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Arbeitskräftemangel: Wer pflegt uns, wenn wir alt sind?

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Private Pflegeheime schlagen Alarm: Ohne Arbeitsbewilligungen für Ausländer muß der Betrieb reduziert werden.

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Private Pflegeheime schlagen Alarm: Ohne Arbeitsbewilligungen für Ausländer muß der Betrieb reduziert werden.

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Etliche Österreicher, die dieser Tage - wie in den Jahren zuvor - ältere Verwandte über den Sommer in einem Pflegeheim unterbringen wollen, könnten heuer eine unangenehme Überraschung erleben. Pflegeplätze sind rar geworden, und nun melden private Pflegeeinrichtungen, insbesondere die Caritas, daß bald Pflegebetten leer bleiben müssen. Grund: Personalmangel. Halbwegs qualifiziertes inländisches Personal ist kaum zu bekommen, ausländische Arbeitskräfte, auch solche mit entsprechender Ausbildung, erhalten meist keine Arbeitsbewilligung.

Caritas-Präsident Helmut Schüller (siehe auch Interview auf Seite 9) übt an dieser Haltung der Arbeitsämter heftige Kritik: „Hier wird Politik auf dem Buckel der Aufbaugeneration gemacht. Das sind genau die Leute, die wir in den Portisch-Filmen sehen dürfen, die damals Österreich aufgebaut haben - die liegen jetzt in den Pflegebetten.” Und diese Menschen erhalten nun unter Umständen gar kein Pflegebett oder werden zwangsläufig schlechter als bisher betreut, weil das Personal, wenn überhaupt, nur mit Überstunden-Streß den Vollbetrieb aufrechterhalten kann.

Christine Gruber, in der Caritas im Raum Wien mit der Bereichsleitung für stationäre Altenbetreuung betraut, hat Erfahrungen mit elf Häusern - acht davon haben eine Pflegestation -, in denen etwa 500 Mitarbeiter für über 1.000 Bewohner, davon 600 ständig pflegebedürftige, da sind. Der Mangel an Inländern in der Altenpflege ist in ihren Augen ein gesamteuropäisches Problem. Der Altenbereich habe zwar ein wenig an Attraktivität gewonnen, aber das diplomierte Personal wende sich lieber dem Spitalsbereich zu.

Im Pflegebereich habe die Wiener Caritas derzeit 16 unbesetzte Dienstposten zu verzeichnen, sagt Christine Gruber: „Momentan laufen sechs Anträge um Arbeitsbewilligung für Ausländer, davon wurden vier abgelehnt, und wir haben dagegen berufen.”

Als Begründung für die Ablehnungen werde angegeben, die Quote sei erschöpft oder die Qualifikation der Leute reiche nicht aus. Es kommt auch vor, daß Arbeitskräfte, unlängst eine philippinische Pflegehelferin, in Wien abgelehnt werden, obwohl in einem anderen Bundesland schon eine Arbeitsbewilligung vorlag.

Nur genau definierte Mangelberufe - zum Beispiel: diplomierte Krankenpfleger - werden nicht in die Neun-Prozent-Quote für ausländische Arbeitskräfte einbezogen, der „Pflegehelfer” wird nicht anerkannt. Und obwohl etliche ausländische Flüchtlinge, die eigens eingeführte und ab 1. Jänner 1996 obligate „Pflegehelfer”-Ausbildung (Gruber: „Auch die bisherigen Mitarbeiter müssen zum Teil noch auf diesen Standard gebracht werden”) mit Erfolg absolviert haben, erhalten sie keine Arbeitserlaubnis. Diplomierte Krankenpfleger geraten mitunter in einen Teufelskreis: Die Arbeitsbewilligung hängt vom „Nostrifizieren” ihres Diploms ab, die Nostrifikation aber davon, daß der oder die Betreffende schon einen Arbeitsplatz hat...

Mit ähnlichen Problemen kämpft zum Beispiel auch das Wiener „Haus der Barmherzigkeit”, wo 580 Mitarbeiter rund 600 Menschen, meist besonders pflegebedürftige, betreuen. „Erklären Sie das einem Angehörigen, wenn bei uns Betten leer sind”, umreißt Direktorin Brigitte Draxler den Ernst der Lage. Von den letzten 13 Anträgen wurden fünf abgelehnt, mit Ende Juni scheiden zehn Leute aus, sollten die zehn diesbezüglichen Anträge nicht bewilligt werden, müssen ab diesem Zeitpunkt Betten gesperrt werden.

Auch die Caritas wird spätestens im August Stationen schließen müssen, wenn ihre nächsten zehn Anträge nicht genehmigt werden. Aufgrund der demographischen Entwicklung - Steigen der Lebenserwartung, immer mehr Singles ohne Familie - ist abzusehen, daß sich das Problem von Jahr zu Jahr verschärfen wird. Christine Gruber sieht wenig rosige Zeiten anbrechen: „Wenn das so weitergeht, werden die Leute, die pflegebedürftig sind, vermehrt Spitalsbetten belegen oder - oft ohne familiäre Pflege - zu Hause dahinvegetieren.” Eine weitere Möglichkeit wäre, daß sich der Schlüssel Pflegepersonal: Patienten - derzeit in den Häusern der Caritas etwa 1 : 2,1 - dramatisch verschlechtert, zu Ungunsten aller Betroffenen.

Für Caritas-Chef Helmut Schüller eine sehr bedenkliche Entwicklung: „Hier bahnt sich etwas an, was ich vor Jahren schon vorausgesagt habe, langsam bilden sich jene Gruppen heraus, auf deren Buckel man leichter Politik machen kann, zunächst eine ganze Beihe von Ausländern, jetzt die pflegebedürftigen alten Leute.”

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