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Digital In Arbeit

Wir wollen Arbeit!

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Schreckensmeldungen über Rekordarbeitslosigkeit folgen wie immer die „Maßnahmenpakete" der Politiker. Die bekannten Rezepte reichen aber heute nicht mehr aus.

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Schreckensmeldungen über Rekordarbeitslosigkeit folgen wie immer die „Maßnahmenpakete" der Politiker. Die bekannten Rezepte reichen aber heute nicht mehr aus.

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Mit wohligem Grasein haben sich die Medien auf die Nachricht gestürzt, daß es Ende Jänner mehr als 300.000 Arbeitslose gab. Da ja bekanntermaßen nur eine schlechte Nachricht eine gute Nachricht ist, wurde dabei sehr konsequent übersehen, daß es gleichzeitig auch fast 5.000 Jobs mehr gab als vor einem Jahr. Wenige Monate davor hatten sich Job-Verlust und Anstieg der Arbeitslosigkeit noch die Waage gehalten (+ 7.700 Arbeitslose, - 7.400 Jobs im Durchschnitt September bis November), im Jänner waren plötzlich in Summe um 11.000 mehr Bewerber am Arbeitsmarkt als vor einem Jahr (+ 6.000 Arbeitslose, + 5.000 Jobs).

Besonders aufmerksame Leser werden sich vielleicht daran erinnern, daß gelegentlich behauptet wird, die Arbeitslosigkeit wäre in Wahrheit höher, viele Menschen, die ihren Job verloren hätten, würden auf eine andere, angenehmere Art versorgt werden, beispielsweise durch Sonderunterstützung, Sondernotstandshilfe oder andere Transfers. Da nun das Geld allenthalben auszugehen droht, wird auch die Luft in diesen „Versorgungsbereichen" dünner. Ergebnis: Etwa 10.000 Personen bewerben sich seit Anfang des Jahres zusätzlich um Arbeit, weil sie ohne Arbeitssuche, also die formale Erfüllung der Voraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld, auf dem Trockenen säßen.

Daß es sich dabei fast aus-schließliph um Frauen handelt, daß man also bei jungen Müttern zu sparen beginnt, während Männer nach wie vor in der Blüte ihrer Schaffenskraft in Frühpension gehen, damit aus der Zweitkarriere noch etwas werden kann, das ist wohl die eigentliche Story,

die aus den Arbeitsmarktdaten des Jänner abzuleiten wäre.

Damit soll natürlich nicht im entferntesten das Problem der Arbeitslosigkeit heruntergespielt werden. Ganz im Gegenteil soll nochmals festgehalten werden, daß wir den neuen, so medienwirksamen Bekord ja nur dem Umstand verdanken, daß die Spitze des Eisberges ein wenig weiter hervorgekommen ist. Allerdings erlaubt es die geballte Wucht der Schreckensmeldungen den (Un-)Verantwort-lichen dann zwischen März und Juli über die Erholung des Arbeitsmarktes zu frohlocken, wenn es sich dabei auch nur um relativ bedeutungslose saisonale Bewegungen handelt.

Natürlich muß etwas getan werden. Und es wären keine Politiker, würden sie nicht die offensiven, optimistischen, vorwärtsgerichteten Strategien bevorzugen. Also Export- oder Qualifizie-rungs- oder Innovationsoder Gründungs- oder Aus-bildungs- oder was immer für eine Offensive.

Allen diesen Bemühungen um mehr Beschäftigung ist eines gemeinsam: Der Zuwachs an neuen Arbeitsplätzen muß von überdurchschnittlich gut qualifizierten Arbeitskräften eingenommen werden. Schließlich wissen wir alle, daß wir nur in jenen Bereichen wettbewerbsfähig sind, wo wir Überlegenheit im Können ausspielen kön* nen. Billiger sind die anderen allemal!

Nehmen wir an, es gelingt uns, diese zusätzliche Qualifikation bereitzustellen. Damit wird notwendigerweise die Streuung des Qualifikationsspektrums größer.

Nun haben wir die Wahl: Lassen wir - entsprechend den Qualifikationen - auch die Einkommensstreuung auseinanderklaffen, dann teilt sich eine kleine Gruppe den Wohlstandszuwachs, und mehr und mehr Menschen verarmen (da Armut ja relativ definiert wird). Versuchen wir aber, die Einkommensstreuung konstant zu halten, dann verschieben sich die Preisrelationen. Wo - mit den Qualifikationen - die Produktivität entsprechend steigt, werden wir wettbewerbsfähig bleiben. Wo dies nicht der Fall ist, werden die Preise der Güter oder Leistun-gen so lange steigen, bis es die

Arbeitsplätze nicht mehr gibt. Unter der Bedingung solidarischer Lohnpolitik werden also unproduktive, das heißt im allgemeinen geringe Qualifikation verlangende Tätigkeiten aus dem Markt verdrängt, unter der Bedingung produktivitätsabhängiger Entlohnung

werden gering Qualifizierte zwar nicht arbeitslos, aber auch arm.

Je mehr wir uns also bemühen, eine moderne, leistungsfähige, flexible, innovative Volkswirtschaft zu gestalten, desto mehr Mitmenschen setzen wir unter Druck, desto mehr werden diesem Druck dann auch nicht mehr standhalten können.

Es ist zwar zweifellos richtig,

daß die hochentwickelten Industrieländer nur im Hochleistungsbereich wettbewerbsfähig sind, aber dies ist eine Durchschnittsbetrachtung und daher nicht die ganze Wahrheit. Die ganze Wahrheit ist, daß die Gruppe der Wettbewerbsfähigen immer kleiner und immer reicher wird.

In Osterreich wird im Jahr 1997 jeder vierte Arbeitnehmer mindestens einmal die Erfahrung von Arbeitslosigkeit machen, über mehrere Jahre hinweg jeder dritte. Mehr als die Hälfte von ihnen wird diese Erfahrung wegstecken, viele werden sogar relativ bald wieder arbeiten. Aber schätzungsweise bei jedem achten wird ein bleibender Schaden zurückbleiben, am Selbstvertrauen, an den sozialen Beziehungen, am Wissensstand, an seiner unternehmensgebundenen Qualifikation. Und etwa jeder zwölfte, vielleicht schon bald jeder zehnte wird oder wurde schon früher für lange Zeit aus der Bahn geworfen, oft für den Rest seines Lebens.

Das Schlimme ist, es werden mehr, mit jeder gelungenen Modernisierung, aber wir können uns um die Modernisierung nicht herumschwindeln. Wir können uns nur viel bewußter der Modernisierungsverlierer annehmen.

Kurzum: Je moderner und leistungsfähiger unsere Wirtschaft wird, desto größer wird die Zahl derer, die sich auf diesem immer rasender drehenden Ringelspiel nicht mehr halten können. Natürlich müssen wir modernisieren, aber wenn wir die Modernisierungsverlierer dabei ganz aus den Augen verlieren, werden letztlich die gewinnen, die ihre Angelrute in das trübe Wasser halten, das sich rund um den strahlenden Glanz dieses

Ringelspiels sammelt.

Wenn wir nicht auch wieder ein klein wenig Solidarität entwickeln, ja man könnte auch sagen, wenn wir nicht im wohlverstandenen Eigeninteresse auf gesellschaftlichen Zusammenhalt wieder größeren Wert legen, ein klein wenig mehr zu teilen bereit sind, werden alle unsere Bemühungen zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit zu immer höheren Einkommen, aber auch zu ein wenig mehr Arbeitslosigkeit führen.

Der Autor ist

Arbeilsmarktexpert im Wirt Schaftsforschungsinstitut, Wien

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