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„Wir wollen lieber etwas über Österreich kennenlernen“

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Mit dem Flüchtlingsstrom, der bei Kriegsausbruch in Bosnien Richtung Österreich einsetzte, sah sich auch eine Privatschule besonderer Art vor neue Herausforderungen gestellt: die Julius- Meinl-Schule in Wien, Relikt aus k.u.k.-Zeiten, in denen viele Betriebe eigene, staatlich anerkannte Ausbildungseinrichtungen führten. Zwar hatte es in der Wiener Meinl-Schule während der vergangenen Jahre immer schön ausländische Lehrlinge gegeben. Vor zwei Jahren jedoch schnellte der Ausländeranteil schlagartig auf mehr als 50 Prozent hinauf. Schuldirektor Gerd Fiala: „Mit einem Mal sind wir vor der Frage ge standen: Was machen wir mit so vielen Lehrlingen, did nicht deutsch sprechen?“

Mit dem bis dahin üblichen zusätzlichen Deutschunterricht war es nicht mehr getan. Die Lösung drängte und fiel entsprechend einfach aus: die „1c“, eine eigene Klasse für Lehrlinge mit nichtdeutscher Muttersprache wurde aus der Taufe gehoben. Sehr wohl war Direktor Fiala dabei nicht: „Wir wußten nicht, wie das aufgenommen wird. Auf keinen Fall wollten wir den Eindruck erwecken, Ausländer zu separieren.“ Nicht „ausgliedern“, sondern einen Übergang für eine spätere Integration schaffen wollte man. „In vielen Fällen ist es ja nicht möglich, einen Bewerber zunächst ein mal als Anlernling zu beschäftigen, damit er genügend Deutsch lernt. Arbeitsbewilligungen gibt es meist erst, wenn man eine Lehre beginnt.“

In der „1c“ wurde der Unterrichtsstoff zunächst einmal „entschlackt“ und auf das Notwendigste reduziert. Lehrlinge ohne jegliche Deutschkenntnisse machte man mit solchen, die die Unterrichtssprache bereits etwas beherrschten und als „Übersetzer“ einspringen konnten. Viel Geduld und Rücksichtnahme auf Seiten der österreichischen Lehrkräfte und ebenso viel Ausdauer und gegenseitige Unterstützung der Schüler sorgten für den Erfolg des Projekts: nach einem Jahr klappte der Überstieg in die zweite Klasse völlig problemlos. •

Sicher hat das auch damit zu tun, daß viele der jugendlichen Flüchtlinge von zu Hause bereits ein hohes Bildungsniveau mitbrachten und teilweise auch etwas älter als österreichische Lehrlinge sind.

NICHTGESPIELTES MÄRCHEN

Der Lehrer Rudolf Sieberth hat auch schon an anderen Berufsschulen die Erfahrung gemacht, „daß Schüler, die anfangs sprachliche Schwierigkeiten haben, in ihrem Eifer wahnsinnig viel erreichen. Also dieses Märchen von den fleißigen Österreichern und den faulen Ausländern spielt es so nicht.“

Mit ihren inländischen Kollegen, erklären die ehemaligen lc-ler, herr sche em gutes Auskommen. Emen einzigen österreichischen Schüler hat Sieberth in den letzten drei Jahren erlebt, der sich offen zu seiner Ausländerfeindlichkeit bekannt hat. „Aber er war so klug, nicht weiter davon zu sprechen. Im allgemeinen spürt man nichts an Spannungen.“ Eher noch würden sich diese zwischen den Nationalitäten des ehemaligen Jugoslawien andeuten.

Dazu die Schülerin Amra aus Srebrenica: „ Wir sind gemischt, Serben, Kroaten, Moslems, und es ist schwer, miteinander über uns zu sprechen. Wir reden besser nicht über unsere Kultur. Lieber wollen wir etwas von Österreich kennenlemen.“ Lebhaftes Nicken im Kreis ihrer ex-jugoslawischen Mitschülerinnen.

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