dem Neuen Testament entspricht. Leo Karrer, der Vorsitzende der Konferenz der deutschsprachigen Pastoraltheologen, hat der kirchlichen Protestbewegung „Kirche sind wir alle” in Vorarlberg die kritischen Worte geschrieben: „Imitieren wir nicht auch in kirchlichen Gruppierungen die gesellschaftlichen Trends, wonach das Verhältnis des einzelnen gegenüber Gesellschaft und Staat so konstruiert ist, daß der einzelne Mensch Bechte und die Gesellschaft Pflichten habe?” Das kann weder im Staat noch in der Kirche gut gehen.

Wenn dies alles im Kirchenvolksbegehren bedacht wäre, würden die berechtigten Ängste der „Konservativen” (die es auch auf dem Apostelkonzil gab) berücksichtigt. Dann könnte man vermutlich über diese Anliegen mit ihnen reden. Allerdings wären dann ganz andere Anforderungen an uns zu richten, von denen einige etwa so lauten könnten:

■ Einigung über die wesentlichen Glaubensinhalte (die mehr sind als der „kleinste gemeinsame Nenner”) in den Gemeinden, Diözesen und der Gesamtkirche sowie über die Bischofskandidaten in einem „Diöze-sankonklave”.

■ Bildung überschaubarer „Stamm” -Gemeinden, in denen die gläubige geschwisterliche Liebe der Christen erst erfahren, eingeübt, gelebt und so auch wieder bezeugt werden kann.

■ Ausgleich der Schattenseiten der Kindertaufe durch ein nachgeholtes Katechumenat in verbindlichen Gemeinden, das mit einer Erwachse-nentauferneuerung abgeschlossen wird.

■ Als erster Schritt in diese Bichtung eine Hinaufsetzung des Firmalters und Firmung nur nach mehrjähriger Vorbereitung mit Bewährung in entsprechender Praxis.

■ Keine Sakramentenspendung unter ungenügenden Voraussetzungen.

Ob ein solches Kirchenvolksbegehren noch viele unterschreiben würden? Aber eine echte Erneuerung der Kirche könnte wohl nur auf diesem Weg beginnen. Gott kann uns ein neues Pfingsten schenken. An uns liegt es aber, daß wir uns alle nach seinem Willen richten und dadurch „ein Herz und eine Seele” werden (Apg 4,32).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung