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Werden zuviel Bücher produziert ?

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Ganz offensichtlich ja; denn die Regale der Buchhandlungen sind vollgestopft bis zum Rande, die Lager der Verlage ebenso — und zweimal im Jahre geschieht es nach einem alten Brauch, der sich immer wiederholt, daß die Verlage und die Buchhandlungen mehr oder w’eniger umfangreiche — meist sehr stattliche — Mengen ver- lteter, regulär nicht mehr absetzbarer Bücher als sogenanntes „modernes Antiquariat" zu stark ermäßigtem Preise unters Volk werfen — soweit sich Bücher werfen lassen, muß man hinzufügen, denn auch bei auf ein Minimum reduziertem Preise werden dann noch längst nicht alle Bücher an Mann, Frau oder Kind gebracht Und davon, daß es noch Reisebuchhandlungen, Versandbuchhandlungen und Buchgemeinschaften gibt, wollen wir hier nicht reden.

Jedes Jahr gibt es auf dem Gebiete der schöngeistigen Literatur — nur von ihr wollen wir sprechen — ein paar große Erfolge, einige weitere mittlere dazu. Doch die beträchtliche Fülle der vielen, vielen, viel zu vielen anderen Titel zehrt an der Substanz der Verleger, stiftet Aerger und Verdruß zwischen Sortiment und Verlag und wird vom Buchkäufer gar nicht beachtet. Ob der belletristische Verlag nicht endlich einmal auf den Trichter kommt, statt immer wieder mit Fleiß, Anstrengung und vielfältiger Gewissenhaftigkeit, vor allem aber auch mit beträchtlichen Summen Geldes oder teuren Kredites hergestellte Bücher in den Ramsch zu werfen, von Anfang an strenger und klüger auszuwählen und den großen Leerlauf wenigstens teilw’eise zu stoppen? Zu wünschen wäre es wohl; aber wer fängt an? — und wenn fünf Dutzend Verlage sich darauf einigen, es zu tun, wird der einundsechzigste das zum Anlaß nehmen, um mit einer ums Mehrfache gesteigerten Produktion in die vermeintliche Lücke einzudringen. Natürlich würde er dabei scheitern; aber die Angst, daß einer so handeln könnte, sitzt allen Beteiligten derart in den Knochen, daß keiner mit der Produktionsbeschränkung anzufangen wagt.

Die Buchmühle müllert bei Tag und bei Nacht und wirft Auflage für Auflage auf den Markt. Der babylonische Bücherturm wächst und wächst. Und wir sind närrisch genug, die wirklich erstaunlich hohen Zahlen der jährlich ansteigenden Büeherpfoduktion zum Maßstab der Kulturhöhe unseres Volkes zu nehmen, während allein richtig doch wohl nur sein könnte die tatsächliche Absatzziffer. Aber selbst diese Zahlen sind nicht in der Lage, den Stand der Entwicklung zuverlässig auszudrücken. Schauen wir genau zu: Der Gesamt umsatz an Büchern, der in Westdeutschland übers Sortiment gelaufen ist, betrug im Jahre 1949 knapp 600 Millionen DM, er stieg im Jahre 1950 auf 603, 1951 auf 722 und 1952 auf 818 Millionen. „Ansteigende Konjunktur!" rufen die Schlauen — und die Werbestellen und ähnliche Institutionen ereifern sich, den Erfolg ihrer beflissenen Bemühungen und immerwährenden Anstrengungen sich gegenseitig zum Lobe vorzurechnen. Und dabei verrechnen sie sich alle miteinander. Nehmen wir uns eine andere Zahlenreihe vor! Nach der amtlichen Statistik hat die beliebte Normalfamilie in Deutschland im Jahre 1950 rund 7,3 Prozent ihres gesamten Etats für Bildung und Unterhaltung, in welche Rubrik neben Theater, Konzert und Kino auch das Buch gehört, ausgegeben. Damals hieß es, der Anteil dürfte in den kommenden Jahren noch steigen, denn damals hatten sehr viele Haushaltungen, die heute schon wieder wenn nicht normal, so annehmbar eingerichtet sind, noch allerlei notwendigste Bedarfsanschaffungen durchzuführen. Heute sind wir fast alle um etliche Bezüge besser ausgestattet als 1950 — neben dem Radio ist der Eisschrank eingezogen und manches andere dazu —; aber wie sieht es denn jetzt aus? Sie werden sich wundern: die geliebte Normalfamilie gab 1952 nur noch 5,3 Prozent für Bildung und Unterhaltung aus, während der Anteil der Genußmittel im Haushaltsetat sich von 6 Prozent (1950) auf 14,9 Prozent (1952) erhöht hat und die Anteile Hausrat, Bekleidung, Körperpflege und Verkehr zum Teil ansehnlich gestiegen sind. Die Umsatzsteigerung auf dem Buchmarkt ist also höchst relativ — sie ist lediglich im Zuge der Steigerung des gesamten Volkseinkommens erfolgt

— vom Anteil des tatsächlichen Einzelverbrauchets her aber nicht unbeträchtlich gesunken.

Das „deutsche Wirtschaftswunder" ist eine große und schöne Sache — ganz gewiß. Aber haben wir nicht sehr ernsten Anlaß, darüber nachzudenken, wieso diese Aufbesserung unseres Einkommens überwiegend der materiellen Besserstellung unserer Lebensführung zugute kommt und

— die Zahlen beweisen es — eine’ Senkung unseres persönlichen Bildungshedarfes von einem Jahre aufs andere um volle 2 Prozent zur Folge hat?

Und wie steht es mit dem Anteil der öffentlichen Bildung? Im Haushalt des Landes Bayern macht der gesamte Bildungsetat knapp 0.2 Prozent aus. Niedriger — das darf man wohl getrost behaupten — geht es nicht mehr. Es liegt noch eine schwere Aufgabe vor dem Buchhandel und vor all denen, die den Geist noch für unentbehrlich zur menschlichen Existenz halten

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