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Digital In Arbeit

Wenn die Kugel rollt, sind die Vorsätze dahin

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Spiel- und Arbeitssucht fuhren ähnlich wie die Freß-, Alkohol-und Medikamentensucht (siehe FURCHE 49/1996) zu massiven sozialen und familiären Problemen.

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Spiel- und Arbeitssucht fuhren ähnlich wie die Freß-, Alkohol-und Medikamentensucht (siehe FURCHE 49/1996) zu massiven sozialen und familiären Problemen.

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Pathologisches Glücksspielen ist Psychiatern gut bekannt. Bis 1980 hatte man es mit diesem „Krankheitsbild” noch relativ selten zu tun. In den USA wurde Spielsucht 1980 offiziell als psychische Krank: heit anerkannt. Die Kriterien wurden 1986 festgelegt und werden in acht Punkten definiert:

■ Spieler(innen) sind häufig gedanklich mit dem Glücksspiel beschäftigt und mit den Möglichkeiten, wie Geld dafür beschafft werden könnte.

■ Es werden oft höhere Beträge verspielt und es wird länger als beabsichtigt gespielt.

■ Gibt es keine Möglichkeit zum Spielen, tritt beim Spielsüchtigen innere Unruhe oder Reizbarkeit auf.

■ Es wird wiederholt beim Glücksspiel verloren und trotzdem sofort oder am nächsten Tag weitergespielt.

■ Es wird immer wieder versucht, das Glücksspiel aufzugeben oder einzuschränken.

■ Es wird gespielt, anstatt sozialen, ausbildungsmäßigen oder beruflichen Verpflichtungen nachzukommen.

■ Es werden wesentliche soziale oder berufliche Tätigkeiten aufgegeben, um spielen zu können.

■ Es wird trotz der Unfähigkeit die entstandenen Schulden zu bezahlen, weitergespielt.

Das Glücksspiel wird meist zufällig kennengelernt. Viele der Spielsüchtigen hatten vor Beginn ihrer Sucht psychische Probleme, Depressionen, mangelndes Selbstwertgefühl oder anhaltende Mißerfolge. Der Spiel süchtige erlebt im Anfangsstadium recht positive Erfahrungen mit seinem „Glücksspiel”. Er fühlt sich während des Spielens wohl, entspannt und innerlich frei, ist oft sehr angeregt, fast wie berauscht. Er kann in diesem Stadium seine Probleme vergessen und „abschalten”.

Das Zusammentreffen von seelischen Mängeln mit der angenehmen Wirkung der Droge „Spiel” bildet die Grundlage für die Sucht. Wird Glücksspielen wie ein Medikament gegen die innere Unruhe und Ange-spanntheit eingesetzt, so wandelt sich die anfangs so angenehme Erfahrung bald in Gewohnheit.

Die Abhängigkeit vom Spielen bringt neben den finanziellen Verlusten sehr oft auch das Zerbrechen von sozialen Bindungen und der beruflichen Existenz. Der süchtige Spieler kann aber trotzdem nicht aufhören, auch wenn negative Erfahrungen oder gute Vorsätze vorhanden sind. Das Phänomen des Kontrollverlustes ist ähnlich wie beim Alkoholiker. Der Ausstieg wird schwer geschafft. Selbsthilfegruppen sind hierein „Rettungsanker”. So gibt es zum Beispiel in Berlin das Cafe „Beispiellos”, wo jährlich rund 200 Spielsüchtige und deren Angehörige betreut werden.

Der „Workaholic”

Es ist in Zeiten der Leistungsgesellschaft sogar schick, zum sogenannten Klub der „Workaholics” zu gehören. Viele Menschen arbeiten mehr als zehn oder zwölf Stunden täglich. Sie stehen unter einer konstanten Hochspannung, müssen tun, schaffen, und können vor allem nicht „nein” sagen. Sie haben auch die Fähigkeit verloren, sich zu entspannen. Arbeitssucht wird oft gar nicht ernst genommen, es gibt über sie weder Statistiken noch gibt es Selbsthilfegruppens die sich mit dieser Sucht auseinandersetzen.

Gerhard Mentzel, Chefarzt der hessischen Hardwaldklinik in Zwesten in Deutschland, beobachtet seit zehn Jahren Arbeitssüchtige. Als Psychoanalytiker hatte er bereits 25 Jahre Erfahrung mit Alkoholsüchtigen. Er stellte fest, daß die Verhaltensweisen von Arbeitssüchtigen denen von Alkoholsüchtigen nicht unähnlich sind.

Beim Arbeitssüchtigen kreisen die Gedanken hauptsächlich um seine Arbeit, zwischenmenschliche Beziehungen werden vernachlässigt. Das immer hastiger werdende Arbeiten vermittelt den Gefährdeten eine Art von Bauscherlebnis. Schuldgefühle entstehen. In diesem Stadium stellen sich erste psychische Symptome wie Erschöpfungszustände, leichte Depressionen, Konzentrationsstörungen und unbegründete Ängste ein. In der kritischen Phase Arbeitssüchtiger wird eine Art von Kontrollverlust merkbar.

Die Selbstachtung wird durch neue und oft sehr rigide Zeiteinteilungssysteme aufrechterhalten.

Körperliche Symptome wie Bluthochdruck oder Magengeschwüre sind keine Seltenheit, psychisch leiden die Betroffenen oft unter starken Depressionen, die leider manchmal auch zu einer totalen Arbeitsunfähigkeit führen können.

In der „chronischen” Phase werden die Arbeitssüchtigen nur noch durch ihre berufliche Tätigkeit in Schwung gehalten. Sie müssen abends, an Sonn- und Feiertagen arbeiten. Vermeintlichen Konkurrenten begegnen sie mit Rücksichtslosigkeit. Ihre Selbstzerstörung schreitet fort. Leider ist eine mögliche physische Konkurrenz manchmal der Herzinfarkt.

Hat der Süchtige das Stadium des totalen Ausgebranntseins erreicht, so kann es zu einem irreversiblen Knick in der Leiitungsfähigkeit kommen. Er fühlt sich gealtert, hat Magengeschwüre, massive Herzbeschwerden. Werden in dieser Phase psychologische Tests mit den Betroffenen gemacht, so zeigen diese deutliche Konzentrationsstörungen, verlangsamte Wahrnehmung und Denkschwäche. Der Aufbau einer Freizeitwelt ist so gut wie unmöglich geworden.

Mentzel machte bei seinen etwa 100 Patienten, die rein zufällig in die Klinik kamen, die Erfahrung, daß es sich meist um in der Öffentlichkeit stehende Menschen handelt, die von ihrer Arbeit im wahrsten Sinn des Wortes „aufgefressen” werden. In ihrem Leben spielt weder Freizeit noch die Pflege von Freundschaften oder Beziehungen eine Bolle.

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