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Weniger Beamte - mehr Gesetze?

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Daß Beamte und sinnlose Bürokratie dasselbe und Beamte daher „out” sind, diese Ansicht vertreten viele. Auch die Pragmatisierung sollte man abschaffen ... Zu diesen und ähnlichen Behauptungen die Stellungnahme eines Beamten.

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Daß Beamte und sinnlose Bürokratie dasselbe und Beamte daher „out” sind, diese Ansicht vertreten viele. Auch die Pragmatisierung sollte man abschaffen ... Zu diesen und ähnlichen Behauptungen die Stellungnahme eines Beamten.

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In Hinblick auf Privilegien der Be-I amten, insbesondere des sicheren A Arbeitsplatzes, wird der gesellschaftliche Neid angestachelt. Es verwundert daher nicht, wenn sieben von zehn Österreichern die Auffassung vertreten, es gibt zuviele Beamte und diese bekommen zuviel Geld. Ein gleiches Dienstrecht für alle unselbständig Erwerbstätigen soll Abhilfe schaffen.

Niemand wird ernsthaft annehmen, daß den Beamten die Verantwortung die Hauptbrocken der Ausgaben: Pflegegeld, zweites Karenzjahr, Zinsen für die Staatsverschuldung und Zahlungen an die EU oder für die Einnahmenausfälle durch die Steuerreformen und den Kaufkraftabfluß zuzurechnen ist.

Seit über 20 Jahren hat der Steuerzahler dieses Landes außerdem gelernt, für die Erhaltung von Arbeitsplätzen müsse nahezu jedes Opfer gebracht werden, etwa um Milliardenverluste im Eisen- und Stahlbereich abzudecken. Auch die Arbeitsplätze bei einem konkursreifen Sportartikelunternehmen müssen dem Steuerzahler einiges wert sein.

Vor diesem Hintergrund mutet es eigenartig an, daß eine unheilige Allianz von Politikern aller Parteien und von Meinungsmachern generell über die Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst herziehen, ohne sich zu fragen, ob man die dort erbrachten Leistungen benötigt oder nicht. Dieselben Politiker, die die „Normenproduktion” zu Spitzenwerten geführt haben (1965 gab es 373 Nummern des Bundesgesetzblattes, 1994 waren es 1107), machen sich keine Gedanken, welchen Verwaltungsaufwand dies verursacht.

Das unübersehbare Binnenmeer der österreichischen Normen steigt weiter. Der EU-Beitritt hat nicht nur eine Vielzahl neuer Normen, sondern auch noch die Unsicherheit der Feststellung dieser unter Abgrenzung der Rechtskreise und damit enorme Mehrbelastungen gebracht. Seit Jahren überlastete Gerichte sind kaum mehr in der Lage, die Verpflichtung zu einer angemessenen Verfahrensdauer einzuhalten.

Die öffentlichen Aufgaben wachsen auch mit der Dichte des Zusammenlebens. So kam etwa der Straßenverkehr vor mehr als 100 Jahren nahezu ohne Regeln aus. Unsere heutige Mobilität erfordert ein umfassendes Regelungssystem, das vom Staat flächendeckend zu garantieren ist.

Natürlich ist es möglich, bestimmte Aufgaben des öffentlichen Dienstes durch Private besorgen zu lassen. Erfahrungen zeigen, daß das aber nicht stets kostengünstiger und häufig auch mit anderen Nachteilen verbunden ist. Privatisierungen von Betrieben oder betriebsähnlichen Leistungen führen in der Regel dazu, daß die angebotene Leistung empfindlich teurer wird.

Ich schreibe nicht von Beamten oder für Beamte, die ihre Außentätigkeit mißbrauchen oder die den Dienst schon mittags abbrechen, sondern von denen, die unbezahlt bis in die Nacht hinein um das Erfassen und die Lösung von Problemen bemüht sind.

Es sollen nicht öffentlich Bedienstete geschützt werden, die nichts zu tun haben (solche habe ich vereinzelt als „Sozialfälle” kennengelernt), sondern die, deren Arbeitstag in ungeheurer Weise mit Problemen gefüllt ist, die mit hohem Sachverstand fachkundige Leistungen erbringen, Beamte, die wissen, daß sie für ihre Handlungen und deren Erfolg oder Mißerfolg auch in einigen Jahren persönlich noch werden einstehen müssen und die nicht wie manche hochgepriesenen Manager und Politiker bald in dieser bald in jener Position, sehr „mobil”, aber im wesentlichen verantwortungslos weiterwirken können.

Wo Mißstände herrschen, muß konkret eingeschritten werden

Ich denke auch an den „kleinen Kanzleibeamten” und die Schreibkraft, die wegen des Arbeitsanfalles freiwillig und ohne Entschädigung nach Dienstschluß noch wichtige Akten erledigen, die Beamten, die im im Interesse der öffentlichen Sicherheit und unter Einsatz ihres Lebens ihre Dienstpflichten wahrnehmen ... Sie alle sind von der veröffentlichten Klischeemeinung und den daran geknüpften „generellen Lösungen” im gleichen Maße betroffen.

Die Schwierigkeit der Auseinandersetzung mit vielen Vorwürfen liegt darin, daß einzelne Mängel in der Verwaltung nicht in Abrede zu stellen sind. Undifferenziert getroffene generelle Maßnahmen beseitigen diese aber nicht. Individuelle Mißstände darf man nicht mit generellen Maßnahmen bekämpfen, weil sonst den Ordentlichen gegenüber ungerecht gehandelt wird.

Dem Sozialmißbrauch müßte mit einer strafferen Verwaltungsführung, letztlich auch durch Strafanzeigen begegnet werden. Das ist zwar unangenehm, langwierig und in der veröffentlichten Meinung unpopulär, aber es wäre Dienst an der Allgemeinheit. Es ist aber scheinbar wesentlich eleganter, Lösungen im generellen Bereich, insbesondere durch das sogenannte „Sparen” in Form von Aufnahmestops, Verringerung der Überstunden, Nullohnrunden und dergleichen zu suchen.

In den öffentlichen Diskussionen müßte vor allem auch Begriffsklarheit geschaffen werden. So wird der Begriff Beamter einmal als Summe aller öffentlich Bediensteten (etwa 360.000), dann wieder nur als Summe der Bundesbediensteten (etwa 240.000) und nur ganz selten als Summe der öffentlichrechtlich Bediensteten verwendet

Neben den Beamten des Bundes, der Länder und der Gemeinden gibt es nämlich Bedienstete, deren Dienstverhältnis auf privatrechtlichem Vertrag beruht, die also dem ASVG unterliegen und kündbar sind. Von dieser Kündigungsmöglichkeit wird im übrigen kaum Gebrauch gemacht, weil die Aufgaben der öffentlichen Hand ohnehin seit Jahrzehnten immer zugenommen haben.

Das Beamtenverhältnis besteht grundsätzlich lebenslang. Viele Bereiche des öffentlichen Dienstes setzen eine umfangreiche Vor- und Ausbildung und auch praktische Erfahrung voraus, die in der Privatwirtschaft kaum verwendet werden können. Da das Beamtendienstverhältnis auch im Ruhestand weiterbesteht, gibt es daher keine Abfertigung und keine Pensionsversicherung. Der Dienstgeber bezahlt vielmehr den Ruhebezug selbst, der - 35 Dienstjahre voraussetzt - 80 Prozent des letzten Bezuges beträgt.

Die öffentlichen Dienstgeber bezahlen keine Beiträge zum Fa-milienlastenausgleichsfonds, obwohl auch die Kinder von Beamten Leistungen aus dem Fa-milienlastenausgleichsfonds erhalten. Bei der Pension gibt es -im Gegensatz zum privaten Arbeitgeber - keinen Dienstgeberanteil des öffentlich-rechtlichen Diensteebers und für den

Beamten gibt es keine Abfertigung.

Da die meisten Beamten am Ende ihrer Laufbahn weniger als die Höchstbemessungsgrundlage nach dem ASVG (derzeit etwa 38.000 Schilling) beliehen, wäre es interessant auszurechnen, ob diese Pensionsregelung unter Berücksichtigung des aus Steuergeldern erbrachten Bundeszuschusses zu den ASVG-Pensionen und bereinigt um die Zu- beziehungsweise Abnahme der Zahl der Beitragszahler in Summe nicht sogar für die öffentlich-rechtlichen Dienstgeber finanziell vorteilhaft ist.

Eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters reduziert bei Beamten die Lebensverdienstsumme mangels Abfertigung beachtlich. Den fixen Vorteil der Abfertigung braucht der Privatbedienstete nur erleben; der Ausgleich dazu wird bei Beamtenpensionisten überhaupt erst nach sieben Pensionsjahren erreicht. Darauf, daß die Abfertigung gewinnbringend angelegt werden kann und durch massive Steuerbegünstigung in vielen Bereichen der Privatwirtschaft Pensionskassenmodelle eingerichtet sind, darf nur der Vollständigkeit halber hingewiesen werden.

Manche Verwendungen sind in hohem Maße psychisch oder physisch belastend

Die Behauptung, daß Beamte rechtlich nur mit einem privatärztlichen Gefälligkeitsattest pensioniert werden, ist natürlich unrichtig. Es ist vielmehr Aufgabe der Dienstbehörde (im Bundesdienst in der Regel der Bundesminister) festzustellen, ob der Beamte noch dienstfähig ist oder nicht. Meist haben mehrere ärztliche Gutachten Auskunft über die gesundheitliche Beeinträchtigung zu geben.

Die Dienstbehörde hat dann zu prüfen, ob der Beamte seinen Arbeitsplatz noch erfüllen kann. Manche Verwendungen im öffentlichen Dienst setzen einen hohen Grad an physischer und psychischer Einsatzfähigkeit voraus (Wachbeamte, Lehrer, Krankenpflegepersonal).

Wenn ein Beamter ein Jahr lang durchgehend dienstunfähig'war, ist er von der Dienstbehörde in den Ruhestand zu versetzen. Die Regelung sollte verhindern, daß dienstunfähige Beamte weiter den Aktivbezug erhalten.

Eine Verpflichtung zur Zurechnung von Jahren besteht gesetzlich nur, wenn der Beamte zu jedem zumutbaren Erwerb unfähig geworden ist.

Die Statistik zeigt nun, daß auch bei den Beamten die Zahl der Frühpensionisten gestiegen ist. Daran mag auch eine gewisse Großzügigkeit der Beurteilung mitbeteiligt gewesen sein. So wurde durch Frühpensionierungen die Möglichkeit geschaffen, Planstellen neu zu besetzen (man vergleiche die Warteliste bei den Jung-Lehrern). Trotzdem ist zu bedenken, daß trotz steigender Lebenserwartung die degenerativen, aber auch die psychischen Erkrankungen deutlich zunehmen.

Sicher spielt auch die Motivation, früher eine wesentliche Führungsaufgabe, eine Bolle. Die Beamten werden derzeit für Zustände gleichsam haftbar gemacht, die sie mangels Gestaltungsmöglichkeit nicht zu vertreten haben. Daß Sicherheit und lebenslange Betriebszugehörigkeit einen hohen Motivationswert darstellen können, beweisen zum Beispiel der Erfolg der japanischen Wirtschaft aber auch die bisherige Geschichte des österreichischen Berufsbeamtentums. Unter der Führung von in erster Linie parteipolitisch legitimierten Organwaltern mit hoher Fluktuation, kommt einer fachkundigen Beamtenschaft auch die Funktion der Kontinuität und Stabilität zu.

Um das Beziehungsgefüge zwischen obersten politischen Organwaltern, öffentlich Bediensteten und Staatsbürgern vergleichsweise darzustellen, drängt sich das Bild eines Konzertes mit Orchester und Dirigent auf. Sowohl die Orchestermitglieder als auch der Dirigent haben eine objektive Vorgabe in Form von Noten, an die sie sich zu halten haben. Gute Dirigenten können ein durchschnittliches Orchester zu entsprechenden Leistungen führen. Dies sicher aber nur dann, wenn Dirigent und Orchester sich um das gemeinsame Anliegen bemühen und der Dirigent nicht gegenüber dem Publikum das Orchester in Frage stellt. Ein guter Dirigent müßte sich bewußt sein, daß ein Orchester ohne ihn spielen kann, ein Dirigent ohne Orchester aber bestenfalls als Pantomime auftreten kann.

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