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Wenn die Hörer reden

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Wohl selten hat eine Erfindung der Technik in so kurzer Zeit die breiten Volksschichten für sich gewonnen, wie dies beim Rundfunk der Fall ist. Zwischen dem bescheidenen Kopfhörer von einst und dem komfortablen Musikschrank von heute liegt nur eine Spanne von 30 Jahren, und schon bieten UKW- Sender und die Zauberwelt des Fernsehens neue ungeahnte Möglichkeiten. Es erscheint daher nicht ganz unberechtigt, die Frage zu stellen, wie weit Vorsorge getroffen wird, daß die innere Entwicklung des Rundfunkwesens mit der äußeren Schritt hält, daß vor allem die Programmgestaltung nach Grundsätzen erfolgt, die dem Wesen des Rundfunks gemäß sind und die Grenzen respektiert werden, die auch diesem Medium gesetzt sind. Weicht man dieser Frage aus, dann läuft man Gefahr, in den Verdacht zu kommen, nur dem Unterhaltungsbedürfnis zu dienen und der Vergnügungsindustrie den geforderten Tribut zu zollen. Vielleicht war es ein arges

Versäumnis, daß man nicht von allem Anfang an auch Schweigezeiten für die Aetherwellen festgelegt hat; heute ist es dazu wahrscheinlich schon zu spät. Wir haben uns weithin schon so sehr an die Dauerberieselung des Rundfunks gewöhnt, daß ein plötzliches Abstoppen wohl kaum mehr möglich ist. Der junge Mann, der mit sichtlichem Stolz den handlichen Kleinempfänger auch bei einem Waldspaziergang mit sich führt, ist ein Symptom unserer Zeit: weil wir die besinnliche Stille nicht mehr vertragen können, ist uns die Geräuschkulisse des Rundfunks geradezu unentbehrlich geworden.

Es darf als ein erfreuliches Zeichen für das Verständnis der angedeuteten Frage gewertet werden, daß der Nordwestdeutsche Rundfunk schon vor einigen Jahren im Funkhaus Hamburg eine Rundfunkschule ins Leben gerufen hat, die in regelmäßiger Folge Kurse für Vertreter der verschiedensten Berufsgruppen veranstaltet, um auf solche Weise» mit der Hörerschaft über die Programmgestaltung des in seiner Breitenwirkung kaum zu übersehenden Mediums Rundfunk und Fernsehen ins Gespräch zu kommen. Reise- und Aufenthaltskosten trägt der Nordwestdeutsche Rundfunk. So fand z. B. kürzlich eine Tagung für katholische und evangelische Theologen statt, die sich durchaus nicht nur mit den Fragen der kirchlichen Sendungen beschäftigte, sondern auch Themen, wie „Politik und Rundfunk“, „Die erzieherischen Aufgaben des Rundfunks“, „Musik und Rundfunk“, „Das gesprochene Wort im Rundfunk“, behandelte. Gegenwärtig sind Vertreter der Gewerkschaften Gäste der Hamburger Rundfunkschule, dann wieder sind es Lehrer und Erzieher, Journalisten oder Angestellte oder Hausfrauen, die zu Vorträgen und Aussprachen eingeladen werden. Eine Führung durch das Funkhaus und das am Stadtrand gelegene Fernsehstudio bietet den Kursteilnehmern ein eindrucksvolles Bild von dem Aufwand an Zeit, Geld und Mühe, den selbst der normale Ablauf eines einzigen Tagesprogramms erfordert.

Mit einiger Ernüchterung erfährt man, daß der überwiegende Teil des Sendeprogramms vorher auf Tonband auf genommen wird, wobei es — ähnlich wie im Filmatelier — vorkommen kann, daß etwa ein Symphoniekonzert oder ein Hörspiel erst nach mehrmaliger Wiederholung einzelner Stellen und entsprechendem Schnitt des Tonbandes als „sendereif“ erklärt wird. Rücksichtnahme auf Solisten oder Schauspieler, die wegen anderweitiger Verpflichtungen oder aus unvorhergesehenen Gründen gerade am Tag der Sendung nicht zur Verfügung stehen könnten, darf als einer der Gründe für das Vorherrschen der , Bandsendungen angeführt werden. Anderseits wurde die Gefahr eines Perfektionismus gerade etwa bei musikalischen Sendungen ohne weiteres zugegeben.

Darf schon die Einrichtung einer Rundfunkschule als ein beachtenswerter Versuch, die Hörer zur Mitarbeit und Mitverantwortung an der Programmgestaltung heranzuziehen, angesehen werden, so gilt dies in besonderem Maße von der Hörerforschung, wie sie der Nord westdeutsche Rundfunk in Anlehnung an amerikanische und britische Vorbilder in konsequenter Weise und unter Bedachtnahme auf die anders gelagerten deutschen Verhältnisse durchführt. Dazu gehört nicht nur die Beantwortung und Verwertung der Hörerbriefe — im Jahre 1953 waren es insgesamt 323.901! —, die stets nur einen bestimmten Ausschnitt der Bevölkerung repräsentieren, auch wenn man die nicht unerhebliche Zahl der Graphomanen außer Betracht läßt. Man hat darüber hinaus durch den Einbau von Meßgeräten bei jeder Trafostation festzustellen versucht, zu welcher Sendung die Empfangsgeräte eingeschaltet oder abgeschaltet werden. Man verwendet viel anerkennenswerten Fleiß und Mühe für die Befragung der Hörer nach der Gallup- Methode und hat damit sehr aufschlußreiche Ergebnisse erzielt; so wurde unter anderem festgestellt, daß 20 Prozent der Hörer regelmäßig die kirchlichen Sendungen hören, und daß auch solche, die daran nicht interessiert sind, keinen Einwand dagegen erheben, es sei denn, daß sie andere Sendezeiten vorschlagen. Ein weiterer Versuch auf dem Gebiet der Hörerforschung besteht darin, daß man eine Gruppe von 20 Personen, aus verschiedenen sozialen Schichtungen ausgewählt, in das Funkhaus bittet, wo sich im Rahmen einer eigens für diesen Zweck vorbereiteten Studiovorführung die Möglichkeit bietet, durch Druck auf einen weißen oder schwarzen Knopf in jedem Augenblick ein Zeichen der Zustimmung oder Ablehnung zu geben. In der dann anschließenden Diskussion werden die Gründe hierfür des näheren erörtert. Letzten Endes geht es bei allen diesen Bemühungen darum, eine „Seekarte“ herzustellen und es dem Kapitän zu überlassen, welchen Kurs er einschlagen will, um ans Ziel zu gelangen.

Wer aber bestimmt dieses Ziel? Der autoritäre Staat fordert staatspolitische Erziehung und macht aus dem viegestaltigen und feingliederigen Instrument des Rundfunks eine plumpe Propagandamaschine; in der Demokratie wieder besteht die Gefahr, daß der Rundfunk zum Zankapfel der politischen Parteien wird, die sich die Gelegenheit, wirksamer als sonst zum Fenster hinaus zu reden, begreiflicherweise nicht entgehen lassen möchten. Es war für die Teilnehmer des für Theologen beider Konfessionen veranstalteten Lehrganges der Hamburger Rundfunkschule mit einer der stärksten Eindrücke, daß auf die von den „Schülern“ gestellte Frage: „Welches Ziel hat sich der Nordwestdeutsche Rundfunk gesetzt?“, die Antwort kam: „Es gibt verschiedene Ziele, die uns angeboten werden, aber der Rundfunk kann sich nur auf das eine, bisher unbestrittene Ziel beschränken: seine Hörer wissen und spüren zu lassen, daß sie Kinder der christlich-abendländischen Geisteskultur sind.“ Bei der bevorstehenden Neuordnung des österreichischen Rundfunkwesens sollte die Frage nach neuen Wegen und Möglichkeiten sowie nach dem rechten Ziel aller Rundfunkarbeit in unserem Lande ernstlich geprüft werden!

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