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Digital In Arbeit

Wissen ist Fortschritt

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Die Welt der Arbeit steht unverkennbar in einem Prozeß der Intellektualisierung der betrieblichen Fertigung. Im Anfang stand das Faustbeil. Am heute sichtbaren Ende einer Abfolge von Demonstrationen der Herrlichkeit menschlichen Schöpfergeistes steht das, was in einer Art pädagogischer Vereinfachung „Automation“ genannt wird.

Die Größe der Arbeitsleistung ist heute jedenfalls in einem verringerten Umfang von der körperlichen Arbeitsmühe abhängig, dafür um so mehr von der Darbietung technischen und kaufmännischen Wissens und von der Fähigkeit jener Funktionärsgruppen, die wir als „Unternehmer“ bezeichnen. Die Zuwachsrate der industriellen Produktion, das Maß des Fortschrittes, ist ein ostentativer Hinweis auf die Macht des Menschen, sich die Natur dienstbar zu machen. Es hieße aber die Wirklichkeit des betrieblichwirtschaftlichen Prozesses völlig verkennen, wollte man in einem fast dauernden Güterzuwachs nur die Wirkung einer Kapitalansammlung und mechanisch-menschlicher Arbeitsleistung sehen. Der menschliche Fortschritt ist nicht auf eine verfügbare Sachkapitalgröße allein zurückzuführen, sondern mehr noch der Ausdruck einer Ansammlung von Wissen.

Um die Schaffung dieses Kapitels, um die Grundlegung von Arbeitswissen, geht es nun vor allem in diesen Tagen. Die große Zeit der Entdeckungen ist vorbei. Wir sind weithin auf die Nutzung dessen verwiesen, was uns die Erde an bekannten Stoffen darbietet.

Nun kann das Arbeitswissen sicher auch in den Betrieben, in der sogenannten „Praxis“ erworben werden. Der Betrieb ist aber zuerst ein Ort der Leistungsbereitschaft und der Leistungserstellung und nicht so sehr der Aneignung von Arbeitswissen. Seinem Wesen nach ist der Betrieb daher eine technische und kaufmännische und keineswegs eine pädagogische Einrichtung. Das berufliche allgemein gültige Grundwissen kann weithin wr die b e r. u f s bi 1 d e n d e Schule vermitteln. So sind'- -daher., .in-1den berufsbildenden Schulen jene produktiven Kräfte gefaßt, die der Gesellschaft das Erstkapital, das Arbeitskapital erwerben helfen. Gleichzeitig aber wird noch der Schüler, in seinem Interesse wie im Interesse des Ganzen der Gesellschaft, verhalten, sich, um mit dem Philosophen Ortega y Gasset zu sprechen, anzustrengen, um spätere Anstrengungen zu sparen. Je mehr nun unsere Gesellschaft zur Wirtschaftsgesellschaft und zur Freizeitgesellschaft wird, um so nachdrücklicher wird die Menschheit vom Mythos „Lebensstandard“ fasziniert, dessen Wachstum den Aberglauben der Konsumprimitiven an eine dauernde Steigerung der Konsummöglichkeiten begründet hat.

Die Sicherung eines wachsenden Lebensstandards ist aber beileibe keine wirtschaftliche Aufgabe allein, sondern ein Politikum ersten Ranges geworden, da die Menschheit nicht mehr die moralische Kraft besitzt, ihre Ansprüche an das Leben zu reduzieren. Jede Verringerung des Sozialprodukts bringt eine Wohlfahrtsgesellschaft in den Zustand der latenten Revolte.

Soweit nun die berufsbildende Schule von sich aus beizutragen vermag, der Menschheit ein Wachsen der Güterfülle zu sichern, ist auch sie eine politische Institution erster Ordnung geworden.

Nun haben die neuen Arbeitertechniken und der Zwang, den Unterricht weitgehend an sie anzupassen, eine Reihe pädagogischer Probleme entstehen lassen, deren Bewältigung wegen der Schnelligkeit des Fortschrittes kaum jemals eine vollständige sein kann.

Die Entwicklung nach 1945 hat in unseren Schulen die unheilvolle, von einem technokratischen Denken bestimmte und falsche Alternative von technischem Berufswissen und Allgemeinwissen endgültig aufgehoben.

Die Vermittlung dessen, was wir als allgemeines Bildungsgut anerkennen, ist 1946 mit einem kühnen Nachdruck in die Unterrichtsprogramme eingebaut worden, Realismus und Humanismus haben sich auf der Ebene des Pädagogischen versöhnt. Der technische und der humane Reifungsprozeß werden aufeinander abgestimmt. Freilich wird dabei, im Rahmen einer gerade schöpferischen Reduktion des Lehrstoffes, humane Bildung als Grundbildung, nicht als eine Summe von Details verstanden, sondern zuerst als Ganzes, von dem vor allem die Strukturen und nicht die Atome dem Schüler als Wissen darzubieten sind. Eine Vernachlässigung der Grundbildung gegenüber der speziellen Fachbildung aber hieße, die jungen Menschen wohl in die Lage setzen, vorhandene Probleme, d. h. schon „Programmierte s“, zu lösen, nicht aber Probleme zu stellen, hieße weiter, im Exekutiven perfekte Arbeitskräfte heranzubilden, aber mit einem Unvermögen im Wagnisbereich der schöpferischen Disposition. Das könnte aber bedeuten, daß der Mensch wieder zum Maschinenzubehör reduziert wird, zum Maschinendiener, der nicht mehr human im vollen Sinne des Wortes, sondern nur automatisch und fremdgesteuert leben kann, ohne geistigen und mitmenschlichen Bezug.

Gleiches wie für den Fonds des Allgemeinwissens gilt auch für das Berufswissen. Der technische Fortschritt, der ausweist, daß Neues aus einst Neuem in einem kurzfristigen Verlauf zu entstehen vermag, führt dazu, daß eine in letzte Einzelheiten gehende spezielle Ausbildung der Wirklichkeit der Entwicklung nicht nachkommen kann. Daher die Verlagerung des Gewichtes der Wissensvermittlung auf die technische und kommerzielle Grundausbildung, die auf Aussagen beruht, deren Gültigkeit sich, wenn überhaupt, nur in größeren Perioden wandelt.

Neben dem Problem der Gewichtung der Gegenstände spielt die Frage der Praxisnähe der Vermittlung des praxisbestimmten Schulwissens eine Rolle. Dazu sei gesagt: Jede Schule muß zuvorderst das Denkvermögen der Schüler geradezu provozieren und aktivieren und den Schüler in das Wagnis selbständigen spekulativen Denkens hineinstoßen. Dann aber ist es die Aufgabe der Schule, das allgemeine und spezielle Wissensgut, systematisch auf pädagogische Formeln reduziert, darzubieten. Keineswegs vermag aber eine Schule ein Wissen, das nur auf die Bedürfnisse eines bestimmten Betriebes gezielt ist, vermitteln. Das annehmen, hieße, die Schulen mit einzelbetrieblich befangenen Lehrwerkstätten verwechseln,

Mit der Herausstellung der gesellschaftlichen Bedeutung des berufsbildenden Schulwesens wird aber, und dies mit steigendem Nachdruck, an dessen Förderung erinnert. Man sagt, daß sich ein Volk aufgibt, wenn es nicht mehr aufforstet, weil es dann davon ausgeht, daß es nicht mehr

über die lange Umtriebszeit des Baumwuchses bestehen könne. Man kann aber ebenso sagen: Ein Volk, das seine Schulen vernachlässigt, verfügt seine Selbstliquidation als geistige Macht. Auf die berufsbildenden Schulen bezogen, heißt eine Vernachlässigung der Förderung: Die wertvollste Kapitalanlage, den menschlichen bildungsbereiten Geist, verkümmern lassen und vor allem die Bedeutung der sogenannten Umwegrentabilität übersehen: Die Ausgaben für das berufsbildende Schulwissen, d. h. für ihre Schüler, werden auf dem Umweg der nachträglichen betrieblichen Wissensverwertung wieder vielfach hereingebracht.

Alle Förderung von Seiten des Staates und auch der Unternehmungen ist aber sinnlos, wenn da und dort die Absolventen der technischen und gewerblichen Schulen in den für die Gewinnung eines Berufsbildes und Berufsethos so wichtigen ersten Berufsjahren in manchen Betrieben diskriminiert werden, sei es durch die Betrauung mit Arbeiten, die ein Hilfsschüler ebenso ausführen könnte, sei es durch eine Bezahlung, deren Höhe oft Taschengeldcharakter hat und gleichzeitig als eine Disqualifikation der entlassenden Schule empfunden werden muß. Auf diese Weise werden oft mit hohen Kosten herangebildete Absolventen der berufsbildenden Schulen indirekt des Landes verwiesen. So erleben wir eine, wenn auch im Maß des Anstieges des österreichischen Volkseinkommens sich allmählich verringernde, kostenlose Hergabe in Oesterreich produzierten geistigen Kapitals. Allein ein neuer Schülerplatz aber kostet, das sei angemerkt, einschließlich aller erforderlichen Einrichtungen etwa 44.000 S. In einem jüngst publizierten Vergleich wird jedenfalls festgestellt, daß wir in österreichischer „Großzügigkeit“ Techniker kostenlos exportieren und dazu noch das Eisen um 3 S je kg als Ausstattung mitliefern. Dann importieren wir dafür die von österreichischen Ingenieuren im Ausland hergestellten Maschinen um 30 S für das Kilogramm.

Jede Gesellschaft ist irgendwie auch eine organisierte Bedarfsdeckungsfürsorge. Wenn wir nun davon ausgehen, daß es den für die Wirtschaftspolitik unseres Landes Verantwortlichen aufgegeben ist, die Bedarfsdeckungsfürsorge bestens zu gestalten, so scheint uns das in der gegenwärtigen Situation nur möglich, wenn das Arbeitswissen aller betrieblichen Führungskräfte auf eine dem technisch-kommerziellen Wissensstand dieser Zeit entsprechende Höhe gebracht wird. Dazu.vafeey ist notwendig, daß. ,der pädagogische' wie“ der politisch-gesellschaftliche. Rang der berufsbildenden Schulen von der Oeffentlichkeit anerkannt wird und daß unsere Lehranstalten von den gesetzgebenden Körperschaften, die auch über den Einsatz der öffentlichen Mittel entscheiden, bestens ausgestattet werden.

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