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Weder Maulkorb, nodi Zügellosigkeit

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Verschiedene Ereignisse in den letzten Monaten haben es deutlich gemacht, daß das geltende Presserecht dringend reformbedürftig ist. Auf der einen Seite öffnet es in seinen Bestimmungen über den Entgegnungszwang allen Mißbräuchen Tür und Tor, auf der anderen Seite aber genügen die heute geltenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen nicht mehr zur Sicherung der vollen Pressefreiheit, ganz abgesehen davon, daß die Judikatur in Oesterreich nicht nur sehr uneinheitlich, sondern auch mit dem Geiste des Pressegesetzes oft kaum mehr vereinbar ist. In dieser Situation ist es vielleicht nützlich, einmal von hoher Warte die Probleme des Presserechtes zu behandeln. Dabei ist vor allem festzuhalten, daß das Problem der Pressefreiheit in zwei verschiedenen Erscheinungsformen auftritt, die sich keineswegs decken, sondern manchmal überschneiden, und in verschiedenen Standpunkten innerhalb der Rechtsordnung begründet sind.

Auf der einen Seite steht die materielle, aktive Pressefreiheit mit dem Recht der freien Meinungsäußerung, dem Recht der freien Verbreitung und dem Recht auf Informationsfreiheit, auf der anderen Seite die formelle, passive Pressefreiheit mit dem besonderen Abwehranspruch der Presse gegen jeden äußeren und inneren Eingriff.

Die materielle Pressefreiheit ist ein Teil des klassischen Grundrechtes der freien Meinungsäußerung und kein Sonderrecht der Presse. Sie ist ein subjektives öffentliches Recht der Presse, ihre Meinung in der ihr geeignet erscheinenden Form zu äußern. Sie hat dieses Recht der freien Meinungsäußerung in gleicher Weise wie jeder andere Bürger.

Die Pressefreiheit im materiellen Sinn ist heute fast in allen demokratischen Ländern verfassungsrechtlich gesichert. Es ist aber überaus bezeichnend, daß fast alle diese verfassungsrechtlichen Verankerungen auf die Mitte des vergangenen Jahrhunderts zurückgehen: in Belgien auf ein Dekret vom 20. Juli 1831, in-Holland auf die Konstitution aus dem Jahre 1848, in G)esterreich auf das Staatsgrundgesetz 1867s in Frankreich , auf ein Gesetz vom 29. Juli 1881, in Italien auf Artikel 28 des Albertinischen Statutes aus dem Jahre 1848 und ein Gesetz vom 26. März 1948 usw. Die wesentliche Errungenschaft all dieser Gesetze liegt in der verfassungsmäßigen Sicherung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung. Heute aber ist ebenso wesentlich, wenn vielleicht nicht noch bedeutsamer, das Recht auf freie Meinungsverbreitung und vor allem das grundlegende Recht auf Info rmations- f r e i h e i t. Gerade aus der Praxis der letzten Jahre können zahlreiche Beispiele angeführt werden, wie das Recht auf freie Meinungsverbreitung durch administrative Maßnahmen beseitigt und damit auch gleichzeitig das Recht auf freie Meinungsäußerung beseitigt wird. Auf der einen Seite bestehen hier zum Beispiel Möglichkeiten durch Entzug des Postvertriebes, auf der anderen Seite aber durch Reglementierungen auf dem Gebiete der Papierzuteilungen, Maßnahmen, die ja gleich nach Kriegsende durchgeführt wurden und, wie zum Beispiel in Oesterreich, zum Teil das Entstehen einer oppositionellen Presse erschwert haben. Auf der anderen Seite bestehen Gefahren für die Informationsfreiheit durch die in manchen Ländern übliche Praxis, Informationen ausschließlich oder bevorzugt nur der nahestehenden Parteipresse zuzumitteln. Die beiden neuen Rechte der Informationsfreiheit und der freien Meinungsverbreitung, die sich im Laufe der Zeit mit der modernen Entwicklung logisch aus dem Recht der freien Meinungsäußerung entwickelt haben, sind bis jetzt in Europa einzig und allein nur in der Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtlich geschützt. Artikel 5 des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 garantiert in gleicher Weise das Recht der freien Meinungsäußerung, das Recht der freien Meinungsverbreitung und das Recht auf Informationsfreiheit:

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet Eine Zensur findet nicht statt.“

Der Fortschritt liegt hier nicht nur in der Ausdehnung des Freiheitsbegriffes, sondern auch in der Gleichstellung von Rund.funk und Film mit der Zeitung, womit die drei wesentlichsten publizistischen Mittel der Gegenwart erfaßt werden. Es wird zur Sicherung der publizistischen Freiheit an der Zeit sein, daß man apch in Oesterreich dieser Entwicklung Rechnung trägt und die verfassungsmäßigen Garantien für die Pressefreiheit mit den neuen Notwendigkeiten in bezug auf Funk und Film in Einklang bringt. Angemerkt sei hier das Bedenken, daß die verfassungsrechtliche Sicherung der freien Meinungsäußerung durch das Medium des Funks insolange nur theoretische Bedeutung hat, als sich der Rundfunk monopolistisch in den Händen des Staates befindet.

Daß das neue Element von der Freiheit der Verbreitung im Begriff der materiellen Pressefreiheit sich naturnotwendig aus dem Rechte der freien Meinungsäußerung entwickelt hat und in ihm enthalten ist, dürfte unbestritten sein, da ja jede Aeußerung Verbreitung zur Voraussetzung hat. Insofern gehört es zu den allgemeinen Freiheitsrechten des Staatsbürgers und gilt nicht nur für die Presse. Auf der anderen Seite ist aber gerade auf dem Gebiete der Presse, wie aus den früher angeführten Beispielen deutlich wird, zur Sicherung dieses Rechtes eine Sonderregelung notwendig, die im Presserecht ihren Platz finden muß.

Im Gegensatz zur materiellen Pressefreiheit ist die formelle Pressefreiheit ein echtes Sonderrecht der Presse. Es räumt ihr mit Rücksicht auf die von ihr erfüllte öffentliche Aufgabe eine Sonderstellung ein und sichert den Schutz des gesamten Zeitungsinhaltes gegen innere und äußere Eingriffe. Der negatorische Abwehranspruch der Presse richtet sich dabei in erster Linie gegen Eingriffe des Staates, aber in weiterer Folge auch gegen wirtschaftliche Organisationen, Einflüsse und Interessen und schließlieh auch gegen den sogenannten Standeszwang: „Die -Meinungsfreiheit ist ein individualistisches Freiheitsrecht im Interesse des einzelnen, die formelle Pressefreiheit darüber hinaus aber eine Institution, deren Funktionieren im öffentlichen Interesse des demokratischen Staates liegt.“ (Martin Löffler.)

Halten wir fest:

Voraussetzung für die Gewährung der passiven, formellen Pressefreiheit ist die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe durch die Zeitung. Nur'dann, wenn die Zeitung eine öffentliche Aufgabe erfüllt, was von vornherein die private Sphäre ausschließt, kann sie Sonderrechte für sich in Anspruch nehmen. Alle Auswüchse einer gewissen Skandalpresse resultieren- aus der Mißachtung dieses Grundprinzipes aller publizistischen Arbeit.

Es wird unbedingt notwendig sein, in einem neuen Pressegesetz auszusprechen, daß die Presse eine öffentliche Aufgabe erfüllt. Die Presse kann diese öffentliche Aufgabe aber nur dann durchführen, wenn ihre innere und äußere Freiheit legistisch gesichert ist.

Der Begriff „passive Pressefreiheit“ ist historisch und begrifflich aus dem Kampf gegen die Zensur zu erklären und ist in diesem Umfang in den meisten Ländern Europas seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts gesetzlich verankert. Die weitere, durch die Fortschritte der Technik und die Umschichtung der staatlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse bewirkte Entwicklung dieses Begriffes erfolgte fast überall nur durch Rechtsprechung und Lehre, ohne daß es zu neuen Legaldefinitionen des Begriffes der formellen Pressefreiheit bisher in größerem Umfange gekommen wäre. Es wäre daher sicher wünschenswert, wenn nunmehr auch auf diesem Gebiete die gewonnenen Erkenntnisse in allen Ländern gesetzlich verankert würden.

Der Schutz der Presse gegen äußere und innere Eingriffe ist heute wichtiger denn je, da sich die Eingriffsmöglichkeiten gegenüber dem 18. und 19. Jahrhundert wesentlich vergrößert haben. Ausdrücklich sei aber an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß sich dieser Abwehrschutz nur gegen jene Eingriffe richten kann, die die Presse als Vermittlerin geistigen Inhalts betreffen bzw. die die Erfüllung ihrer öffent- chen Aufgabe behimjem. 'i„„

Im nachstehenden sei nun der Versuch unternommen, einen systematischen Katalog dieser Eingriffsmöglichkeiten aufzustellen, ohne dabei Vollständigkeit zu erzielen oder die

Schutzwürdigkeit in jedem Fall als gegeben ansehen zu wollen. Dieser systematische Katalog soll aber jedenfalls die Notwendigkeit erweisen, den bisherigen engen Rahmen des Begriffes der formellen Pressefreiheit entsprechend den modernen Erkenntnissen auszuweiten: Ein reiches Arbeitsgebiet für den Gesetzgeber in fast allen Ländern.

Der im Begriff der passiven Pressefreiheit verankerte negatorische Abwehranspruch der Presse richtet sich:

• gegen staatliche Eingriffe,

• gegen private bzw. wirtschaftliche Eingriffe,

• gegen Eingriffe auf der sozialpolitischen Ebene und

• gegen jede Art von Standeszwang.

Da die Presse Gestalterin und Trägerin der öffentlichen Meinung ist, rückt für den Staat zu jeder Zeit und in jeder Regierungsform die Versuchung nahe, durch direkte oder indirekte Eingriffe die Schreibweise der Presse in genehmer Weise zu beeinflussen. Das erste, einfachste und direkteste Mittel zu diesem Zwecke war die Zensur: sie ist heute in allen demokratischen Ländern verboten und abgeschafft. Es gibt aber eine ganze Reihe anderer Mittel für den Staat, um in die Rechte der Presse einzugreifen, wobei die indirekten Eingriffsmöglichkeiten heute sogar die wirksameren sind. Hier seien nur einige dieser Eingriffsmöglichkeiten genannt: die Kautionspflicht, ein strenges Lizenzierungs- und Konzessionsverfahren, Publikationsverbote, Maßnahmen gegen Schmutz und Schund, staatliche Subventionen, Sonderbesteuerung der Presse, Maßnahmen zur Wahrung der Staatssicherheit, Verteidigung des Regimes usw. usw. Bei einigen Kategorien von Einflußmöglichkeiten ist das primäre Schutzbedürfnis der Presse ohne weiteres gegeben, da damit keine gleichwertigen Schutzinteressen des Staates bzw. der Verwaltung konkurrieren. Anders steht es dagegen zum Beispiel bei dem Abwehranspruch der Presse bei Maßnahmen zur Wahrung der Staatssicherheit, bei Maßnahmen gegen Schmutz und Schund und bei Maßnahmen der Landesverteidigung. Hier steht der Abwe h r a n s p r u ch der Presse in direkter Konkurrenz zu berechtigten Abwe h r i n t e r e s s en des Staates, wobei es in jedem einzelnen Falle eine rechtspolitische Frage ist, welches Ab- rfehrinteresse schwerer ist. Die Zeitung kann ihre öffentliche Aufgabe nur ’’dann'- erffllfefi’;'3 wfSitf ‘:in‘ solchen Fällen der5“ Interessenausgleich bei der Zeitung liegt.

Wäs prchgegen wirtschaftliche Eingriffe anlangt, seien hier nur die Delikte Pressebestechung und Pressenötigung genannt, ferner die Beeinflussungsmöglichkeiten durch Inserenten, durch Manipulationen bei der Papierzuteilung oder der Preisfestsetzung für Rotationspapier. Weitere Gefahrenquellen für die innere Freiheit der Presse ergeben sich auf sozialpolitischer Ebene. Hier stehen vor allem zwei Probleme zur Debatte:

1. das Verhältnis zwischen Pressefreiheit und Streikrecht und

2. die Frage des Mitbestimmungsrechtes der Belegschaft in den Großbetrieben.

Schließlich und endlich hat die Schaffung einer staatlich gelenkten beruflichen Zwangsorganisation der Zeitungsverleger und Journalisten im nationalsozialistischen Deutschland deutlich gemacht, daß es auf dem Weg über den Standeszwang möglich ist, die Presse lückenlos unter Kontrolle zu halten, indem er alle in ihr tätigen Personen direkt erfaßt. Aus diesen Erfahrungen heraus erklären die nach 1945 erlassenen Länderpressegesetze von Bayern, Hessen, Bremen und Württemberg-Baden alle Arten von Pressekämmern in Ehrengerichten als unzulässig und bestimmen ausdrücklich, daß die Arbeit der Presse von keiner Zulassung abhängig gemacht werden darf.

Da die Presse das Recht für sich in Anspruch nimmt, eine öffentliche Aufgabe zu erfüllen und daraus berechtigterweise Sonderrechte für sich ableitet, hat sie gleichermaßen auch die Verpflichtung, das Recht des Privaten und Persönlichen zu wahren. Der Schutz des privaten und persönlichen

Lebens vor einem, nicht aus öffentlichen Gründ en gebotenen Eindringen der Presse — die Sensationslust des Lesers ist noch lange kein berechtigtes öffentliches Interesse —, ist die notwendige, den öffentlichen Rechten der Presse entgegengesetzte Pflicht und Grenze der Pressearbeit. Gerade aus dem Eindringen in die private Sphäre erwächst der Pressefreiheit die größte Gefahr.

Nicht zu leugnender und sich häufender Mißbrauch der Pressefreiheit macht den Ruf nach legistischen Maßnahmen gegen denselben verständlich. Trotzdem müssen sie aus dem Wesen der publizistischen Arbeit und dem Geist der Pressefreiheit heraus abgelehnt werden. Was not tut, ist eine Selbstkritik der Presse, wie sie England im „General Council of the Press“ und Deutschland im „Presserat" besitzt. Gerade jetzt wäre in Oesterreich der Zeitpunkt gekommen, in dem sich verantwortungsbewußte Verleger und ihrer Mission treue Publizisten und Journalisten zur Verteidigung der bedrohten Pressefreiheit, aber auch zur Wahrung ihrer Standesehre zusammenschließen. Es wäre um die österreichische Presse vielleicht besser bestellt, wenn der von Oscar Pollak schon 195 5 zur Diskussion gestellte Vorschlag eines österreichischen Presserates Wirklichkeit geworden wäre.

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