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Wissenschaft am Scheideweg

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Es gehört heute zu den Gerneinplätzen: österreidis Wissenschaft ist in Not! Subventionen für die Wissenschaft! Der Wissenschaft muß geholfen werdenl Mit Recht. Der folgende Artikel lenkt den Blick auf eine vielumschwiegene Innenseite des Problems. Nicht nur äußerer, sondern auch innerer Hilfe bedarf es heute. Die Wissenschaft gefährdet ihre Entfaltung auf mannigfache Weise selbst. Während man sich etwa- in England und Deutschland sehr ernsthaft um die Reform der hohen Schulen bemüht, beläßt man hierzulande vielfach alles beim , Alten. Wie gefährlich diese Nichtachtung sein kann, weist auf einem wichtigen Sektor der folgende Artikel nach.

.Die Österreichische Furche“

Es kann nicht geleugnet werden, daß das in Österreich während der letzten Jahre auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften Geleistete als vorwiegend durchschnittlich bezeichnet werden muß, auch angesichts vereinzelter bedeutender Arbeiten. Diese Tatsache verdient den Versuch einer Erklärung, sie kann auch erklärt Werden. Die Ursache ist kaum in einem Versiegen der Schöpferkraft zu erblicken, sondern liegt wohl eher an der Art der wissenschaftlichen Schulung: auch die größte Begabung kann fehlgeleitet werden und versanden.

Nehmen wir einen Alltagsfall an: ein Maturant kommt auf die Hochschule. Er ist für Geschichte und Germanistik nicht mehr und nicht minder begabt als jene, die ihm diese Fächer als die zugänglichsten empfohlen haben. Er hat auch noch keine ausgeprägten Sonderinteressen, die werden sich vielleicht erst später herausstellen: er will einfach einen Beruf haben und der Sorge um das tägliche Brot enthoben sein. Dieser Hörer nun fällt nach bestandenen Proseminaren in die eigentlichen Seminare, und hier wird er von zünftigen Gelehrten in die Arbeit genommen und zu einem letzten Sinn geführt, das heißt, er erfährt eine gewisse Teilausbildung in einem bestimmten, eng umgrenzten Gebiet mit Interpretationsübungen, Transkriptionen, Übersetzungen und auch bereits kleineren Aktenarbeiten. Es werden ihm somit die Augen für die Möglichkeiten der gewählten Disziplinen geöffnet und er muß Dinge betreiben, von denen er einmal mit Stolz sprechen kann, obwohl er sie praktisch vielleicht nie gebrauchen wird, während er das für ihn belangvolle Wissen fern der Hochschule in den Abendstunden allein erwerben muß, da es nur zum Teil und fallweise vorgetragen wird.

Außerhalb der Seminare können sich Interessierte noch spezieller in den zur Universität gehörigen Instituten ausbilden lassen. Vorbedingung für die Aufnahme etwa in das Institut für österreichische Geschichtsforschung ist das vollendete vierte Semester. Hier kann der Studierende bereits gewisse Sparten selbständig bearbeiten und im äußersten Fall sogar neue Aspekte eröffnen und vorlegen. Dann tritt der Promovierte ins Leben und soll jetzt einen Beruf, zumeist den eines Mittelschullehrers, ausfüllen.

Wenn man unter Beruf die freiwillige Betätigung des Menschen nach seinen Möglichkeiten im Rahmen einer ihn dafür entlohnenden Gesellschaft versteht, müßte man glauben, daß er nun dafür das nötige Rüstzeug mitbekommen hat. Daß dem nicht so ist, zeigen die Ergebnisse. Die Ausbildung, die er erfahren hat, erweist sich nämlich als in doppelter Hinsicht unzulänglich. Sie ist fast immer einseitig, dem Interessengebiet des Professors, dem man sich jeweils zufällig angeschlossen hat, verschworen und macht zumeist unselbständig: es fehlt die geistige , Durchdringung, und es mangelt an eigenen Ideen. Die universelle Schulung in seinem Fach, die ihm vorgeschrieben ist, hat der frisch gebackene Doktor nie erhalten: er kennt zur Not europäische Geschichte, aber er weiß kaum etwas vom chinesischen Reich, er kennt nicht die großen kulturellen und geistesgeschichtlichen Zusammenhänge, und er besitzt vor allem keinen Überblick. Wenn er sich nicht selbst orientiert, können ihm seine Schüler die peinlichsten Verlegenheiten bereiten.

Man wird einwenden, daß der “Apparat der Lehramtsprüfung jetzt sehr kompliziert ist, daß viel vom Hörer verlangt wird und die Gelegenheit, sich umfassend auszubilden, geboten erscheint; Dagegen aber steht unzweifelhaft, daß gut ein Viertel der obligaten Vorlesungen einfacher Ballast ist, was den Hörern keineswegs entgeht, die zwar diese alle inskribieren, aber nur wenige besuchen.

Der Fehler liegt anderswo. Es ist die Verwedislung von Seminarbetrieb, der den Hörer in die wissenschaftliche Methode und Forschung einführt, mit dem Institutsbetrieb, der eine Vertiefung und weitgehende Ausbildung in einer bestimmten Richtung bezweckt und am sinnvollsten erst nach erlangter Graduierung einsetzen dürfte: sie bringt es mit sich, daß die solcherart geschaffenen Halbgelehrten sowohl für das Gymnasium wie auch für die übrigen in Betracht kommenden wissenschaftlichen Anstalten teils zu viel, teils zu wenig mitbringen. Der Typus des verkannten Professors, den nur die Ungunst der Verhältnisse an die Schule bindet, obwohl er zu Höherem geboren ist, wird dadurch künstlich genährt, während andererseits die wenigen verfügbaren Stellen an Archiven, Museen und Bibliotheken keinen Gewinn aus verhinderten Mittelschullehrern ziehen.

Die Tatsache nämlich, daß es in Wien noch genügend Stätten gibt, deren Reichtum an geisteswissenschaftlichen Materialien eine sorgsame Pflege gleichsam bedingt und voraussetzt, vermag vielfach den Glauben zu erwecken, als ginge mit dem Vorhandensein dieser Quellen auch ihre selbstverständliche Ausbeutung parallel. Das stimmt aber nur teilweise. Wien besitzt einmalige Archive und Museen, beherbergt die einmalige Schatzkammer der • Nationalbibliothek, ist jedoch in forschungsmäßiger und wissenschaftlicher Hinsicht keine sehr fruchtbare Stadt mehr. Das mag zunächst nicht ausschließlich am Beamtenapparat liegen, sondern an der . Praxis, insbesondere vielleicht an der einseitigen Auslegung des Begriffes „Objekt“, so, als handelte es sich hiebei bloß um Gegenstände, die einer Sammlung unterliegen, ferner und in der Hauptsache jedoch an den Auswirkungen einer gewissen phantasielosen Verwaltungsmaschinerie, die sich voll Schneidigkeit der Bewahrung und Verwahrung streng katalogisierter Gegenstände annimmt, ohne sich aber Gedanken über die gleichzeitig mitüber-Bommene Verpflichtung zur Erschließung dieser Kostbarkeiten zu machen.

Noch ist sich zwar das österreichische Staatsarchiv mit seinen sämtlichen Unterabteihingen der Sendung bewußt, die es vertritt, und fordert demgemäß von seinen Beamten auch eine wissenschaftliche Betätigung, getreu seiner Tradition, die noch aus Alfred von Arneths Tagen stammt. Damals wurden stellenweise bestimmte Amtsstunden für diese Zwecke freigegeben, denn Arneth meinte, nur ein wissenschaftlich tätiger Archivar könnte seinen sonstigen Pflichten voll genügen. Hier wie auch in anderen Archiven Wiens dienen der Zugänglich-machung der vorhandenen Schätze perio-' disch erscheinende Zeitschriften und fallweise Publikationen.

Weniger offensichtlich sind die diesbezüglichen Ergebnisse der staatlichen Kunstsammlungen: hier ersetzt häufig eine gewisse, nicht immer produktive Geschäftigkeit die bleibende Leistung. Völlig steril geworden ist es, nicht ohne Wunsch und Zutun der maßgebenden Stellen, um die Nationalbibliothek, in der einst wissenschaftliche Kapazitäten von Weltruf wirkten, die hochwertige Veröffentlichungen besaß und deren Handschriftensammlung mit ihren zirka 35.000 Manuskripten den größten derartigen Bestand auf deutschem Sprachgebiet darstellt.

An allen diesen Instituten ist nun der Status des wissenschaftlichen Personals gegenüber dem einstigen bei weitem nicht entsprechend, aber immerhin zulänglich: nichtsdestoweniger sind die Ergebnisse, alles zusammengenommen, bescheiden und der Umstand, daß Befehl und Verbot, um die Dinge kurz und peinlich beim Namen zu nennen, so wirksam sein können, führt wieder zu dem eingangs angeschnittenen Problem eines Mangels an Schulung hin. Deshalb ist die geringe Qualität und Quantität des Gebotenen nicht weiter erstaunlich, darum scheint auch der innere Trieb zur Leistung im eigenen Rahmen, gleichsam an den Quellen, zu fehlen, denn die wissenschaftlichen Arbeiten, die beispielsweise dem Notring der wissenschaftlichen Verbände Österreichs zur

Veröffentlichung vorliegen, entstammen fast sämtliche anderen Kreisen .als den bisher umrissenen.

Alle diese Symptome nun, die sich beliebig vermehren lassen und die eine gewisse normierte Bravheit der wissenschaftlichen Beamten einerseits, eine latente Unzufriedenheit zahlreicher Mittelschullehrer andererseits mit sich bringen, weil diese sich nach ihrer anspruchsvollen und doch nicht entsprechenden Ausbildung in der Mühle des alltäglichen Unterrichts oft nicht zurechtfinden, weisen auf Einrichtungen hin, die wohl einer Beachtung und Reform bedürften. Es müßte endlich eine reinliche Scheidung getroffen werden zwischen den spezifischen Lehramtskandidaten, die durch eigene Seminare für alle Fragen und Möglichkeiten ihres künftigen Berufes vorgebildet werden sollen, und jenen anderen, wohl in der Minderzahl befindlichen Hörern, die sich für besondere Zweige einer Wissenschaft nicht nur interessieren, sondern auch eignen, was sich natürlich nicht im ersten und nicht im vierten Semester feststellen läßt. Für solche wären allgemeine, aber auch vorbereitende Seminare abzuhalten und nach der Promotion sollte ihnen dann ein Institut zur nötigen Verbreiterung ihfer Kenntnisse sowie zur intensiven Ausbildung in besonderen Fächern offenstehen.

Solange man geneigt ist, die Augen vor der Tatsache zu verschließen, daß sich die Mehrheit der Studenten an der philosophischen Fakultät eben aus Lehramtskandidaten zusammensetzt, wird die Auslese von für die Wissenschaft an sich hervorragend geeigneten Jungakademikern immer dem Zufall überlassen bleiben. Jede Gleichschaltung bringt es mit sich, daß der Ellbogenstärkere obsiegt, wie ja auch bezeichnenderweise die Stillen im Land und die wirklich Bedeutenden niemals die nötige Protektion besitzen. Spezialseminare und Institute mit erschwerten Aufnahmebedingungen scheiden dagegen deutlich den Auserwählten vom Mitläufer und ermöglichen der österreichischen Wissenschaft wieder das Erreichen jener Höhe, die sie einst weltbekannt gemacht hat.

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