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Wer die Musikanten bezahlt.

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Der 6. österreichische Studenten- tag hat in seiner Forderung nach der vollen Hochschulautonomie unter anderem die „finanzielle Autonomie“ der Hochschule herausgestellt und dazu unter anderem die Finanzhoheit, die Schaffung eines Hochschulfonds und die Steuerfreiheit für Hochschulstiftungen und Spenden. Seit dem Hochschulorgand- sationsgeseta 1955 besitzen in Österreich die einzelnen Hochschulen wieder Vermögensfähigkeit und Rechtspersönlichkeit, was es hierzulande seit der Aufklärungszeit nicht gegeben hat. Die Ausgestaltung der damit gegebenen Möglichkeiten ist denkbar und ratsam. Die Vorstellung, die Verwaltungsautonomie der Hochschulen könnte durch Stiftungen und Spenden aus Kreisen der Industrie und Wirtschaft erheblich verfestigt und damit vom Staat mehr unabhängig gemacht werden, dürfte unter den österreichischen Verhältnissen nicht zu hoch geschraubt werden. Aus der Hochschulgeschichte der Vereinigten Staaten wissen wir zudem, daß die Hochschulen oft dort die größten Einbußen an ihrer wissenschaftlichen Autonomie erfahren haben, wo Foundations und Clans des industriellen Systems völlig unkontrolliert imstande gewesen sind, mit Hilfe ihrer finanziellen Zuwendungen der Forschung und Lehre die Richtung zu geben. Denn wer die Musikanten bezahlt, dem gehört der Tanz. Das Problem unserer Zeit besteht aber ganz und gar nicht darin, das Bildungssystem in eine noch größere Abhängigkeit zu Industriesystem der Technokraten zu bringen. Ganz im Gegenteil: Es müßte das vorherrschende Industriesystem durch ein besser ausgestattetes Bildungssystem ausgewogen werden.

Im eigentlichen Sinn kann das nur unter der Sachwalterschaft eines freiheitlich orientierten Staates geschehen, für den diese Ausgewogenheit von allergrößter Bedeutung ist.

Die wissenschaftliche Autonomie

Seit dem Entstehen der Universität Paris, also seit dem 12. Jahrhundert, ist die Frage nach dem jeweiligen Ursprung der licentia docendi im Gange. Im Gegensatz zu den restriktiven Vorschriften in Frankreich, Deutschland und anderen Ländern erlangt in Österreich der die Lehrbefugnis, den die Mehrheit des Professorenkollegiums seiner Hochschule oder seiner Fakultät dafür für geeignet erachtet. Das formale Bestätigungsrecht des Staates ist praktisch nicht mehr als eine behutsame Nachprüfung der formalen Prozedur. Solange es eine moderne Hochschulverwaltung in Österreich gibt, hat der Staat noch niemals eine facultas docendi verworfen, die ein Professorenkollegium rechtens zuerkannt hat.

Von der Lehrbefugnis muß die eigentliche Lehrfreiheit unterschieden werden. Sie besteht zunächst in der Freiheit von jeder autoritativen Bevormundung, insbesondere vo’n den staatlichen. Die Lehrfreiheit kann nicht in dem bestehen, was in einzelnen Revolten gefordert worden ist, nämlich in der Möglichkeit, daß sich jedermann des Katheders bemächtigt, um von seiner vermeintlichen Freiheit Gebrauch zu machen. Die Lehrfreiheit würde in kürzester Zeit zugrunde gehen, wenn die Katheder nicht mehr Lehrkanzeln für die wissenschaftliche Fachvertretung wären, sondern Kanzeln zur Predigt der Ideologien.

Für die wissenschaftliche Autonomie ist die Situation in der pluralistischen Ordnung, wo diese in Europa und in der Welt einigermaßen gewährleistet ist, von der größten Bedeutung. Weil sich die wissenschaftliche Autonomie in einer pluralistischen Gesellschaft vollzieht, kann sie nicht grenzenlos sein. In den jetzt in Gang befindlichen Reformgesprächen werden folgende Grenzen der wissenschaftlichen Autonomie und der Lehrfreiheit sichtbar:

In methodischer Hinsicht dort, wo bei der Unterscheidung des Gesicherten von dem, was bloß vermutet wird, die wissenschaftliche Einsicht maßgeblich ist.

Bei der Fachvertretung soll der Geltungsbereich des durch eigene Forschung und Kenntnis Fundierten und mit wissenschaftlicher Verantwortung Vorgebrachten nicht überschritten werden.

Die Achtung vor der Weltanschauung und der Religion und das Recht jedes Menschen zur ver- antwortlidhan Entscheidung sind zu schützen.

In politischer Hinsicht wird das Recht zur Kritik an den legitimierenden Ideen und Ordnungen in Staat und Gesellschaft unter allen Umständen zu gewährleisten sein.

Aber die Lehrfreiheit dürfte in der Demokratie dem Staatsbürger, der zugleich Wissenschaftler ist, nicht eine Art von privilegiertem Denkmalschutz gegenüber anderen Staatsbürgern verleihen. Daß Staat und Gesellschaft Hochschulen errichten, damit Lehrer lehren und Schüler lernen, ist eine Binsenweisheit; daß sie heute ernsthaft bestritten wird, kennzeichnet die Krise unter den Lehrenden wie unter den Lernenden.

Die Verbindung von Forschung und Lehre

Der 6. österreichische Studententag hat die Trennung von Forschung und Lehre verlangt. Damit geraten die Reformabsichten auf ein sehr umstrittenes Gebiet, An diesem Punkt hakt die Forderung in Vorbilder der Vergangenheit ein, die in Österreich im Polizeistaat bestanden haben, der diese Trennung durchgeführt hat, um die Universitäten zu „Lyzeen“ für Fachexperten zu degradieren. Diese Tatsache hindert natürlich nicht daran, daß sich die Hochschulen mit der Errichtung reiner Forschungsanstalten, die ihnen der Staat oder andere Institutionen zu geben hätten, einverstanden erklären, sofeme nicht mit solchen sehr zweckorientierten Giebigkeiten die Ausstattung der Hochschulen im allgemeinen vermindert und hintangestellt wird.

Folgende Linie wäre denkbar: Es gibt wohl Forschung ohne damit verbundene Lehre, nicht aber akademische Lehre ohne Forschung. Und noch eins: Denkbar wäre Forschung und Lehre an Hochschulen „ohne Abzweckung auf Berufsausbildung“, aber keine akademische Berufsausbildung ohne jede Verbindung mit Forschung und Lehre. Das amerikanische Produkt des „illiterate intellectual“ möge hierin als Warnung dienen.

Die Verbindung von Berufsbildung und Wissenschaft

An der Dreiheit ForschungLehre Berufsausbildung wird heftig gerüttelt. Eine gewisse Zweigeleisigkeit wird hierin unumgänglich sein:

Erstens die Heraushebung und besondere Ausstattung der auf das Doktorat gerichteten wissenschaftlichen Studien. Dessen bedarf es zur Erhaltung des Ranges der Wissenschaften und zur Hebung der Geltung der akademischen Grade. Alle Tendenzen, die auf eine Liberalisierung im Graduierungswesen abzielen, münden in Depressionsgebieten des Hochschulwesens.

Zweitens die Ausrichtung jener Studien, die einer beruflichen Fachausbildung dienen, auf diese Berufsausbildung und auf die künftige Berufsarbeit. Trotz gewisser Ansätze fehlt es hierin noch an der Entschiedenheit und Zweckmäßigkeit der begonnenen Reformmaßnahmen. Sowohl die Hochschüler als auch die Gesellschaft haben an diesem Punkt berechtigte Ansprüche anzumelden, die im Interesse der Qualität der Berufsausbildung Priorität haben müßten.

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