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Wie kann der Bürger Politik machen?

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Werden Fernsehduelle die Wahl entscheiden? Sie sind jedenfalls nicht der Ort, Grundfragen des gesellschaftlichen Umfeldes klarzustellen, etwa jene, welche Stellung die Parteien dem einzelnen Bürger zusgestehen.

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Werden Fernsehduelle die Wahl entscheiden? Sie sind jedenfalls nicht der Ort, Grundfragen des gesellschaftlichen Umfeldes klarzustellen, etwa jene, welche Stellung die Parteien dem einzelnen Bürger zusgestehen.

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An zwei Einzelfragen sei geprüft, ob und wie subsidiäre Gesichtspunkte in den jeweils neuesten Programmen der im Parlament vertretenen Parteien berücksichtigt sind. Zunächst sei die Frage nach der Durchsetzung des Bürgerwillens gestellt.

Der normale demokratische Weg, um herauszufinden, was der Bürger will und wem er die Verwirklichung seiner Vorstellungen zutraut, sind Wahlen. Die repräsentative Demokratie bindet dieses Verfahren an wahlwerbende Gruppen, die ihrerseits Programme und Personenlisten anbieten, und an quantitative Umsetzung der Wählerstimmen in Mandate. In der Begel wird der einzelne Bürger sich nicht zur Gänze mit einem Programm identifizieren können. Mit einer Stimme kann er aber nicht differenzieren. Er wird vielleicht zum Wechselwähler. Bieten die Parteien andere Möglichkeiten der Mitwirkung an?

■ Für die SPÖ ist zwar der Bürger Träger des demokratischen Meinungsbildungsprozesses, aber die Partei Instrument der politischen Partizipation, und das Ziel eine sozialdemokratische Gesellschaftsordnung. Vertrauensleute der Partei wirken daher an der Selbstorganisation der Bürger mit. Nicht zufällig ist das „wir", das fordert und verspricht, einmal die SPO, die Bewegung, dann wieder der Staat oder auch die Regierung. Rechte auf Bürgerbeteiligung dürfen nicht zur Lähmung der demokratischen Gemeinschaft' führen.

■ Die ÖVP gibt das christlich-humanistische Menschenbild eher als Rahmen denn als Ziel vor. Selbstverantwortung führt zu Mitverantwortung in einer partnerschaftlichen Gesellschaft, die von (nicht nur wirtschaftlicher) Leistung und sozialem Ausgleich geprägt ist. Bürger sollen zwar an allen lebensbestimmenden politischen Vorgaängen teilnehmen, direkte demokratische Mitwirkung ist aber auf Grundsatzfragen beziehungsweise Fälle unmittelbarer Betroffenheit beschränkt.

■ Die Freiheitlichen möchten das Volksbegehren zu einem verbindlichen Volksentscheid aufwerten und jede parteipolitische Abhängigkeit verhindern.

■ Die Grünen sind für Erweiterung und Personalisierung der Gestaltungsmöglichkeiten der Bürger durch jährliche Volksabstimmungen, leichteren Zugang zur Wahlbewerbung, Vorzugsstimmen, Direktwahl von Kandidaten aus einer nicht gewählten Liste, freies Mandat, Demokratisierung in allen Institutionen. Bürgerinitiativen ohne legalen Rahmen, wie ziviler Ungehorsam, gewaltloser Widerstand und außerparlamentarische Opposition werden in Aussicht genommen.

■ Das Liberale Forum tritt für ein Maximum an Mündigkeit und politischer Handlungsfreiheit der Menschen ein. Das Wahlrecht muß auch kleinen Gruppen Chancen bieten. Mehrheitsentscheidungen aus laufender politischer Arbeit können regelmäßig nur durch Wahlen korrigiert werden, fallweise auch durch Formen direkter Demokratie, die der Initiative von Bürgern, nicht der Planung der Parteien entspringen sollen.

Als zweite Frage sei jene, nach den Ebenen des politischen Wirkens gestellt: In unserer politischen Landschaft kennt das System der Aufgabenteilung einen Stufenbau: einzelne - Partnerschaften beziehungsweise Lebensgemeinschaften und Familien - Gemeinden (eventuell mit Wohnvierteln und Bezirken) - Bundesländer (gegliedert in Bezirkshauptmannschaften) - Gesamtstaat - EU, UNO. Kompetenzverteilung zugunsten der bürgernäheren Ebene wäre subsidiaritätsgemäß. Was sagen die Parteiprogramme dazu?

■ Subsidiarität als Begriff kommt bei der SPÖ nicht vor. Obwohl sie die Lösung von Problemen der Fähigkeit der Menschen zum gesellschaftlichen Handeln, ihrer verantwortlichen individuellen Haltung und ihrer über die unmittelbaren Interessen hinausgehenden Einstellung zutraut, erteilt sie dem reduzierten liberalen Staat eine Absage. Und obwohl sie den starken Staat konservativer, gar autoritärer Konzepte nicht wünscht, läßt sie doch den Staat die Richtung der Entwicklung angeben, sieht sie ihn in der Wirtschaft als zentrales Instrument zur Verwirklichung sozjaldemokratir scher Vorgaben. Die internationale Politik unseres Landes soll die weltweiten Ziele der Sozialdemokratie erfüllen helfen. Integration auf regionaler Ebene wird dem Multinationa-lismus zugeordnet.

■ Für die ÖVP ist staatliche Hilfe zuerst Hilfe zur Selbsthilfe, selbst international hat der einzelne Mensch noch als Weltbürger Bedeutung (wenn auch keine funktionelle). Die partnerschaftliche Gesellschaft löst ihre Probleme zunächst in kleinen Gemeinschaften, in ihr wird Verantwortung nicht auf anonyme Institutionen abgeschoben. In einer sinnvollen Aufgabenteilung, auch in Europa, zählen Beschränkung staatlicher Macht und Verwaltung, Föderalismus und Gemeindeautonomie, allgemein Denzentralisierung.

■ Die Freiheitlichen gesteht den einzelnen Vereinsfreiheit (keine Zwangsmitgliedschaft in Interessenvertretungen), größere Unabhängigkeit (durch Begünstigung von Eigen-kapitalbildung, Wohnungseigentum) und mehr Eigenverantwortung (private Vorsorge) zu, will staatliche Aufgaben privatisieren, die Kompetenzen Brüssels beschneiden, aber auch mehr institutionelle Kontrolle ausüben lassen (zum Beispiel durch den Rechnungshof).

■ Nach Vorstellung der Grünen ist die unterste Ebene, das heißt die Betroffenen, zu stärken: Beratung, Parteienstellung, Kontrollmöglichkeiten, zum Beispiel in Umwelt- und Baufragen, Förderung selbständiger Lebensgestaltung, von Selbsthilfegruppen und so weiter. Voraussetzung ist Öffentlichkeit aller Daten, Konzepte, Vorgänge und Entscheidungen. Zur Durchsetzung der gesellschaftlich wünschenswerten Ziele werden jedoch staatliche Einrichtungen jeder Art (Lenkungsmaßnahmen, Behörden) vorgeschlagen. Das wichtige Instrument des innerstaatlichen Finanzausgleichs soll von unten nach oben organisiert werden. National nicht zu lösende Probleme sind zu internationalisieren.

■ Das Programm des Liberalen Forums ist direkt in die subsidiäre Struktur Mensch - Gesellschaft -Staat - internationale Gemeinschaft gegliedert und bezieht sich wiederholt ausdrücklich auf das Subsi-diaritätsprinzip. Größtmögliche Freiheit für den vernunftgeleiteten einzelnen, kleinere Lebenskreise als primärer Ort sozialer Verantwortung, Hilfe zur Selbsthilfe (auch in der Entwicklungspolitik), überschaubare Strukturen, Wettbewerb in allen Bereichen, Verlagerung der Steuerhoheit des Bundes auf Länder und Gemeinden, Dezentralisierung (auch in der EU), Deregulierung, Bürokratieabbau sind einige Forderungen.

Die reale Politik stimmt mit den programmatischen Idealen oft nicht überein. Ob man das im Fall notwendiger Kompromisse akzeptiert, im Fall parteilichen Vordenkens kritisiert, ob man wegen der Undurchschaubarkeit vieler Vorgänge resigniert oder sich an den Ratespielen der Umfragen und Magazine delektiert, bleibt jedem einzelnen überlassen - eine Wahlfreiheit, die allerdings durch Manipulation eingeschränkt werden kann.

Der Autor ist

freier Publizist in Wien. Er verglich folgende Äußerungen: SPÖ: Der Entwurf für das neue Programm der österreichischen Sozialdemokratie (1995)

ÖVP: Uas neue Grundsatzprogramm der Volkspartei (1995)

F: 20 Punkte für den „ Virtrag mit Österreich" (1995)

Grüne: Leitlinien Grüner Politik (1990)

LIF: Das Programm (1994)

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