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Withalms neue Dimension

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Am Präsidium der Semmeringtagung der Volkspartei kursierten kleine Zettel: Meldungen von den Ereignissen an der Hochschule in Wien, Zwischenberichte vom Vorbe- reitunigsstand der geplanten Demonstration.

So erhielten die 85 Abgeordneten der Regierungspartei im Nationalrat und die Bundesräte, die Landeshauptleute und Landesparteisekretäre sowie die Mitglieder und Referenten der Bundesparteileitung Anschauungsunterricht von der rebellischen Jugend, deren Widerstand gegen erstarrte Formen des Establishments zwar nicht allzu überzeugend, aber dennoch angsterregend für so manchen war.

Freilich, die Sensation der Semmeringklausur war nicht die demonstrierenden Studenten — sondern ein neuer, dynamischer Withalm, seit 1960 Generalsekretär der Volkspartei, seit 1966 Klubobmann im aufgewerteten Parlament, seit 1968 Vizekanzler der monocolonen Regierung. Just in dem Augenblick, in dem die „Salzburger Nachrichten“ in einem massiven Leitartikel Withalm, seinem Stil und seinem Apparat das Ende prophezeiten — war der „Eiserne Hermann“ ganz da. In der längsten Rede seiner Laufbahn wies er der Volkspartei einen Weg in die Zukunft, einen neuen Richtungspfeil für 1970 — und dem ganzen Land eine neue Dimension seiner Zukunft. Der noch von seiner Frühlingskur im italienischen Kurbad Montecatini erfrischte Hermann Withalm sprach allerdings — und das unterstreicht die Bedeutung seiner Rede — Dinge aus, die seine traditionelle Beliebtheit bei der politischen Funktio- närsschicht reduzieren dürfte:

„Die Jugend spürt heute schon die größeren Dimensionen der Welt von morgen, die ihre und nicht mehr unsere Welt sein wird.“ Und: „Die eigentliche Revolution unserer Zeit ist nicht eine soziale Revolution, sondern eine Bildungsrevolution.“ V ermehrte Bildungsmöglichkeiten haben das geistige Niveau der Jugend wesentlich gehoben — und wer den Wehrdienst abgeleistet hat, sollte nicht noch ein Jahr darauf warten müssen, auch zu wählen.

Die Zukunft wird Österreichs Wirtschaftsstruktur zur Bewährung aufrufen.

Vom ideologischen Ballast unbelastet, soll Österreich „im Rahmen einer Vorwärtsstrategie unter Führung der Volkspartei die Zukunftsstrukturen bewältigen“.

Und mit Stoßrichtung gegen seine hündischen Parteifreunde formulierte der Notar aus dem niederösterreichischen Wölkersdorf;

„Die Entwicklung der Zukunft wird von durchaus anderen Elementen getragen — nämlich von jenen gesellschaftlichen Gruppen, die im Rahmen der zweiten industriellen Revolution angetreten sind.“

Die Adaptierung an diese Gesellschaft bedeutet Anerkennung des Primats der Arbeitnehmer. Eine Arbeitnehmerpolitik wiederum fordert eine neue Dimension der Volks- partei: Abkehr von den Gruppeninteressenten und Hinordnung der Gesamtwirtschaft auf die Forderungen einer ehrlichen und überzeugten Konsumentenpolitik. Und Withalm betonte auch das Recht der Arbeiter und Angestellten, sich ein höheres Maß an Mitbestimmung in der Wirtschaft zu erobern.

Die Schlacht der Zukunft Österreichs aber wird an der Bildungsfront geschlagen:

Die Jugend sieht den „ungeheuren Abstand, der jetzt noch zwischen den Bildungseinrichtungen und Bildungsmöglichkeiten und den Anforderungen besteht, denen wir eigentlich schon heute gerecht werden müßten“.

Withalm sieht die Zukunft des Landes nicht isoliert, sondern „in ihrer Einbettung in die internationalen Voraussetzungen unseres Daseins“.

Schon allein deshalb, weil wir der Jugend nur dann das Tor zur aktiven Teilnahme an den künftigen Entwicklungen öffnen können, müssen wir das Tor zur Welt aufstoßen — und konkret auf der Herstellung entsprechender Verbindungen zur EWG bestehen.

Diese neue Dimension eines sich in einer „Vorwärtsstrategie“ entwickelnden Österreichs wird aller dings nur dann sichtbar, wenn die Politiker, vor allem die der Regierungspartei, Konsequenzen ziehen:

• Demokratisierung der Organe der Volkspartei; nicht autoritäre Entscheidungen, sondern mehr Diskussion.

• Bildung eines Ausschusses der Partei für Wehrpolitik, der die Reform der zum Teil zementierten Struktur des Bundesheeres ermöglichen soll; Ausschuß für „Jugend und Bildung“, in dem die modernen Entwicklungen zur Überprüfung und Adaption des Bildungssystems als Grundlage verwendet werden sollen.

• Reform des Auswahlsystems und stärkere Repräsentation der junger Generation in den Gremien dei Volkspartei und im Parlament Mehr Fünfunddreißig- bis Fünfundvierzigjährige ins Parlament, allgemeine Niveauanhebung der Abgeordneten, mehr Fachleute in di« Klubs.

Zwar kann Withalm nicht sagen, wie er diese Reformen innerparteilich realisieren will — alle Ansätze wurden bisher durch ein erstarrtes Bündeprinzip und durch den Monopolanspruch der Landesleitungen durchbrochen —, aber vielleicht kommt dem Taktiker die allgemeine Unruhe unter der jungen Generation für seine Pläne nicht so ungelegen.

Was aber sagt Withalm zur Koalition?

Er hat sich für die Zukunft festgelegt- Hier wird aus dem Taktiker der Grundsatzpolitiker:

„Daher behaupte ich nach wie vor, daß die österreichischen Wähler mit ihrer Entscheidung am 6. März 1966 eine weitere Phase des Fortschritts unseres Staates eingeleitet haben und dieser ihrer Tat selbst untreu würden, wenn sie sich durch das jetzige Durchgangsstadium der Liquidierung der Gefälligkeitsdemokratie irremachen lassen.“

Withalms neue Dimensionen für seine Partei bewirken zwar noch keine Euphorie: aber Land und Partei dürften die Talsohle der letzten zwölf Monate tatsächlich überwunden haben.

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