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Wenn Pfarrer rar werden, schlägt die Stunde der Laien

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Ein Viertel der österreichischen Pfarren hat keinen eigenen Priester mehr. Mit „Pfarrverbänden" und „Pfarrassistenten" versucht man, das Problem zu lösen.

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Ein Viertel der österreichischen Pfarren hat keinen eigenen Priester mehr. Mit „Pfarrverbänden" und „Pfarrassistenten" versucht man, das Problem zu lösen.

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Mit 52 Priesterweihen (25 für Diözesen, 27 für Orden) stellt . das Jahr 1994 für die katholische Kirche Österreichs einen Lichtblick gegenüber den Jahren davor dar. 1993 wurde dieses Sakrament 47 jungen Männern gespendet, 1992 gar nur 44, was die niedrigste Neupriester-Zahl seit Jahrzehnten bedeutete. Der leichte Aufwärtstrend kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Gesamtzahl der Priester in Österreich laufend abnimmt, daß der Altersdurchschnitt des Klerus ständig steigt und immer mehr Gemeinde ohne eigenen Pfarrer auskommen müssen. Die Statistik - so schwer sie manchmal zu erstellen ist, da man Welt- und Ordenspriester, Aktive und Pensionisten, Priester aus der eigenen und aus anderen Diözesen sorgfältig unterscheiden muß - spricht eine ziemlich eindeutige Sprache.

Der neueste Stand der Altersstruktur der 425 Diözesanpriester der Diözese Graz bestätigt das. 13,2 Prozent sind unter 40, 10,6 Prozent zwischen 40 und 50, aber schon 25,9 Prozent zwischen 50 und 60 Jahre alt. Doch die Mehrheit der Kleriker - 50,3 Prozent - hat das sechzigste Lebensjahr schon überschritten. Auch aus der Erzdiözese Wien und aus der Diözese Innsbruck, wo sich die Zahl der Priester in den letzten drei Jahrzehnten halbiert hat, wurde bekannt, daß mehr als die Hälfte der Priester über 60 Jahre alt sind.

Nicht wesentlich besser sind die letzten verfügbaren Daten aus der Diözese Linz (vom 1. Jänner 1994). Von den 496 Weltpriestern sind 13,1 Prozent unter 40 Jahre alt, 12,5 Prozent zwischen 40 und 50, 27 Prozent zwischen 50 und 60, aber 47,4 Prozent haben schon ihren Sechziger gefeiert. Aus der Erzdiözese Salzburg liegt nur eine Altersstruktur für jene Priester vor, die aktiv im Seelsorgedienst stehen. Sie ist daher mit den anderen Zahlen ebensowenig vergleichbar wie Äpfel mit Rirnen, zeigt aber, daß sogar unter den Aktiven fast ein Drittel älter als 60 Jahre ist.

Die Folge dieser Entwicklung ist, daß immer mehr Pfarren beziehungsweise Seelsorgesprengel „verwaisen". Es gibt, so die Fachsprache, „keinen Priester am Ort", die Pfarre wird „mitprovidiert", und zwar von einem Pfarrer oder Moderator, des-

Auf den ersten Blick klingt die Zahl dieser „Gemeinden ohne eigenen Pfarrer" dramatisch: Es sind derzeit in ganz Österreich 760 von 3.099, immerhin 24,5 Prozent.

Obwohl dieses Faktum alarmierend wirkt, da sich das Problem fast einem Viertel der Seelsorgesprengel stellt, sehen die Ordinariate die Entwicklung zwar mit Sorge, aber nicht mit Panik, denn der Prozentsatz der betroffenen Katholiken ist gering. In der Diözese Gurk-Klagenfurt verweist man darauf, daß von den dort 131 „mitbetreuten" Gemeinden 117 weniger als 600 und 49 sogar weniger als 300 Katholiken aufweisen. Auch andere Diözesen betonen, daß „verwaiste" Gemeinden mit mehr als 1.000 Katholiken sehf selten sind, meist handelt es sich um winzige Pfarren „josefinischer" Herkunft. Bekanntlich hatte Joseph II. viele neue Kleinstpfarren errichten lassen.

Die Frage liegt nahe, ob die Aufrechterhaltung des bisherigen dicht-maschigen Netzes an Pfarren noch ein vorrangiges Ziel der Kirche sein soll. Vieles spricht zweifellos dafür, daß man wenigstens „die Kirche im Dorf läßt", wo durch die Bildung von Großgemeinden mit zentralen Schulen und das ständige Auspendeln der Bewohner die Identität kleiner Gemeinden gefährdet oder schon verlorengegangen ist. Aber welche Chancen hat ein Pfarrer in Orten, deren Leben unter der Woche tagsüber wie erloschen wirkt?

Norbert Pecha, Dechant im Wein-viertler Dekanat Ziersdorf, ist mit dem Lilienfelder Zisterzienser Edmund Tanzer für einen „Pfarrverband", bestehend aus sechs Pfarren (Ziersdorf, Fahndorf, Gettsdorf, Großmeiseldorf, Radibrunn, Rohrbach) und einer Filialgemeinde (Kiblitz) zuständig. Das bedeutet: jeweils zwei Vorabend- und drei Sonntagsmessen für jeden der beiden Geistlichen, Verantwortung für mehrere Kirchen und kirchliche Gebäude, eine aufgesplitterte Verwaltungsarbeit mit mehr Sitzungen (da jede Gemeinde ihren eigenen Pfarrgemeinderat hat), hoher Bedarf an Mitarbeit der Laien. Es kristallisieren sich in allen Gemeinden Ansprechpartner statt des nicht anwesenden Priesters heraus, sagt Pecha. Hauptamtliche Mitarbeiter bergen die Gefahr, daß sich die „Ehrenamtlichen" zurückziehen. Das Hauptproblem seien die Gottesdienste, sagt Pecha, der mit den Wochentagsmessen auf 550 Eucharistiefeiern im Jahr kommt.

Insgesamt hat er mit seinem „Pfarrverband" in 20 Jahren recht gute Erfahrungen gemacht. Eine Voraussetzung für ein Gelingen sei, daß man - wie er mit seinem Mitbruder Edmund Tanzer, der zwei Gemeinden als Pfarrer vorsteht und die Kinder- und Jugendarbeit übernommen hat - „auf einer Wellenlänge" liege und das Gebiet geographisch überschaubar sei. In seinem Fall liegen alle Orte im Umkreis von sechs Kilometer von Ziersdorf, alle gehören zu einer Marktgemeinde und einem Schulsprengel, weshalb einander viele aus den einzelnen Gemeinden gut kennen. Daß der Meß-besuch nachläßt (er reicht von 20 Prozent im Markt Ziersdorf mit 1.500 Einwohnern bis zu 70 Prozent in der 180-Seelen-Ortschaft Fahndorf), macht Dechant Pecha Sorgen, aber er ist sich sicher: „Die Quantität sinkt, aber die Qualität steigt."

Auf ein anderes Modell als den

„Pfarrverband" hat sich die Diözese Linz eingelassen, auf den „Pfarrassistenten", den es bereits in neun oberösterreichischen Gemeinden gibt, zweimal - in Steyrermühl und Linz-St. Margarethen - sogar in Form einer Frau. Der „Pfarrassistent" nimmt alle Aufgaben eines Pfarrers in Verwaltung und Seelsorge wahr (inklusive Vorsitz im Pfarr gemeinderat), der nominelle Pfarrer - sonst auswärts tätig - vollzieht nur jene sakramentalen Handlungen, die Priestern vorbehalten sind.

umdenkprozess eingeleitet

Herbert Mitterlehner, seit dem Vorjahr Pfarrassistent in Hofkirchen an der Trattnach (davor neun Jahre in Neuhofen im Innkreis), hat als Diakon, der Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse halten darf, noch mehr Möglichkeiten als seine Kollegen. Nach der Ausbildung am Wiener Seminar für kirchliche Berufe arbeitete er als Pastoralassistent in Laakir-chen, ehe er eines Tages zum Linzer Generalvikar, Josef Ahammer, ging: „Ich sagte zu ihm, ich könnte mir vorstellen, allein eine Pfarre zu übernehmen, er sagte: ,ich auch'."

Dem Zölibat mißt Mitterlehner, dessen Frau Waltraud Pastoralassistentin und Religionslehrerin ist, einen „sehr hohen Wert nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Gesellschaft" bei, er fühlt sich aber durch seine Erfahrungen in der Meinung bestärkt, daß der Zölibat nicht verpflichtend sein sollte. Dem Argument, ein Eheloser sei eher verfügbar, hält er entgegen, daß seine drei Kinder ihm Zugänge zu anderen Familien, auch zu „Fernstehenden", ermöglichen, die vielleicht sonst nie zustandekämen. Er habe nicht den Eindruck, daß sie unter seiner Funktion leiden - als sich die Frage stellte, ob die Familie ins Pfarrhaus einziehen solle, hätten die Kinder einhellig für das Pfarrhaus plädiert.

Im Modell des „Pfarrassistenten" sieht Mitterlehner Zukunft, da es einen Umdenkprozeß in der Hierarchie und in den Gemeinden einleite. Er werde auch von den „Konservativen" akzeptiert, seines Wissens hätten auch seine beiden Kolleginnen in der Diözese keine Probleme. In einer geschwisterlich orientierten Kirche ließen sich in den Gemeinden sicher noch viele Männer und Frauen mit großen, für die Kirche

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