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Was wirkt, ist das Beispiel

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„Ethik im Alltag”, eine neue Grundlagenstudie des Instituts für kirchliche Sozialforschung (IKS), geht der Frage nach, welche Werte heute zählen.

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„Ethik im Alltag”, eine neue Grundlagenstudie des Instituts für kirchliche Sozialforschung (IKS), geht der Frage nach, welche Werte heute zählen.

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Die neue IKS-Studie entstand in Verbindung mit dem TV-Medienverbundpro-gramm „Alles Alltag” (1992/93). Expertinnen aus dem Bereich der Erwachsenenbildung wurden zu folgenden Themenbereichen befragt:

■ Bedeutung von Werten für das Zusammenleben in Familie und Gesellschaft

■ Veränderung von Wertorientierungen im Lebensablauf

■ Auseinandersetzung mit ethischen Fragen in Ausnahmesituationen und Wertkonflikten

■ Beurteilung von Normen und Vermittlung von Werten

■ Wertvermittlung durch Massenmedien und Kirche

Die Art der Auseinandersetzung mit ethischen Fragen - ob im Alltag oder in Ausnahmesituationen -hängt nicht nur von den Lebensumständen ab, sondern wird unter anderem auch von der Lebenseinstellung sowie der individuellen Bedeutung, die jemand einem spezifischen Wert beimißt, beeinflußt. Darüber hinaus spielen der persönliche Reifungsprozeß, das Lebensalter, das soziale Umfeld und das Gewissen eine wichtige Rolle.

Ehe und Familie wurden in der Untersuchung als ein Bereich berücksichtigt, in dem im Alltag den Werten eine besondere Bedeutung zukommt. Zu den Eigenschaften und Werten, die das Zusammenleben in einer Familie am ehesten gelingen lassen, zählen Weltbejahung, Einfühlungsvermögen und Hilfsbereitschaft (zum Beispiel Arbeitsteilung im Haushalt, Geduld miteinander). Als wichtiger Faktor erscheint die Verläßlichkeit, mit der Aufgaben übernommen und Vereinbarungen eingehalten werden. Das braucht die Zustimmung beider Partner und (in altersgemäßer Form) auch die der Kinder. Wichtig ist ferner, daß in einer Familie das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit gegeben ist; dazu zählt auch eine gesicherte finanzielle Basis. Familien, in denen der Glaube von großer Bedeutung ist, halten das Vertrauen auf Gott für die Gestaltung des Familienlebens für sehr wichtig.

Das Zusammenleben mit anderen erfordert die Einhaltung gewisser „allgemeiner Spielregeln' und Normen. Voraussetzungen dafür sind Kommunikationsfähigkeit, Gesprächsbereitschaft und Konfliktlösungskompetenz. Annahme und Akzeptanz der eigenen Person seien ebenso wichtig wie das Annehmen und Akzeptieren der Stärken und Schwächen der Mitmenschen.

Neben dem Beifungsprozeß in den einzelnen Lebensphasen wirkt sich auch eine gesellschaftlich bedingte Veränderung von Werten auf das persönliche Wertsystem aus: Die Bedeutungszunahme von materiellen Werten (Konsum, Mode, Freizeit, Unterhaltung) wird als beträchtlich eingeschätzt. Als positive Auswirkungen wurden die Möglichkeiten zu mehr Unabhängigkeit und Selbstbestimmung - durch verbesserte Bildungsmöglichkeiten und mehr Verdienst - hervorgehoben.

Diejenigen, die den Auswirkungen der Wohlstandsgesellschaft eher skeptisch gegenüberstehen, meinen, daß mit der zunehmenden Individualisierung eine Abnahme von Werten wie Solidarität, Rücksicht und Toleranz einhergehe. Eine in der Gesellschaft anzutreffende „Wegwerfmentalität” übertrage sich mitunter auch auf zwischenmenschliche Reziehungen - dies lasse sich beispielsweise an der sinkenden Rereit-schaft, für alte Menschen im Familienverband zu sorgen, ablesen.

Als wichtigste Handlungsebene wird der persönliche Verantwortungsbereich angesehen. Die Rereit-schaft, konkrete politische Verantwortung zu übernehmen beziehungsweise einen politischen Einsatz in Parteien oder Organisationen zu leisten, ist relativ selten. Dies wurde mit der Komplexität von institutionellen Ebenen begründet, aber auch damit, daß der einzelne selten berücksichtigt und in die Zusammenarbeit eingebunden werde. Die Nutzung der zur Verfügung stehenden demokratischen Instrumente wird als besonders wichtiges Mittel zur Herbeiführung von Veränderungen angesehen. Als hinderlich wurden Mangel an Flexibilität sowie die Ausrichtung des Lebens an der Frage nach dem persönlichen Nutzen und an der Ideologie des Wirtschaftswachstums genannt.

Die Effizienz kirchlicher Wertvermittlung wurde je nach Sozialisati-onsinstanz und Trägern der Vermittlung sehr unterschiedlich bewertet: Die größte Erfolgschance in der Wertsozialisation wurde eindeutig den „kleinen Einheiten” in der Kirche gegeben. Was zähft, ist, daß der einzelne „gefragt” ist, seine Persönlichkeit einbringen, vielleicht auch in basiskirchlichen Strukturen Kirche und gesellschaftliches Leben mitgestalten kann.

Als einer der wesentlichsten Faktoren einer gelungenen Wertvermittlung wurde - unabhängig von konkreten Bereichen - auf den hohen Stellenwert des Charismas der Vermittler von Werten hingewiesen. Sie könnten den Menschen durch ihr Vorbild und durch ihre Begeisterung Mut machen. Die Kirchenverantwortlichen sind in besonderer Weise gefordert, am Leben der „einfachen Katholiken an der Basis” teilzunehmen, deren Nöte - auch deren Gewissensnöte - zu sehen und tragen zu helfen. Wenn es den Verantwortlichen gelinge, offen auf Menschen zuzugehen und gewisse zeitlose Werte so zu vermitteln, daß diese auch verstehbar und nachvollziehbar seien, dann sei es den Menschen möglich, die vermittelnden Personen als glaubwürdig anzusehen und Werte zu übernehmen.

Jener Bereich, in dem es der Kirche zur Zeit am ehesten gelinge, auf die Denkweise und Lebenssituation der Menschen einzugehen, sei ohne Zweifel der sozial-caritative Bereich. Die Kirche habe sich in diesem Bereich den gesellschaftlichen Veränderungen gestellt und ihre Aktivitäten den Erfordernissen der Zeit angepaßt. Das gelebte Beispiel im Umgang mit Menschen und in grundsätzlichen Fragen menschlichen Zusammenlebens wird als der glaubwürdigste Weg angesehen, um ethische Werte, wie zum Beispiel Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Solidarität, zu vermitteln.

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