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Wie reich sind wir?

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Die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in Österreich findet ihren Niederschlag nicht nur in den mehr oder weniger konkreten Analysen der Presse und der anderen Massenmedien, sondern vor allem auch in der Sozialpsyche der breiten Öffentlichkeit. Es hat den Anschein, als ob auch in Österreich ein Grundgesetz der kapitalistischen Konjunkturphasen zum Tragen gekommen wäre; erst die Warnungen vor der Rezession, dann die Auseinandersetzungen über dieses Thema im Parlament, schließlich die Berichte über wirtschaftliche Probleme in den Nachbarländern haben dazu geführt, daß die Stimmung abflaute, die Investitionslust sank, die Unternehmerschaft abwartend reagierte und der Finanzminister davon sprach, daß der Gürtel enger zu schnallen sei.

Meinungsforschungsergebnisse

Schon im Sommer 1966 erforschte das Institut für empirische Sozialforschung (dessen Linkstendenz bekannt ist) die Meinung von jungen Arbeitern und Angestellten zwischen 14 und 18 Jahren. Auf die Frage, ob die Jugendlichen in 20 Jahren in Österreich glücklicher oder weniger glücklich sein werden als heute, antworteten 13 Prozent mit Ja, jedoch 42 Prozent mit Nein, während sich der Rest einen gleichbleibenden Zustand erwartete. Da anzünehmen ist, daß die Frage des Glücks im wesentlichein auch in bezug auf die wirtschaftlichen Erwartungen gesehen wird, dürfte die Haltung eines Teils der jungen Generation außerordentlich pessimistisch sein.

Im März 1967 erforschte im Rahmen einer Fernsehsendung ein Institut die Zukunftserwartungen von Österreichern im Wiener Wahlkreis VI, in Wien-Südost. Auf die präzise Frage, ob es in Österreich in den nächsten zwei Jahren besser-, gleich gut oder schlechtergehen würde, antworteten: besser 14 Prozent, gleich gut 38 Prozent, schlechter 43 Prozent, keine Angabe 5 Prozent.

In diesem Wahlkreis erhielt bei der letzten Wahl die SPÖ etwa die Hälfte der gültigen Stimmen, es kamn somit nicht von einer einseitig manipulierten politischen Vorstellung ausgegangen werden.

In anderen Wahlkreisen durchgeführte Untersuchungen brachten ähnliche Resultate: In Vorarlberg waren nur 7 Prozent der Meinung, daß die nächsten zwei Jahre besser, dagegen 45 Prozent, daß sie schlechter werden würden. Und im nieder- österreichischen Waldviertel war es nicht anders.

Die Meinungsforscher erkundigten sich jedoch auch nach den subjektiven Erwartungen der Wählet hinsichtlich ihrer persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse; dabei zeigte sich eine optimistischere Haltung als bei der allgemeinen Einschätzung der Zukunftslage. Bei den Vorarlbergern hoffen etwa 31 Prozent sich persönlich wirtschaftlich zu verbessern, im Wahlkreis Wien- Nordost sind es 27 Prozent.

Diese Diskrepanz beweist einmal mehr, daß die allgemeine Wirtschaftsentwicklung als etwas Exogenes angesehen wird, das sich mit den subjektiven wirtschaftlichen Erwartungen nicht a priori deckt.

So ist es daher erklärlich, daß die Investitionsneigung im abgelaufenen Jahr 1967 ebenso nachgelassen hat wie die Industrieproduktion; orientieren sich doch die Unternehmer nach den allgemeinen Erwartungen der Wirtschaftsentwicklung in bezug auf ihre Absatzchancen.

Nicht nachgelassen hat 1967 die allgemeine Konsumneigung, die die Meinungsforscher bestätigt. Die Masse der Lohnempfänger konsumiert vor allem deshaib, weil der einzelne für sich keine ernsten Gefahren sieht und die Wirtschaftsrezession nur allgemein- und nicht auf seinen persönlichen Bereich bezogen empfindet.

Noch lange keine Sättigung

So gesehen scheint eine Untersuchung über die vorhandene gehobene Konsumneigung in Österreich interessant. So besitzen 68 Prozent der Haushalte einen Kühlschrank und 54 Prozent einen Staubsauger. Erstaunlich ist, daß erst 50 Prozent aller österreichischen Haushalte entweder Badezimmer oder Duschnische besitzen, wenngleich der Prozentsatz in Wien erschreckend niedriger ist.

Statussymbol und Konsumgut an erster Stelle ist das Kraftfahrzeug: 36 Prozent aller österreichischen Haushalte verfügen über einen Pkw, 23 Prozent über ein einspuriges Kraftfahrzeug. Vergleicht man jedoch die Zahl der Kraftfahrzeuge, die 1937 in Österreich im Verkehr standen, so zeigt sich, daß im Personenverkehr eine Steigerung um das Zwanzigfache eingetreten ist, während sie in Großbritannien nur das Fünffache und in Belgien das Zehnfache ausmacht. Experten nehmen an, daß eine Sättigung an Kraftfahrzeugen voraussichtlich erst um die Mitte der siebziger Jahre ein- treten dürfte.

Rundfunk und Fernsehen

Rundfunk und Fernsehen sind in den österreichischen Haushalten mit 95 Prozent (Radioapparate) und mit 44 Prozent (TV-Geräte) vertreten. Der millionste TV-Teilnehmer wurde schon begrüßt. Im Vergleich mit anderen europäischen Staaten liegt Österreich hinsichtlich der Zahl der Rundfunkteilnehmer, trotz erheblieher territorialer Ubertragungsschwierigkeiten, etwa gleich gut wie Großbritannien, die Schweiz und Norwegen, aber besser als die reichen Niederlande, als Italien und alle Ostblockländer.

Ein Beweis mehr, daß der Konsumhunger latent vorhanden ist und von der Rezession nur schwach getroffen werden dürfte. Die Radio industrie etwa meldete in den letzten Monaten . einen starken Anstieg der Kaufabschlüsse im TV-Apparate- Geschäft, besonders vor den Olympischen Winterspielen in Grenoble.

Auch die Werbeagenturen, deren Primäraufgabe ja die Anheizung des Konsums ist, befürchten keine wesentlichen Rezessionserscheinungen, wenngleich gewisse Branchenver schiebungen Verlagerungen im Konsumgefälle sichtbar machen.

Wird also die „Konsumpeitsche” so stark sein, daß die Gesamtwirtschaft dadurch angekurbelt und das Wirtschaftswachstum beschleunigt wird? Man kann hoffen, daß die individuellen Erwartungen dazu führen werden, im Zyklus wieder eine Auftriebsphase zu erzeugen.

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