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Wirtschaftskommentar

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Das Entstehen einer Wirtschaftskrise entspricht der Natur der wirtschaftlichen Dynamik auch einer wachsenden Wirtschaft, die permanent Strukturänderungen des Wirtschaffsgefüges produziert und daher auch Anfaß für Rückbildungen in einzelnen Wirtschaftszweigen ist. Aus diesem Grund mufj das Entstehen einer Teil-Krise im Bereich eines Wirtschaftszweiges noch keineswegs Anlaß zu ernsten Bedenken sein. Wenn trotzdem das Wort „Krise" bei Menschen, welche die Depression in der Zwischenkriegszeit in Erinnerung haben, ein ungutes Gefühl bis Panikstimmung erweckt, so deswegen, weil man Krise mit Depression, „Verkühlung" mit einer lebensbedrohenden „Lungenentzündung" verwechselt und die Wiederkehr einer „guten" alten Zeit befürchtet, deren Restauration uns von Romantikern zuweilen empfohlen wird.

In den letzten Jahrzehnten hat man dem Katalog der Begriffe der Konjunkturlehre (die nach außen hin ohnedies nur eine Lehre von den Krankheifserscheinungen am Körper der Wirtschaft zu sein schien und deswegen vielfach Krisenlehre hieß) einen neuen Terminus eingegliedert: Den Ausdruck „R e z e s s i o n". Man wollte mit dem neuen Fachausdruck einen Zustand im Konjunkturverlauf andeuten, in dem eine Krise zwar noch nicht das langfristige Tief einer Depression erreicht hat, aber trotzdem in Ausdruck und Dauer ihres Bestandes bedenklich zu werden beginnt.

Nun ist offenkundig, dal; in letzter Zeit die Umstellungen in der Weltwirtschaft in vielen Ländern, auch in der BRD und in Österreich, Erscheinungen hervorgebrach! haben, die man als Teil-Rezession bezeichnen müßte. Freilich ist die amtliche Publizistik ungemein vorsichtig und spricht (ähnlich Hofberichten über den Krankheitszustand eines Herrschers) angesichts der vor allem auf den Arbeitsmärkten erkennbaren Verflachungstendenzen von einer „Beruhigung". Auch die Prognosen sind optimistisch; oft bedenklich optimistisch, Erfährt man doch, daß in der BRD die Vorausschätzungen für das Wirtschaftswachstum 1966 nach bisherigen Resultaten um 30 Prozent danebengegangen sind und bei den Preisen fast um 50 Prozent günstiger waren, als nun die Wirklichkeit der Entwicklung zumindest im ersten Halbjahr erweist. Der Zuwachs des Bedarfs an Arbeitskräften hat sich zum Beispiel in der BRD gegenüber den Vergleichszeilen des Vorjahres (wenn auch nicht beträchtlich) vermindert. Jedenfalls ist (das gilt auch für Österreich) nicht mehr eine Progression der Nachfrage nach Arbeitnehmern merkbar, die olt zu dramatischen Anomalien auf den Arbeitsmärkfen geführt hat. Bei den Bauarbeitern gab es in der BRD im Mai dieses Jahres 64.000 offene Stellen; um 15.000 weniger als im Vergleichszeitpunkt 1965. Bei Einstellung von Arbeitskräften ist man in der Bundesrepublik, wie eine amtliche Publikation sich ausdrückf, zu einem „strengeren Maßstab" übergegangen. Daher war auch die Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften bisher um etwa ein Viertel geringer als im Vorjah r.

Was nun auf der einen Seite und meist mit Recht „Beruhigung" genannt Wird, kann auf der anderen Seite, bei den Arbeitnehmern, unter Umständen zu einer Beunruhigung führen, die sich auch in Wahlergebnissen, wie im Bundesland Rheinland- Westfalen, anzeigen kann.

Das Schrumpfen in einzelnen Wirtschaftszweigen nimmt zu. Vom April 1965 bis zum März 1966 haben der bundesdeutsche Bergbau und ein Großteil der Grundstoff- und Produk- tionsgüterindustrie etwa 45.000 Arbeitskräfte freigesetzt beziehungsweise an Wachstumsindustrien abgegeben. Von 1959 bis 1965 hat der Ruhrbergbau etwa 150.000 Beschäftigte verloren; in den nächsten Jahren sollen weitere 60.000 gezwungen werden, ihren Beruf zu wechseln. Im Rahmen der Wirksamkeit eines Ausgleichsmechanismus auf dem Arbeits- rnarkt werden derzeit die meisten der als Folge der Schrumpfung freigesetzten Arbeitskräfte in anderen Betrieben unfergebracht. Bemerkenswert ist aber, dal; in den letzten Jahren gerade die Stellung von Arbeitnehmergruppen geschwächt wurde, die sich bisher zur Arbeiterelite gerechnet haben und das durch Konvention begründete Privileg einer „Lohnführerschaft" genossen.

Der Arbeitsmarkt des europäischen Westens ist jedoch insgesamt immer noch dadurch gekennzeichnet, dal; eine ungedeckte Nachfrage nach Arbeitskraft vorhanden ist, weshalb man sich des Hilfsmittels der Überstunden sowie der Teilzeitbeschäftigung von Hausfrauen und Studenten bedienen mul;, und daß es weiterhin notwendig ist, Fremdarbeiter in Engagement zu nehmen oder zu behalten.

Nun ist aber die „Ware" Arbeitskraft weder völlig homogen noch speicherbar oder ausreichend mobil. Mit Recht nennt man daher den Arbeitsmarkf „unvollkommen", da ein Ausgleich von Angebot und Nachfrage zumindest in einer gröfjeren Region so gut wie unmöglich ist. Wenn etwa auf einem nationalen Arbeitsmarkf 100.000 arbeitsfähige und arbeitswillige Arbeitslose ihre Dienste anbieten und anderseits 200.000 Stellen offen sind, kann es trotzdem dazu kommen, daß ein Großteil der Arbeitslosen ohne Beschäftigung bleibt, weil sich Angebot und Nachfrage unter anderem ange- sicht der Differenziertheit der beruflichen Anforderungen und der relativen Immobilität der Arbeitskraft nicht decken können.

Daher kann man heute auch die Fremdarbeiter nicht als „importierte Arbeitslosigkeit" betrachten und in den von ihnen besetzten Arbeitsplätzen eine noch für die Inländer zu aktivierende Reserve an Arbeitsplätzen sehen, auf die man in Notzeiten einfach zurückgreifen vermag, indem man einfach die Arbeifsbewilligung der Fremdarbeiter nicht mehr prolongiert. So rechnerisch einfach die Sache zu sein scheint: Die Praxis sieht anders aus:

Ein Großteil der Arbeiten, die von Fremdarbeitern verrichtet werden, sind den in der Sozialpsychologie und in der Sozialgeschichte beachteten sogenannten „schmutzigen" Arbeiten zuzurechnen, sind also Arbeiten, welche die Mehrheit der arbeitslos Gewordenen nicht oder lediglich bei einem vergrößerten „Arbeifsleid" zu leisten bereit isf. Ganz abgesehen von der niedrigen Bezahlung: Welcher freigesetzte Arbeiter der Sfeyr- werke wäre geneigt, Handlangerdienste beim Straßenbau zu leisten?

Eine weitere Folge der Verminderung der bisher stets im Steigen gewesenen Nachfrage nach Arbeitskräften, wenn auch nur in einzelnen Wirtschaftszweigen, ist eine Reduktion der Ist-Löhne, die vielfach erheblich höher waren als die Soll-(Konfrakt-) Löhne und Anzeiger für die Verknappung von Arbeitskraft auf einzelnen T eilarbeilsmärklen gewesen sind.,

Panikstimmung isf fehl am Platz.

Anderseits ist Apathie keine Form, in der Regierung und Gesetzgebung die Konfrontation mit der neuen Entwicklung vollziehen dürfen:

Wo ist das Konzept für eine aktive, für eine prospektive Arbeitsmarkf Politik, welche die zu erwartenden Umschichtungen auf den Arbeitsmärk- ten berücksichtigt?

Auch wenn Konzepte nur den Charakter von Planspieten haben: Wer hat von den Verantwortlichen überdacht, welche Folgen eine Okkupation von Teilen der österreichischen Wirtschaft durch die Kombinate der EWG haben Wird, wenn wir den so sehnlich erwarteten Anschluß vollzogen hüben?

Viele mittelständische Kleinbetriebe, welche relotiv nicht kostengünstig arbeiten, werden zum Schließen gezwungen sein, wenn wir einmal angeschlossen sind. Wenn man nicht an Emigration (wie das Irland des 19. Jahrhunderts) denkt: Wer wird die freigesetrten Klein-Unternehmer und die Arbeitskräfte in den anschfuß- geschödigten Betrieben aufnehmen?

Wann werden wir Pläne für eine gesamtösferreichische wirtschaftliche Strukturpolilik vorgelegt erhalten? Ein Bundesland hat für seinen Bereich die Erstellung solcher Pläne bereits in Auftrag gegeben. Wann folgt der Bund.

Bisher waren wir gewohnt, eher von Arbeiferbeschaffung zu reden. Scheint es nicht geboten, auch wieder einmal mehr von einer Arbeits-(Arbeitsplatz-) beschaffung zu sprechen? Nicht für einen kleinen lokalen Bereich, sondern für Bundesebene.

Allem und sicher weitgehend gerechtfertigtem Optimismus zum Trotz sollte oben (Regierung) und unten (bei den „Massen") so etwas wie ein Krisenbewußtsein vorhanden sein, die ernstliche und in realisierbare Pläne übersetzte Bedachfnahme darauf, daß bedenklicheren Störungen auf den Arbeits- und Warenmärkten bereits bei Beginn mif wirksamen Maßnahmen und nicht mit beruhigenden, literarischen und mif Zitaten aus den „Meistern" dekorierten Erklärungen begegnet werden muß.

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