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Versuch einer Begriffsklärung vor dem Hintergrund der Universitätsdebatte.

Form und Inhalt bedingen einander. Das ist eine Binsenweisheit. Der Inhalt bestimmt die Form, ohne Form aber verliert sich der beste Inhalt. Man kann also über das eine nicht losgelöst vom anderen diskutieren. Dennoch gibt es einen fatalen Hang, sich in Fragen der Formen und Strukturen zu verbeißen und die inhaltliche Auseinandersetzung darob ins Hintertreffen geraten zu lassen. Die Debatte rund um die Universitätsreform ist dafür ein anschauliches Beispiel.

Denn was weitgehend fehlt, ist eine Diskussion über Wert und Wesen der Bildung, aus der heraus erst sich die Frage nach optimalen Strukturen, nach der Verteilung finanzieller Mittel sinnvoll erörtern ließe. Dabei wäre Bildung zu unterscheiden vom bloßen Erwerb von Wissen oder bestimmten Fähigkeiten. Es ginge also um die Rolle jener Institutionen, die sich von ihrem Selbstverständnis her - wenigstens theoretisch - einem über die Ausbildung hinausgehenden Bildungsbegriff verpflichtet wissen, wie eben Universitäten oder auch allgemeinbildende höhere Schulen.

Neuerdings ist wieder viel von Eliten die Rede. "Wir brauchen Eliten", sagen heute auch Sozialdemokraten ganz selbstverständlich - in Deutschland etwa treten sie für die Gründung von "Eliteuniversitäten" ein -, nachdem sie gesehen haben, dass der prinzipiell richtige Ansatz der Chancengleichheit in der Praxis oft Nivellierung (nach unten) bedeutet hat. Was aber ist gemeint, wenn von "Eliten" die Rede ist, von "Innovation", "kreativen Potenzialen", "Weltklasse" und dergleichen mehr?

Leitend dürfte die Einsicht sein, dass sich in Zeiten des Verdrängungswettbewerbs kein Land, keine Gesellschaft Mittelmaß mehr leisten kann. Doch die Feststellung des Bedarfs an "Eliten" und die daraus folgende Dekretierung einschlägiger Maßnahmen ersetzt nicht die Frage nach der inhaltlichen Qualifizierung dieses Begriffs.

Nicht dass es falsch wäre, wirtschaftliche Gegebenheiten zu analysieren und daraus Entscheidungen - auch für den Bildungsbereich - abzuleiten. Aber für einen grundsätzlichen bildungspolitischen Ansatz im Sinne der oben gestellten Frage taugen solche Überlegungen nicht.

Mit Recht hat Jan Ross in der jüngsten Zeit die Rhetorik der Bildungspolitik als "Plastikjargon" bezeichnet, eine Redeweise, in der sich "sozialistischer Planungsglaube und kapitalistisches Effizienzstreben merkwürdig zu verbinden scheinen". So hechelt Politik der die Spielregeln festsetzenden, entgrenzten Wirtschaft hilflos hinterher.

Muss das so sein? Wird das Pferd solcherart nicht verkehrt herum aufgezäumt? Ross weist darauf hin, dass die "technologische Marktführerschaft' Deutschlands" gerade dann "besonders eindrucksvoll" war, "als auch die Geistes- und Geschichtswissenschaften in Blüte standen, im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert"; und dass die vielzitierten US-amerikanischen Spitzenunis "nicht zufällig auch in den höchst abendländischen Orchideenfächern" glänzen.

Wir haben uns angewöhnt, bei allem und jedem, und besonders im Bereich der Bildung, nach dem unmittelbaren Nutzen, der Verwertbarkeit zu fragen. Doch vermutlich gilt hier ein Paradoxon, das sich auch sonst im Leben vielfach bewahrheitet: Das Ziel wird eher verfehlt, wenn es mit allen Fasern und um jeden Preis angestrebt wird, als wenn auch der Weg dorthin schon als Selbstzweck wahrgenommen wird.

Der Wiener Erziehungswissenschafter Alfred Schirlbauer hat kürzlich dafür plädiert, sich in der Schule (man darf wohl ergänzen: und auf der Universität) gerade nicht (primär) mit jenen Dingen zu beschäftigen, mit denen man dann beruflich ohnedies ein Leben lang befasst ist. Hier könnte der Schlüssel zu einem überkommen anmutenden, in Wahrheit aber zeitgemäßen Elitenbegriff liegen: in der Überzeugung, dass die Auseinandersetzung mit Literatur, Musik, Philosophie, mit Grundsatzfragen aus Mathematik, Physik, Biologie nicht einfach für den Elfenbeinturm qualifiziert; sondern dass, wer Mozart gehört, Mann und Kant gelesen hat, unter Umständen auch mehr für die Standortqualität seines Landes getan hat, als derjenige, der immer nur ebendiese vor Augen hatte.

rudolf.mitloehner@furche.at

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