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Wer teilt, erlebt innere Befreiung

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Das soziale Klima werde spürbar rauher, diagnostiziert michael landau. viele helfen weniger gern. man spricht vorschnell von sozialschmarotzern.

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Das soziale Klima werde spürbar rauher, diagnostiziert michael landau. viele helfen weniger gern. man spricht vorschnell von sozialschmarotzern.

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dieFurche: Sie waren Student in Rom Wie wird man da plötzlich Caritas-Direktor in Wien?

Landal: Fragen Sie Helmut Schüller. Er könnte besser antworten, weil er sowohl mich als auch die Aufgabe gut kennt. Ich habe ihm offen gesagt, was ich meiner Ansicht nach gut kann und was nicht. Er hat verschiedene Optionen erwogen. Im September fiel dann die Entscheidung. Seit Dezember habe ich die Aufgabe übernommen dieFurche: Welche Herausforderung sehen Sie vor allem in dieser Tätigkeit? landau: Eine doppelte: An der Caritas-Arbeit kann deutlich werden, was Kirche ist. Der Ort der Kirche ist an der Seite jener, die schwach sind. Christus begegnet uns in besonderer Weise in den Notleidenden. Der Auftrag Christi, auf Not zuzugehen, ist mehr als nur das Sammeln von Geld. Es gilt zwar handfeste Probleme handfest zu lösen, aber das soll so geschehen, daß wir es im Blick auf den ganzen Menschen tun. Die andere Dimension: Die Caritas ist eine Nahtstelle zwischen Kirche und Gesellschaft. Wir wollen nicht nur Symptome der Not bekämpfen, sondern auch deren Ursachen.

dieFurche: Für viele ist die Caritas ein effizienter Sozialdienst...

Landau: Es ist notwendig, Aufgaben professionell, also mit Sachkenntnis zu lösen. Aus den Gesprächen, die ich bis jetzt geführt habe, weiß ich, daß unsere Einrichtungen tatsächlich mit Sachkenntnis vorgehen.

dieFurche: Die Caritas hat ein besseres Image als die Kirche. Wird zu wenig deutlich, daß Christen am Werk sind?

Landau: Viele Pfarren haben sehr viel in Bewegung gebracht: In unserer Diözese haben mehr als 200 von ihnen 3.000 Bosnier aufgenommen. All das droht jedoch, von den üblichen in der Kirche diskutierten Fragen verdrängt zu werden. Ich würde mir wünschen, daß die Dimension der Caritas in der Kirche deutlicher sichtbar wird. Jedenfalls kann man Caritas und Kirche nicht auseinanderdividieren.

dieFurche: Aufwelcher Ebene wirddie Caritas hauptsächlich aktiv?

Landau: Auf diözesaner Ebene gibt es etwa elf Häuser für obdachlose Menschen. Oder: DerBahnhofs-Sozialdienst hat im Vorjahr 8.000 Beratungsgespräche geführt. Er ist rund um die Uhr offen. Zwei Busse gaben im Vorjahr mehr als 70.00,0 warme Mahlzeiten aus. Ein Bus versorgt Menschen ohne Krankenschein. Vieles kann nur auf diözesaner Ebene wahrgenommen werden. Aber auch in den Pfarren wird sehr viel geleistet: etwa in der Sorge für obdachlose und ältere Menschen. Die Zusammenarbeit zwischen den Stellen auszubauen, wird mir ein Anliegen sein.

dieFurche: Was könnte das heißet

Landau: Wir bauen jetzt mobile Dienste aus: um ältere Menschen in ihren eigenen vier Wänden zu betreuen, um Menschen, die auf den Tod zugehen, und ihre Angehörigen daheim zu begleiten, um Familien, die Hilfe brauchen, beizustehen. Besonders bei älteren Menschen gibt es viel Einsamkeit. Da können die Pfarren mit Besuchsdiensten viel Gutes tun. Aber manches braucht auch eine professionelle Unterstützung, die von diözesanen Caritas-Stützpunkten beigesteuert wird. Auch bei der Sorge um obdachlose Menschen können beide Ebenen zusammenspielen ... Jetzt im Winter frage ich mich, ob man nicht überlegen sollte, kirchliche Gebäude für die Unterbringung von Obdachlosen zu öffnen. Da müssen wir mutiger werden...

dieFurche: Wie fühlt man sich, wenn man ohne ökonomische Erfahrung, eine so große Einrichtung leiten solL?

Landau: Es ist schon viel kaltes Wasser, in das ich springe. Zu den Gemeinsamkeiten mit meinen Vorgängern gehört aber, daß wir alle drei vorher nichts Ökonomisches gemacht haben.

dieFurche: Sind Sie ein guter Manager? Sollten Sie es sein?

Landau: Ich bin in der angenehmen Si -tuation, einen sehr guten Manager als Generalsekretär zu haben. Für zwei Bereiche bin ich neben der Leitung nach innen und außen besonders zuständig: Die Flüchtlings- und die offene Sozialarbeit. Auch die geistliche Begleitung wird eine wichtige Dimension meiner Arbeit sein. Daher nehme ich mir viel Zeit für persönliche Gespräche.

dieFurche: Wieviele Leute sind Ihnen anvertraut?

1.400 haupt- und 300 ehrenamtliche Mitarbeiter. Gott sei Dank sind sie sehr kompetent und machen ihre Arbeit mit viel Liebe. Ich habe schon in den ersten Wochen viel gelernt. Leuten zu begegnen, die nichts haben, das hat mich betroffen gemacht. Da stellt sich mir plötzlich die Frage nach der Gerechtigkeit neu.

dieFurche: Was haben Sie entdeckt?

Landau: Ich denke noch darüber nach. Daher ist vieles schwer auszudrücken. Meine Erfahrungen sind eine Anfrage auch an meine Lebensgestaltung: Was heißt es heute, arm zu leben? Diese neue Aufgabe ist für mich ein Impuls mich neu zu fragen, was es für mich heißt, nach dem Evangelium zu leben. Eines habe ich auch erkannt: Es darf eine Gesellschaft nicht gleichgültig lassen, wenn Menschen auf der Straße leben. Ich spüre, daß es wichtig ist, sich für diese Menschen einzusetzen. Christus begegnet uns im Antlitz der Armen.

dieFurche: Ist die Caritas auch ein Ort der Verkündigung?

Landau: Einem Menschen in Not zu helfen, ist eine bessere Verkündigung als zu sagen, es wäre schön zu helfen. Die positiven Wirkungen in der Kirche sind stets von Heiligen ausgegangen, die damit angefangen haben, etwas zu tun: In Buhe, mit dem Vertrauen, daß aus dem kleinen Anfang etwas wachsen kann. Das ist der Weg, den die Caritas gehen sollte: In Buhe das die Not Wendende zu tun nach dem Beispiel Jesu und darauf zu vertrauen, daß dies in den Herzen der Betroffenen und jener, die das sehen, etwas verändern wird.

dieFurche: Wo wächst Ihrer Meinung nach heute die Not am stärksten?

Landau: Im Bereich des Materiellen ist die Situation der Obdachlosigkeit und der Arbeitslosigkeit besonders hervorzuheben. Meinem Eindruck nach wird das soziale Klima rauher. Man hilft weniger gern. Immer mehr Leute sagen, die Bedürftigen seien an ihrem Elend selbst schuld. Man spricht vorschnell von Sozialschmarotzern. Wir sind mit einer Verhärtung des Herzens konfrontiert. Die Gesellschaft schließt indigniert die Augen vor der Not. Ich wünsche mir mehr Bereitschaft zum Teilen. Wer teilt, erfährt, daß er etwas dazugewinnt: Eine neue Dimension von Sinnhaftigkeit, von Freiheit. Teilen schenkt innere Freiheit und neue Gemeinschaft.

dieFurche: Merkt man die Verhärtung auch beim Spendenaufkommen?

Landau: Wro es gelingt, Notsituationen sichtbar zu machen, dort sind die Menschen bereit zu helfen, etwa bei „Nachbar in Not". Bei der Inlandsarbeit ist es schon schwieriger. Die Zahl der Menschen, die uns durch Spenden helfen, ist allerdings nicht gesunken. Übrigens sind Menschen, die selbst nicht viel haben, oft sogar hilfsbereiter...

dieFurche: Und die nicht materielle Not?

Landau: Es ist viel geistige und geistliche Not da. Man versteht den Menschen heute zunehmend von seinem Besitz her. Die Frage nach dem Sinn wird ausgeblendet. Viele sind auf der Suche nach Gemeinschaft. Heute ist es wesentlich, seine Zeit zur Verfügung zu stellen, bereit zu sein, auf andere zuzugehen. Das ist Caritas.

dieFurche: Wollen Sie das zukünfiig bei Ihrer Arbeit betonen?

Landau: Die Frage nach dem Sinn und nach dem Menschen bewegt auch die Mitarbeiter der Caritas. Da ist Gespräch und Austausch untereinander gut, aber auch eine intensive geistliche Begleitung. In Bom habe ich erlebt, daß Gemeinschaften, die geholfen haben, stets auch Zeiten des gemeinsamen Gebetes hatten. Das müssen wir beachten. Für den Helfer kann es eine Versuchung sein, nicht auf das zu achten, wovon er selbst lebt. Es ist gut, Erfahrungen auszutauschen, gut, miteinander die Messe zu feiern, miteinander zu beten. Es ist nicht gleichgültig aus welchem Geist man etwas tut.

Mit Dr. Michael

Landau sprach Christof Gaspari

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